Am Schießstand ist er eine Null, dafür aber kennt Frank Koops (Aljoscha Stadelmann) seinen Harz, er weiß die Zeichen seiner Heimat zu lesen und unterschätzen sollte man ihn auch nicht. Und so hat sich der Dorfpolizist das verbrecherische Szenario bald plausibel ausgemalt, das sich in und um St. Andreasberg ereignet. Da ist zunächst der Mord an Vanessa Riemann, dem heißen Feger des Dorfes; sie und ihre beiden Brüder Marco (Godehard Giese) und Patrick (Hinnerk Schönemann) sind hoch verschuldet. Dann ist da dieser legendäre Banküberfall in Osterode, bei dem vor ein paar Tagen 1,4 Mio. Euro erbeutet wurden. Den Geschwistern ist dieser Coup nicht zuzutrauen – aber was ist mit dem Pärchen (Anna Schudt, Christoph Bach), das sich auf dem Campingplatz in Blicknähe vom Riemannschen Haus niedergelassen hat und bald mit den Brüdern Kontakt aufnimmt? Hat denen etwa Vanessa das Geld zwischenzeitlich abgeluchst? Da staunt die Frau vom LKA aus Hannover (Julia Koschitz) nicht schlecht: So viel Ermittler-Kompetenz hätte sie in der niedersächsischen Provinz nun wirklich nicht erwartet und – quasi als Zeichen ihrer Anerkennung – geht sie mit Frank Koops ins Bett.
Foto: Degeto / Volker Roloff
Allein der Harz liegt immer mal wieder im Nebel in „Harter Brocken“, jenem Outdoor-Krimithriller, für den die ARD gleich zwei Grimme-Preisträger hinter der Kamera, Stephan Wagner und Holger Karsten Schmidt, verpflichten konnte. Die Handlung dagegen ist trotz der mythengeschwängerten Landschaft und trotz der nahenden Walpurgisnacht alles andere als vernebelt. Als Zuschauer ist man über die Motive der Protagonisten alsbald bestens im Bilde. Wie sich die drei Parteien – der Polizist und die LKA-Frau, die Brüder und das Räuberpärchen – aus der Affäre ziehen (werden), macht den besonderen Reiz dieses Films aus. Es ist ein Katz- und Mausspiel mit ziemlich cleveren Partnern, ein ständiges Sich-gegenseitig-Belauern, ein Bluffen, bei dem man nie so genau weiß, wer nun eigentlich die besseren Karten hat. Wer gefährlicher ist oder wer von denen, die mit krimineller Energie ausgestattet sind, einem sympathischer sind – auch das wechselt ständig. Die Bankräuber mögen zu Beginn den Finger allzu schnell am Abzug haben; später aber bringt ihnen der liebevolle Umgang miteinander durchaus emotionale Pluspunkte ein. Dagegen verfahren die Riemann-Brüder, denen die geliebte Schwester genommen wurde (nachdem diese allerdings dem Räuberpärchen das Geld geklaut hat), nach dem Motto „Gelegenheit macht Diebe“ – und wenn’s sein muss: auch Mörder. Aus der Durchlässigkeit der sogenannten „Normalität“ für kriminelles Handeln resultiert ein Stück weit die Faszination dieses Sechs-Personen-Stücks unter freiem Himmel.
Foto: Degeto / Volker Roloff
Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt („Auslandseinsatz“) verfährt einmal mehr nach dem Prinzip reduziertes Personal in einer konzentrierten Handlung, um damit den größtmöglichen Spannungseffekt zu erzielen. Auch verschießt dieser Krimi-Western aus dem deutschen Wald trotz Verfolgungsjagd mit tödlichem Schusswechsel in der Exposition sein Pulver nicht zu früh: so begeben sich nach 60 Minuten alle Parteien plus der Zuschauer mit der bestmöglichen Informiertheit auf die spannende Zielgerade, an deren Ende ein bleihaltiger Showdown steht, ganz so, wie man es von Schmidts coolen ZDF-Krimis „Mörder auf Amrum“ oder „Mord in Aschberg“ her kennt. Der Handlung regelrecht den Marsch bläst der Filmkomponist Ali N. Askin mit seinem ungewöhnlichen Score. Die Story mit ihren rituellen Zufälligkeiten (Koops kommt nach einem Unfall gerade wieder rechtzeitig zu sich, um den Showdown zu beenden) ist selbstredend dem Genre und nicht der deutschen (Krimi-)Realität verpflichtet. Und bei diesem Ermittler und dessen Darsteller, Aljoscha Stadelmann („Riskante Patienten“), kommt ein leichtes Schmunzeln fast ganz von selbst. Eingeführt wird er am Schießstand. Kein Treffer. Das kann nicht sein: „Ich bin doch der Dorfpolizist.“ Die Kollegen bestätigen es gern: Die Munition ist schuld. Das Intro führt den Zuschauer fast ein bisschen auf die falsche Fährte. Dieser Koops ist keine Lachnummer. Den kann man durchaus ernst nehmen. Ein arbeitsscheuer Dorfbulle jedenfalls ist er nicht. Und was ist mit den Frauen? „Warum hast du eigentlich nicht geheiratet?“, will sein Freund Heiner wissen. „Hat sich nicht ergeben.“
Dem Film von Stephan Wagner, Grimme-Preisträger 2013 für „Der Fall Jakob von Metzler“ und 2014 für „Mord in Eberswalde“, läuft nicht nur auf einem der Fiktion-Sondertermine am Samstag, er ist auch besetzungstechnisch ein Ausnahmefall: Wäre das Zweite das Erste hätte sicher nicht Stadelmann hier seine erste TV-Hauptrolle gespielt, sondern irgendein namhafter Kollege (beispielsweise der sehr verdiente Bjarne Mädel), der wahrscheinlich die Rolle des Frank Koops’ in der Breite seiner Anlage entscheidend beschnitten hätte. Die anderen fünf Schauspieler, Julia Koschitz, Anna Schudt, Christoph Bach, Godehard Giese und Hinnerk Schönemann, sind zwar bekannter, aber auch sie sind punktgenau auf die Charaktere (und nicht auf irgendeine erhoffte Wirkung) hin besetzt. Stephan Wagner baut darüber hinaus auf Erzählökonomie; er setzt – passend zu den lakonischen Dialogen – die klar strukturierten Situationen straight, flüssig und kompakt in Szene. Während er & Cutterin Susanne Odelitz handlungstreibende Momente gern verknappen, nimmt er sich – offensichtlich gemäß der Buchvorlage – bereits in der Exposition Zeit für Atmosphärisches & Figuren-Philosophisches: ein Polizist, der hobbymäßig Figuren aus Speckstein schnitzt, keine großen Reden schwingt und der nicht unbedingt ein Ausbund an männlichem Charme und Sex-Appeal ist (aber vielleicht gerade deshalb die attraktive Kollegin herumkriegt?) – dieser Eigen-Sinn tut der Geschichte besonders gut. So bekommt das Erzählte in „Harter Brocken“ eine viel größere Dichte als in einem dieser zahllosen handlungsfixierten TV-Krimis.