Größer als Fernsehen

Janina Fautz, Schigiol, Fliegel, Wöhler, Hessler, Schnee. Raus aus dem Schlamassel

Foto: HR / Bettina Müller
Foto Rainer Tittelbach

„Größer als Fernsehen“ (HR) ist eine sympathische Komödie, die im Vorbeigehen eine Reihe von Zeitgeist-Phänomenen (Großprojekte in verschuldeten Gemeinden, Castingshow-Boom) leicht satirisch aufspießt und eine gelungene Balance zwischen Gefühl und Ironie findet. Der Film, eine Ko-Produktion von HR und Arte, gerät erfreulicherweise nicht ins dramaturgische Fahrwasser einer romantischen Komödie. Es geht um Hoffnungen jenseits von Tisch und Bett. Es geht um Lebensträume und Sehnsüchte einer Generation in einer schnelllebigen Zeit. Und damit diese Sehnsüchte befriedigt werden können, macht hier jeder jedem was vor. Das Ergebnis ist eine gut getimte, passend besetzte Spiel-im-Spiel-(Situations-)Komödie.

Es ist nicht nur der plötzliche Tod des Vaters (Werner Wölbern), der das Leben von Lisa (Janina Fautz) auf den Kopf stellt. Auch Berlin ist nicht das, was sich das Landei erhofft hat, und so nimmt sie das Erbe an, einen Gasthof nach alter Väter Sitte, und verlegt ihren Lebensmittelpunkt wieder zurück nach Körstel in die hessische Provinz. Doch der Traum von der hippen Gastronomie ist bald ausgeträumt. Die Dorfkneipe steht vor der Insolvenz. Die Rettung für die 24-Jährige, die sich schon ein Leben lang die Schulden des Vaters abzahlen sieht, könnte ein geplanter Ferienpark sein. Daniel Wollschläger (Nic Romm) vertritt die „SunParcs“ – und hat den Körsteler Bürgermeister Schulz (Gustav Peter Wöhler) sogleich freudestrahlend auf seiner Seite. Auch Lisa jubelt. Denn für das Großprojekt wird neben städtischem Bauland auch das Grundstück des Gasthofs benötigt. Und noch eine weitere Parzelle: die gehört Eleonore Kürschner (Marie Anne Fliegel), einer wohlsituierten älteren Dame. Die jedoch findet das pompös angepriesene Projekt so gar nicht sexy. Sexy findet die etwas ganz anderes: den ehemaligen Castingshow-Star Nico Hölter (Dennis Schigiol). Ständig laufen seine Videos auf ihrem Bildschirm und ihre mit Fotos zutapezierte Wohnzimmerwand gleicht der eines schwärmenden Teenagers. „Ein Konzert, nur für mich – nackt“, fordert die exzentrische Frau, dann würde sie ihr Grundstück verkaufen. Lisa kann sie „auf in Unterwäsche“ runterhandeln. Und dann heckt sie mit dem ganzen Dorf einen Plan aus, wie sie wohl das Unmögliche möglich machen könnten. Die Chancen stehen nicht schlecht, denn der Barde mit der romantischen Note fristet als Sänger längst ein bemitleidenswertes Dasein und muss froh sein, dass man ihn noch bei der TV-Reality-Show „Abgestürzt“ dabeihaben will.

Größer als FernsehenFoto: HR / Bettina Müller
Die Show, der Applaus, alles eine Mogelpackung, doch Nico (Dennis Schigiol) merkt nichts davon. Lisa bekommt zunehmend Schuldgefühle. Doch der Bürgermeister beschwichtigt: „Die Hoffnung, die der da oben spürt – die ist nicht Fake, die ist real“. Und tatsächlich scheint der ehemalige Castingshow-Star seinen Traum zu leben. „Das war alles falsch bei Lisa im Gasthof, aber nichts hat sich jemals so richtig angefühlt.“

„Größer als Fernsehen“ ist eine sympathische Komödie, die im Vorbeigehen eine Reihe von Zeitgeist-Phänomenen aufspießt und eine gelungene Balance zwischen Gefühl und Ironie findet. Leicht satirische Züge trägt gleich zu Beginn die Präsentation durch den Ferienpark-Verkäufer, der sich beim Bürgermeister so gar nicht anstrengen muss. „Ich mach das. Ich will das. Wir wollen das.“ Bei Lady Eleonore bezeichnet, muss er sich schon mehr ins Zeug legen. „Xanadu, Las Vegas, Disneyland und Körstel“, so überspitzt die Hollywood-like Präsentation auch dargestellt wird, dahinter steckt doch auch viel Wahres. Wie der Animateur die von Finanznöten geplagten Zuhörer zur Selbstfeier einlädt, das dürfte in vielen deutschen Städten und Kommunen im Prinzip ähnlich ablaufen. Von Dagobert Duck ist vorher schon einmal die Rede, in der Szene, in der Gustav Peter Wöhlers begeistert entgeistert blickender Bürgermeister es schon in der Stadtkasse klimpern hört, fehlen nur noch die Dollarzeichen in seinen Augen. Jene Eleonore aber entzieht sich dieser kleinbürgerlichen Leistungsschau. Sie ist eine Frau von Welt, die offenbar alles schon gesehen hat in ihrem Leben – und jetzt die Ruhe und die Erinnerung an das Gestern im verschlafenen Körstel genießt. Was fasziniert eine solche Frau (spannender Charakter, vielschichtig von Marie Anne Fliegel gespielt) an einem Jungspund einer Castingshow? Das „nackt“ verweist erwartungsgemäß auf etwas anderes als auf eine lüsterne alte Dame. Doch bis Autor Benjamin Hessler darauf eine Antwort gibt, gerät erst einmal der Sänger mit seinen unterschiedlichsten Stimmungslagen in den Fokus der Geschichte. Die Heldin hat da einen perfiden Plan geschmiedet. Mit einem richtigen Konzert in Körstel (ohne seinen größten Fan!) soll Nico Hölter, gebucht sonst nur noch von Möbelmärkten oder Autohäusern geködert werden. Blöd nur, dass der junge Mann so nett ist.

Größer als FernsehenFoto: HR / Bettina Müller
Proletarier-Treffen am Tresen = volle Deckel, leere Kasse. Und noch lebt Lisas Vater (Werner Wölbern). Aber in ihrer Erinnerung kehrt er noch einige Male nach seinem Ableben zu ihr zurück. Fritz Roth, Rainer Piwek & Jürgen Rißmann

Und so folgen Lisas Gewissensbisse auf dem Fuß. Sie sind menschlich-moralischer und weniger den Zuschauererwartungen gemäß sexuell-amouröser Natur. Dadurch gerät „Größer als Fernsehen“ nicht ins dramaturgische Fahrwasser einer romantischen Komödie. Und so verschwinden die Erzählmotive nicht im funktionalen Strudel einer Liebesanbahnung, sondern behalten ihren Eigenwert. In dem Film von Christoph Schnee (Kückückskind“) geht es um Hoffnungen jenseits von Tisch und Bett. Es geht um Lebensträume und Sehnsüchte einer Generation in einer schnelllebigen Zeit. Gerade ist ein Traum wahr geworden, da ist er schon wieder geplatzt. Die ständige Suche nach Optionen treibt die beiden jungen Hauptfiguren an: „die eine Chance, dass alles so wird, wie man es sich vorgestellt hat“, sich rausbeamen aus dem Schlamassel, von diesem ewigen Wunsch erzählt der Film. Und er deutet an, dass es eben doch manchmal ein richtiges Leben im falschen geben und der Idealismus im Idealfall die Realität tranzendieren kann. Wohl nicht ohne Grund fallen die Namen Marx und Engels in den Witzen dreier alter Proletarier, die sich trinkfest am Tresen vereinigen. Der Sänger schafft sich lieber seine eigene Realität, macht sein Ding. „Das war alles falsch bei Lisa im Gasthof, aber nichts hat sich jemals so richtig angefühlt“, zu dieser Erkenntnis kommt er ausgerechnet in der Reality-Show „Abgestürzt“, die den Körsteler Geschichten den Erzählrahmen gibt.

Das Spiel mit den Ebenen zieht sich ohnehin durch „Größer als Fernsehen“ und sorgt für ein gewisses Maß an Abwechslung. Da geht es vom besagten Dschungel-Show-Auftritt in die nahe Vergangenheit nach Körstel und dann immer wieder per Video zurück in die Zeit, als der Castingshow-Zweite noch träumen durfte, bis am Ende eine TV-Botschaft von Nico direkt an Lisa in Körstel gesendet wird. Spiel im Spiel – das Prinzip prägt ganz besonders die Interaktionen. Damit die eigenen Sehnsüchte befriedigt werden können, macht hier jeder jedem was vor. Lisa hofiert Nico, obwohl sie weiß, dass er ganz unten auf der Showbiz-Leiter angekommen ist. Sie belügt ihn, weckt falsche Erwartungen, und das Konzert ist ein einziger Fake. Auch Nico spielt lange bei der falschen Feier seines Egos mit. Selbst Eleonore schwindelt, was ihre Schwärmerei für den Sangeskünstler angeht. Ihr Geheimnis kennt der Zuschauer nicht, er weiß aber, was die Heldin im Schilde führt, ohne den genauen Plan zu kennen: Für eine gut funktionierende Komödie ist diese Mischung aus Wissen und Nichtwissen die beste Voraussetzung. Als der Zuschauer dann im Bilde ist und nach einer Stunde Eleonore den Plan zu durchkreuzen droht, kommt zwischenzeitlich komödiantische Spannung auf. Das Timing dieser Komödie ist allerdings durchweg vorzüglich; da sie eher szenisch (ein kleiner Tusch für das Szenenbild von Manfred Döring) als filmisch strukturiert ist, entsteht Tempo aus den Situationen und dem Spiel. Und auf der Zielgeraden wird es dann kurzzeitig emotional, aber nicht versöhnlich oder gar romantisch. Man fühlt eher mit den Hauptfiguren mit, spürt die Enttäuschung, die Verletzung, die Scham. Dass diese Momente aufgehen und nicht in Rührseligkeiten ausarten, das liegt vor allem am souveränen Spiel von Janina Fautz, die schon seit Jahren alle Tonlagen von Drama („Wir Monster“) und Komödie („Meine teuflisch gute Freundin“) beherrscht. Aber auch Dennis Schigiol, dessen Musical-Erfahrung für den Film Gold wert ist, nimmt man den idealistischen Sänger im mehrfachen Seelentief ab. So ist „Größer als Fernsehen“, diese Komödie mit Musik (ein leider nur selten erfolgreiches Genre), eine richtig runde, unterhaltsame Sache geworden, die man sich als HR-Produktion allenfalls noch etwas schräger hätte vorstellen können.

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Fernsehfilm

Arte, HR

Mit Janina Fautz, Dennis Schigiol, Marie Anne Fliegel, Gustav Peter Wöhler, Nic Romm, Werner Wölbern, Rainer Piwek, Jürgen Rißmann, Fritz Roth, Martina Eitner-Acheampong, Dagmar Leesch, Oliver Fleischer

Kamera: Diethard Prengel

Szenenbild: Manfred Döring

Kostüm: Peri de Braganca

Schnitt: Stefan Kraushaar

Musik: Bertram Denzel, Max Knoth

Redaktion: Lili Kobbe, Liane Jessen (beide HR), Andreas Schreitmüller (Arte)

Produktionsfirma: Hessischer Rundfunk

Drehbuch: Benjamin Hessler

Regie: Christoph Schnee

Quote: ARD: 2,11 Mio. Zuschauer (7,8% MA)

EA: 05.04.2019 20:15 Uhr | Arte

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