Die Lehrer sind ratlos, die Eltern sprachlos. Oliver, ein 17-jähriger Gymnasiast steht in dringendem Verdacht, eine Straftat zu planen. So formuliert es die Polizei. Vorausgegangen war eine Auseinandersetzung mit der Deutschlehrerin. Sie hatte dem Jungen eine Sechs gegeben für eine Interpretation von „Die Leiden des jungen Werther“. Der Grund: Oliver hat sich nicht an die formalen Regeln gehalten, sondern setzte sich mit dem Goethe-Text in HipHop-Manier auseinander. Reaktion auf das Ungenügend ist ein Hass-Rap mit dem Tenor „Vollrath verrecke“. Der Rektor befürchtet ein latentes Gewaltpotential bei dem Schüler und schaltet die Polizei ein. Es geht Schlag auf Schlag: Hausdurchsuchung, Beschlagnahmung Gewalt verherrlichender Videospiele und einer Waffe, Einweisung in die Psychiatrie.
Auf den ersten Blick scheint der Fernsehfilm „Ihr könnt euch niemals sicher sein“ (Trailer) im Zusammenhang mit den tragischen Ereignissen zu stehen, die sich 2002 in Erfurt oder 2006 in Emsdetten ereignet haben. Allein beim Amoklauf in Thüringen kamen 17 Menschen ums Leben. Mehr als 75 Hinweise auf mögliche Amok-Taten erhielt die Polizei allein in Nordrhein-Westfalen in dem Jahr nach Emsdetten. Diesem Umstand trägt der Film einerseits Rechnung. „Der Film setzt aber hinsichtlich der Thematik viel früher und tiefer an“, betont WDR-Fernsehfilmchef Gebhard Henke. Ausgangspunkt allen Übels ist die mangelnde Kommunikation zwischen Schülern und Lehrern, zwischen Jugendlichen und ihren Eltern, die Sprachlosigkeit und das Unverständnis zwischen den Generationen. „Es geht um die Verunsicherung, die Eltern gegenüber ihren eigenen halbwüchsigen Kindern empfinden, um nachvollziehbare Verstörungen, aber auch um mangelndes Vertrauen“, so Regisseurin Nicole Weegmann. Die Autoren Eva und Volker Zahn setzen sich mit den verschiedenen Sichtweisen ernsthaft auseinander, ohne ins Fahrwasser unverbindlicher Ausgewogenheit zu geraten.
Die Dramaturgie hat kleine Schwächen. Der Fallhöhe wegen hat sich die Außenwelt ein wenig zu drastisch gegen den jugendlichen Helden verschworen, und die Eltern bedienen ihr Denn-sie-wissen-nicht-was-sich-tut-Klischee allzu schematisch und begeben sich zu deutlich in die Schuld-Falle. Doch diese geringen Mängel sind nichts gegen die schauspielerische Klasse und die überaus stimmige filmische Umsetzung. Die atmospärischen Bilder von Kamerafrau Judith Kaufmann sind großes Kino und die Bildsprache rückt „Ihr könnt euch niemals sicher sein“ in die amerikanische Erzählkino-Tradition. Ein Hauch von „8 Mile“ weht gelegentlich durch die kühle Kölner Nacht. Herzstück des Films aber ist Ludwig Trepte. Wie er die Ambivalenz von Oliver mimisch-gestisch artikuliert, die Verletzung, die Enttäuschung, die Anflüge von Wut, die er unterdrückt und lieber in seinen Rap-Songs zum Ausdruck bringt, ist einmal mehr preiswürdig. Für „Guten Morgen, Herr Grothe“ bekam der heute 20-Jährige bereits den Grimme-Preis. Er scheint der junge Mann für die Problemschüler zu sein. Trepte: „Ich kann mich einfach gut in Jugendliche, die Probleme haben, hineinversetzen – und solche schwierigen, brüchigen Charaktere machen mir auch mehr Spaß als ‚normale’ Jungs.“