Ein Kind ist verschwunden. Nicht irgendein Kind. Mia, vier Jahre, ist die Tochter von Hans Thomsen, einem der einflussreichsten Unternehmer in der Region. Das Innenministerium überträgt dem LKA Düsseldorf die Leitung der Ermittlungen. Großes Besteck also und hohes Tempo. Denn die Statistik sagt, dass nach 24 Stunden 90 Prozent der entführten Kinder tot sind. Helen Dorn und Gregor Georgi interessieren sich zunächst für die Familie der Verschwundenen und für die Nachbarschaft. Thomsen selbst will aktiv mithelfen, sagt aber der Polizei längst nicht alles, was er weiß und macht sein eigenes Ding. Als die Ermittler endlich erfahren, dass der Unternehmer mit seinen Investmentfirmen viele Existenzen zerstört hat, könnte der Fall eine Wende bekommen. Denn auch Thomsen selbst hat da so eine Vermutung und macht sich auf nach Holland mit einem großzügigen Angebot für eine andere „Heuschrecke“. Doch nach 30 Stunden gibt es immer noch kein Lebenszeichen von Mia.
„Unter Kontrolle“ heißt die zweite Episode der neuen ZDF-Samstagskrimireihe „Helen Dorn“, der Anna Loos ihr Gesicht leiht. Der Titel bezieht sich auf das Milieu, in dem Dorn & Georgi ermitteln müssen, eine Welt, in der Anwälte und Staatssekretäre das letzte Wort haben, in der offenbar aber auch die Familie, allen voran der prominente Hausherr, alles „unter Kontrolle“ haben möchte, kleine Unwahrheiten und faustdicke Lügen inklusive. Dieses Ambiente hat Auswirkungen auf die ästhetische Gesamtanmutung des Films. Dieses Umfeld ist keines zum Liebhaben. Distanzierte Eleganz, wohin das Auge reicht – in der Art zu wohnen, miteinander zu reden, oder auch in der Art, wie man sich gegenseitig nicht die Wahrheit sagt. Optisch dagegen scheint alles umso transparenter zu sein. Alles erscheint irgendwie kantig, stylish grau, gläsern, funktional. Nicht nur das Design. Fahl auch die Blicke der Ermittler, hüftsteif die hohen Herren, blutleer die Weiblichkeit. Und auch die Farben im Bild – wie weggewischt.
Was anfangs noch als der typische Matti-Geschonneck-Krimi-Look durchgeht, der die Beziehungsinnenwelten sinnhaft nach außen kehrt, wird dieser Erzählstil der wegretuschierten Gefühle, der Leichenmienen und der Schöner-Wohnen-Gefriertruhe-Ästhetik wahrnehmungspsychologisch zur Falle. Nicht zuletzt auch deshalb, weil „Unter Kontrolle“ nach dem Drehbuch vom doppelten Grimme-Preisträger Magnus Vattrodt auch ein gewaltiges dramaturgisches Problem besitzt. Das große Besteck, der Apparat der Macht im Nacken der LKA-Beamten, der multiperspektivische Angang der Geschichte, das Mehrwissen für den Zuschauer, das einem unvermittelt präsentiert wird, das einem aber auch nicht hilft beim Entschlüsseln des Plots und das darüber hinaus die Distanz, die dieser Krimi ohnehin schon in jedem Bild, jeder Situation vermittelt, nur noch erhöht. Mit diesem Film, dieser Story, diesen Charakteren, wird man einfach nicht „warm“. Vielleicht liegt es daran, dass sich Vattrodt zwischen Krimi und Drama nicht recht entscheiden kann. So wird es weder richtig spannend noch beziehungs- oder gesellschaftspolitisch erhellend. Erstarrt in Perfektion – es kommen einem bei diesem Samstagskrimi Zweifel, ob sich das nur auf die Geschichte bezieht.
Und dann noch diese Ermittler! War im ersten „Helen-Dorn“-Krimi Matthias Matschke als Kriminaler außergewöhnlich stark, sodass man gern bereit war, ohne Murren die Dauermuffelmiene, die Anna Loos ihrer Heldin 90 Minuten lang verpasst hatte, hinzunehmen, funktioniert diese Arbeitsteilung in „Unter Kontrolle“ nicht mehr. Der Verzicht auf Helden zum Anfassen, die sich nicht den Alltags- und Krimi-Ritualen hingeben, sich nicht ergehen im banalen Kriminaler-Geplänkel, ist – keine Frage – der richtige Ansatz. Vielleicht muss man auch keine großen Erklärungen für das So-Sein einer Figur geben. In diesem Fall aber, in dem die Ermittler die ersten 50 Minuten nicht „tiefer“ – nur eben ernster & bedeutungsschwerer – als der Fernsehdurchschnittsbulle ermitteln, sollte man dann doch mal wissen, was Sache ist, oder eben die „Leere“ des Mienenspiels für den Zuschauer anders aufladen. Man bedenke, zu was Heino Ferch als ähnlich „sparsamer“ Charakter in der „Spuren-des-Bösen“-Reihe alles in der Lage ist. Klar, Dorn und Georgi sind LKA-Beamte und keine Polizeipsychologen, sie kommen aus Düsseldorf und nicht aus Wien, und sie haben sich noch nicht gefunden.
Leidet man als Kritiker bei einem Film von Geschonnek/Vattrodt und mit Barbara Auer und Herbert Knaup in den Gasthauptrollen, ist es ein Leiden auf hohem Niveau. Und dann sind ja noch die Szenen mit dem alten köstlich boshaften Ehepaar, gespielt von Johann Adam Oest und Margit Bendokat, und die letzten 30 Minuten, in denen der Film endlich emotional anzieht. Dass die bittere Ironie des Schicksals, die für einen KrimiKrimi als Idee taugen mag, gerade weil diese Ironie gleich doppelt und dreifach über die Unternehmerfamilie hereinbricht (und darin angenehm „unrealistisch“ ist), einen als Zuschauer nicht näher berührt, ist der weniger angenehme Nebeneffekt des gesamten Dramaturgie-Konzepts des Films. Kaum anders verhält es sich mit der „Auflösung“, die am Ende überraschend aus der Kiste gesprungen kommt.