Hurenkinder

Nina Kunzendorf, Stefan Kurt, Hollinger, Kleinert. „Alle biedern sich an, um Nähe zu bekommen“

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Foto Rainer Tittelbach

Marie ist die Tochter einer gealterten Puffmutter. Früher hat sie sich geschämt dafür. Heute ist die Beziehung zu ihrer Mutter, die einzige, die intakt ist. Marie kann nicht lieben, keine tiefen Gefühle entwickeln. Also konzentriert sie sich auf das Karrieremachen. Sie will ganz nach oben… „Hurenkinder“ ist wie ein Sittengemälde angelegt. Glück scheint es nicht zu geben in diesem stilistisch reifen TV-Drama von Andreas Kleinert nach dem Buch von Hannah Hollinger, in dem Kunzendorf als unnahbare Egomanin alle Heldenklischees sprengt.

So eine Heldin hat man in einem Fernsehfilm lange nicht gesehen. Marie ist die Tochter einer gealterten Puffmutter. Früher hat sie sich geschämt dafür. Heute ist die Beziehung zu ihrer Mutter, die einzige, die intakt ist. Marie kann nicht lieben, keine tiefen Gefühle entwickeln. Also konzentriert sie sich auf das Karrieremachen. Sie will ganz nach oben. Sie ist die jüngste Ressortleiterin eines Hochglanzmagazins geworden. Doch sie will mehr. Dafür schläft sie mit den Mächtigen. Bis sie Leon kennen lernt. Er ist anders. Er ist der erste Mann, den sie lieben kann, und der erste, mit dem sie nicht aus Berechnung schläft.

Nina Kunzendorf spielt jene Marie in Andreas Kleinerts „Hurenkinder“. Die Theaterschauspielerin, die nach ihrem mehrfach preisgekrönten Dominik-Graf-„Polizeiruf 110“ in mehreren wunderbaren TV-Rollen, so als Braut, die sich nicht traut, in „Angsthasen“ oder als Lehrerin in „Guten Morgen, Herr Grote“, zu sehen war, ist die ideale Anti-Darstellerin. „Ich spiele selten Sympathieträger im klassischen Sinne“, sagt sie. „Man muss schon aufmerksam hinschauen und sich interessieren für das, was hinter meinen Figuren steckt.“ Kleinert schwärmt von ihr: „Lange Großaufnahmen sind ein Genuss – und dann dieser Gang: einmalig!“ Sie ist meist die kühle Brünette, die ein leidend-leidenschaftliches Intermezzo geben kann, bevor sie wieder in Unnahbarkeit verfällt. „Einsam, suchend, hungrig“, so charakterisiert Kunzendorf ihre Marie. Damit steht sie nicht allein.

Aus dem Roman „Hurenkind“ machte Grimme-Preisträger Kleinert nicht umsonst „Hurenkinder“. Keine der zahlreichen Beziehungen in der Geschichte, die ein bisschen nach dem Reigen-Prinzip gestrickt ist, funktioniert. „Scheinbar hat jeder etwas mit Jedem, keiner ist dem Anderen treu, jeder sucht Befriedigung für den Augenblick“, so lautet für den männlichen Hauptdarsteller Stefan Kurt die emotionale Quintessenz des Films. „Alle biedern sich an, um Nähe zu bekommen.“ Selbstsucht und Einsamkeit ist der gemeinsame Nenner. „Manche Figuren sind ambivalent, bis ins Bösartige hinein“, betont Kleinert. Das macht den Film nicht leicht konsumierbar, zumal der Regisseur sich einer moralischen Interpretation und banaler psychologisierender Erklärungen der Figuren enthält. Kurt: „Für den Zuschauer ist manches schwierig zu verstehen, weil er nicht wie gewohnt an die Hand genommen wird.“

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Ambivalente Charaktere. Leon (Stefan Kurt) würde Marie (Nina Kunzendorf) gern die Welt zu Füßen legen.

Die Geschichte vom multiplizierten Scheitern des Glücks, die besonders durch die Verknappung des Romans von Christine Grän auf 90 Filmminuten leicht etwas Kolportagehaftes hätte bekommen können, diese Wirkung wendet Kleinert mit seinem kunstvollen Bildstil geschickt von seinem Film ab. „Der Film sollte immer etwas an sich haben, das das Schwere nicht schwerer und das Leichte nicht leichter macht“, so Kleinert. „Hurenkinder“ bekommt durch diese Ästhetik etwas Sinnlich-Flimmerndes und zugleich etwas Allgemeingültiges. Der Film, der besonders auch in seiner stimmig-stimmungsvollen Ausstattung von Gabriele Wolff besticht, ist wie ein Sittengemälde angelegt, kann als Zustandsbeschreibung unserer Zeit gesehen werden. (Text-Stand: 4.6.2008)

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Fernsehfilm

NDR

Mit Nina Kunzendorf, Stefan Kurt, Peter Franke, Michael Brandner, Ursina Lardi, Ulrike Krumbiegel, Hans Peter Hallwachs

Kamera: Johann Feindt

Szenenbild: Gabriele Wolff

Schnitt: Gisela Zick

Produktionsfirma: Studio Hamburg

Produktion: Doris Zander

Drehbuch: Hannah Hollinger

Regie: Andreas Kleinert

EA: 04.06.2008 20:15 Uhr | ARD

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