Herr Lenz reist in den Frühling

Ulrich Tukur, Karl-Heinz Käfer, Andreas Kleinert. Glücks-, Gender-, Liebesvarianten

Foto: Degeto / Christoph Demel Osterloh
Foto Rainer Tittelbach

Wenn ein Spießer eine Reise tut, dann wird er was erleben. Der von allen missachtete Familienvater und Versicherungsangestellte in „Herr Lenz reist in den Frühling“ wird ein Stück weit Erleuchtung finden. Nicht in den Armen einer Thai – der sexuell-moralische Diskurs dieser ARD-Tragikomödie ist sehr viel zeitgemäßer, bedient keine Altherrenphantasien. Ulrich Tukur überzeugt als Anti-Held, der durch die zahlreichen Wendungen der Geschichte zur inneren Wende gezwungen wird. Der Verbalmetaphorik zum Trotz ist Andreas Kleinert dank Kameramann Johann Feindt und dank Thailand ein sehr sinnlicher Fernsehfilm gelungen

Ein Mann, der missachtet und verachtet wird
Holger Lenz (Ulrich Tukur) ist ein kleines Licht. Er hat sich eingerichtet in seiner biederen Eigenheim-Existenz. Jetzt aber gerät das Leben des Abteilungsleiters einer Lebensversicherung immer mehr in Schieflage. Seine Frau Ilona (Steffi Kühnert) ist auf dem Absprung, sein schwuler Sohn Linus (Simon Jensen) verachtet ihn und in der Firma wird er mal wieder übergangen – sogar der Familienhund straft den Mann, der doch immer nur alles richtig machen wollte, mit Missachtung. Und jetzt auch noch dieser Spanier (Adolfo Assor) mit der Waschmittelflasche, in dem er Lenz die Asche seines Vaters überbringt! Der stramme Sozialist, für den nach der Wiedervereinigung eine Welt zusammenbrach, lebte die letzten 20 Jahre in Thailand. Den Kontakt zu seinem Sohn hat er später nie wieder aufgenommen. Was diesem bleibt von seinem Vater, ist neben der Asche ein Appartement in Pattaya. Um es bestmöglich zu verkaufen, macht sich Holger Lenz auf ins Land des Lächelns.

Herr Lenz reist in den FrühlingFoto: Degeto / Christoph Demel Osterloh
Sinnlicher Selbstfindungstrip in Thailand. Eigentlich will Holger Lenz (Ulrich Tukur) so schnell wie möglich wieder zurück nach Deutschland. Doch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, mit dem Vater, der ihn offenbar vergessen hatte, lässt ihn länger bleiben – und dann hat er plötzlich noch eine asiatische Halbschwester.

Viele Wendungen zwingen den Held zur Wende
Wenn ein Spießer eine Reise tut, dann wird er was erleben. Was konkret Ulrich Tukurs gebeutelter Anti-Held in „Herr Lenz reist in den Frühling“ widerfahren wird, das ist bei diesem ganz normalen bürgerlichen „Schisser“ nicht leicht zu erahnen. Auf das Naheliegende, ein thailändisches Sex-Abenteuer zum Ausgleich für den offensichtlichen zweiten Frühling seiner Gattin ohne ihn, verzichtet Autor Karl-Heinz Käfer erfreulicherweise. Und auch die sieben handgreiflichen Grazien, die bei Lenzens Ankunft sein geerbtes Appartement bevölkern, bedienen schließlich keine Altherrenphantasien. Auch als die aparteste der jungen Frauen dem Deutschen schöne Augen macht und sich später in eindeutiger Absicht in sein Bett schleicht, kommt alles ganz anders als erwartet. Und als Lenz jener Luck (Chananchida Rungpetcharat) das nächste Mal begegnet, haben sich die Rahmenbedingungen schon wieder entscheidend verändert: Sein Vater hat offenbar in Thailand noch einmal sein Glück gefunden – und so hat Lenz plötzlich eine Halbschwester. Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit. All diese Wendungen muss auch die Hauptfigur mitmachen. Die Folge: Lenz wird im Geiste wendiger – und er versteht nun seinen Vater, der ihn vermeintlich aus seinem Leben gestrichen hat, ein Stück weit besser. Und nach einem Clou der Handlung wird er ihn nach 60 Filmminuten noch besser verstehen, genauso wie seinen schwulen Sohn nach der Rückkehr in die Heimat.

Soundtrack: Pink Floyd („Is There Anybody Out There?“), The XX („Crystalised“), Dave Berry („The Crying Game“), Ernst Busch („Jeder Traum – Was ich singe, sing ich den Genossen“), Radiohead („Knives Out“)

Herr Lenz reist in den FrühlingFoto: Degeto / Christoph Demel Osterloh
Von seiner Reise gezeichnet: Lenz (Ulrich Tukur) macht sich so seine Gedanken – über sich, seinen Vater und sein Leben, das er gegen die Wand gefahren hat. Was hat der Ossi 1990 aus seiner neuen Freiheit gemacht? Von wegen Mauern einreißen!

Verbalmetaphern, Film im Film und der Weg als Ziel
Das Weltbild des Helden wird in Thailand auf den Kopf gestellt. Autor Käfer verlängert die thematischen Vorlagen der Geschichte, die Glücks-, Gender- & Liebesvarianten, in Richtung auf den Zuschauer, ohne ihn allzu gut meinend auf die Fährte der Toleranz zu schicken. Der sexuell-moralische Diskurs, auf den es Käfers Geschichte abgesehen hat, kann zwar zur Halbzeit des Films erahnt werden, aber der voltenreiche Weg dorthin ist auch Teil des Ziels. Dagegen pointiert der Autor in Fernsehfilm-Manier Sachverhalte allzu häufig mit überdeutlichen, wenig eleganten Metaphern: „Die Mauer war weg, aber zwischen uns beiden war Beton“, so sieht Lenz heute die Beziehung zu seinem Vater nach der Wende. Doch damit nicht genug: Kennengelernt hat er seine Frau 1990 beim Pink-Floyd-Konzert in Berlin: „The Wall“ – alle Mauern einreißen war damals die Devise. Und heute? „Unser Haus ist besser bewacht als der antifaschistische Schutzwall“, bilanziert die Ehefrau entnervt die momentane Situation. Umso geschickter ist der dramaturgische Einsatz der modernen Medien. Immer wieder wird gechattet und auch das „Internet“ wird informationspolitisch und unterhaltsam genutzt. Dabei sind die Chats mehr als nur Mittel zum Zweck; in ihnen wird zugleich die Entfremdung der Ehepartner sinnlich spürbar. Und die Online-Videos, in denen der Sohn seinen Vater öffentlich lächerlich macht („Aus dem Tagebuch eines homophoben Spießers“), bringen die (Nicht-)Kommunikation der beiden noch treffender und bissiger auf den Punkt.

Zwischen Straßenrealismus und Erleuchtung
Den Begrifflichkeiten, Subtexten und gelegentlichen Kalauern gegenüber steht – wie es bei dem Schauplatz Thailand nicht anders zu erwarten ist – die sinnliche Welt der Bilder, der Zeichen, der Natur. Andreas Kleinert („Monsoon Baby“) und sein Lieblingskameramann Johann Feindt sorgen für einen filmischen Rahmen, der nie überästhetisiert ist, der zwischen Straßenrealismus und transzendenten Landschaftstableaux ausgewogen abwechselt. Es ist anfangs vornehmlich der Blick des überforderten Westeuropäers auf ein Land, das er nicht verstehen kann. Ulrich Tukur muss diese Entwicklungsgeschichte des von Frau, Kind und der eigenen Existenz entfremdeten Mannes weitgehend alleine schultern; er macht es erwartungsgemäß sehr überzeugend. Am Ende weht ein Hauch Erleuchtung durch die getragenen Bilder. Und ganz am Ende weht noch etwas anderes vom Berliner Fernsehturm.

Herr Lenz reist in den FrühlingFoto: Degeto / Christoph Demel Osterloh
„Zurückgekehrt begreift Lenz, welches Glück es ist, die Hand seines Sohnes zu halten“, so Kleinert. Opas guter Geist in der Flasche beseitigt Akzeptanzprobleme. Zwei Vater-Sohn-Beziehungen schweben über der tragikomischen Selbstfindung.

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Ulrich Tukur, Steffi Kühnert, Simon Jensen, Adolfo Assor, Chananchida Rungpetcharat, Peter Franke, Max Hopp, Vipavee Charoenpura

Kamera: Johann Feindt

Szenenbild: Myrna Drews

Kostüm: Andrea Schein, Myrna Drews

Schnitt: Gisela Zick

Musik: Daniel Dickmeis

Produktionsfirma: Eikon Media

Produktion: Ernst Ludwig Ganzert

Drehbuch: Karl-Heinz Käfer

Regie: Andreas Kleinert

EA: 20.07.2016 20:15 Uhr | ARD

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