So eine Heldin hat man in einem Fernsehfilm lange nicht gesehen. Marie ist die Tochter einer gealterten Puffmutter. Früher hat sie sich geschämt dafür. Heute ist die Beziehung zu ihrer Mutter, die einzige, die intakt ist. Marie kann nicht lieben, keine tiefen Gefühle entwickeln. Also konzentriert sie sich auf das Karrieremachen. Sie will ganz nach oben. Sie ist die jüngste Ressortleiterin eines Hochglanzmagazins geworden. Doch sie will mehr. Dafür schläft sie mit den Mächtigen. Bis sie Leon kennen lernt. Er ist anders. Er ist der erste Mann, den sie lieben kann, und der erste, mit dem sie nicht aus Berechnung schläft.
Nina Kunzendorf spielt jene Marie in Andreas Kleinerts „Hurenkinder“. Die Theaterschauspielerin, die nach ihrem mehrfach preisgekrönten Dominik-Graf-„Polizeiruf 110“ in mehreren wunderbaren TV-Rollen, so als Braut, die sich nicht traut, in „Angsthasen“ oder als Lehrerin in „Guten Morgen, Herr Grote“, zu sehen war, ist die ideale Anti-Darstellerin. „Ich spiele selten Sympathieträger im klassischen Sinne“, sagt sie. „Man muss schon aufmerksam hinschauen und sich interessieren für das, was hinter meinen Figuren steckt.“ Kleinert schwärmt von ihr: „Lange Großaufnahmen sind ein Genuss – und dann dieser Gang: einmalig!“ Sie ist meist die kühle Brünette, die ein leidend-leidenschaftliches Intermezzo geben kann, bevor sie wieder in Unnahbarkeit verfällt. „Einsam, suchend, hungrig“, so charakterisiert Kunzendorf ihre Marie. Damit steht sie nicht allein.
Aus dem Roman „Hurenkind“ machte Grimme-Preisträger Kleinert nicht umsonst „Hurenkinder“. Keine der zahlreichen Beziehungen in der Geschichte, die ein bisschen nach dem Reigen-Prinzip gestrickt ist, funktioniert. „Scheinbar hat jeder etwas mit Jedem, keiner ist dem Anderen treu, jeder sucht Befriedigung für den Augenblick“, so lautet für den männlichen Hauptdarsteller Stefan Kurt die emotionale Quintessenz des Films. „Alle biedern sich an, um Nähe zu bekommen.“ Selbstsucht und Einsamkeit ist der gemeinsame Nenner. „Manche Figuren sind ambivalent, bis ins Bösartige hinein“, betont Kleinert. Das macht den Film nicht leicht konsumierbar, zumal der Regisseur sich einer moralischen Interpretation und banaler psychologisierender Erklärungen der Figuren enthält. Kurt: „Für den Zuschauer ist manches schwierig zu verstehen, weil er nicht wie gewohnt an die Hand genommen wird.“
Foto: NDR
Die Geschichte vom multiplizierten Scheitern des Glücks, die besonders durch die Verknappung des Romans von Christine Grän auf 90 Filmminuten leicht etwas Kolportagehaftes hätte bekommen können, diese Wirkung wendet Kleinert mit seinem kunstvollen Bildstil geschickt von seinem Film ab. „Der Film sollte immer etwas an sich haben, das das Schwere nicht schwerer und das Leichte nicht leichter macht“, so Kleinert. „Hurenkinder“ bekommt durch diese Ästhetik etwas Sinnlich-Flimmerndes und zugleich etwas Allgemeingültiges. Der Film, der besonders auch in seiner stimmig-stimmungsvollen Ausstattung von Gabriele Wolff besticht, ist wie ein Sittengemälde angelegt, kann als Zustandsbeschreibung unserer Zeit gesehen werden. (Text-Stand: 4.6.2008)