Die Frauen sind schön, die Bilder auch; wenn da bloß nicht die Musik wäre! Wobei: Der Begriff „Musik“ weckt völlig falsche Assoziationen; „Geräusche“ wäre treffender, denn Melodien im herkömmlichen Sinn sind die Ausnahme in diesem Hochglanz-Thriller. Fabian Römer und Steffen Kaltschmid haben einen Klangteppich komponiert, der wie ein ständiger Unruheherd wirkt. Es gab mal ein Schülerdrama über einen vermeintlichen Amokläufer, das den Titel „Ihr könnt euch niemals sicher sein“ trug; dies ist exakt das Gefühl, das die Musik vermittelt. Und es passt perfekt: „Getrieben“ ist ein Thriller über zwei Frauen, die einen Serienmörder suchen; selbstverständlich gerät am Ende eine der beiden selbst in Lebensgefahr. Die beiden Frauen waren, wie der Film zunächst nur andeutet, vor nicht allzu langer Zeit ein Paar. Warum Psychologin Kara Bischoff (Petra Schmidt-Schaller) die Beziehung beendet hat, bleibt offen. Für die Aufklärung des Falls ist das nicht wichtig, aber Fragen, die unbeantwortet über der Handlung schwebend, rufen immer eine gewisse Irritation hervor. Mit der Beziehung hat Kara auch einen Schlussstrich unter ihre Zusammenarbeit mit Sibylle Deininger (Ulrike C. Tscharre) zogen, doch nun braucht die LKA-Kommissarin ihre Hilfe: Eine Frau ist auf bizarre Weise im eigenen Bett ermordet worden. Ihr Körper zeigt viele Schnittwunden, aber die Todesursache war eine andere: Der Täter hat sie mit Fahrradschläuchen so heimtückisch gefesselt, dass sie sich durch ihre Befreiungsversuche selbst stranguliert hat. Die Frau lebte mitten in Berlin in einem Stockwerk, in dem Einbrecher, wenn überhaupt, durch die Tür eindringen, aber der Mörder ist durchs Fenster gekommen.
Regiedebüt von Maris Pfeiffer, die das Drehbuch von Sabrina Maria Roessel und Axel Hildebrand überarbeitet hat, war einst die romantische Kinokomödie „Küß mich!“ (1995). Damals hatte sie vermutlich nicht den Plan, dereinst vor allem Kriminalfilme fürs Fernsehen zu drehen. Ob ihr eine Wahl bleibt oder nicht, weil ARD und ZDF größtenteils nur noch Krimis produzieren lassen, sei dahingestellt; entscheidend ist die Qualität ihrer Arbeit. Zeitverschwendung ist sie jedenfalls nie; ihre letzten Filme, überwiegend Beiträge zu Reihen wie „Tatort“ („Tod und Spiele“ aus Dortmund, 2018) oder „Polizeiruf 110“ („Starke Schultern“ aus Magdeburg, 2018) waren regelmäßig sehenswert. Das gilt auch für „Ein starkes Team“; hier hat sie zuletzt mit „Knastelse“ und „Tödliche Botschaft“ (beide 2016) den Neustart mit Stefanie Stappenbeck gedreht. Pfeiffers Inszenierungen zeichnen sich meist durch eine subtile Spannung aus, wie auch ihre Folgen für die erste Staffel der ZDF-Reihe „Schuld“ nach Ferdinand von Schirach (2015) belegten; oft sind ihre Filme sogar eher stille Krimis (etwa „Mord am Höllengrund“ mit Katharina Wackernagel, ZDF 2014). Ein Thriller funktioniert natürlich anders; das Genre lebt geradezu vom Nervenkitzel. Entsprechend wichtig sind Bildgestaltung, Musik und Sounddesign. Beim TV-Thriller muss außerdem schon der Auftakt sitzen, und um dies zu gewährleisten, bringt Pfeiffer gewissermaßen im Wortsinne ein Opfer: Sinja Dieks, gern auch als Hauptdarstellerin besetzt, hat hier nicht mehr zu tun als nach Hause zu kommen, den Fernseher einzuschalten und sich umbringen zu lassen.
Natürlich birgt es ein gewisses Risiko, einen Film mit einem ungewöhnlich inszenierten Mord zu beginnen, erst recht, wenn sich damit auch noch eine bekannte Schauspielerin aus dem Kreis der Mitwirkenden verabschiedet. Das weckt Erwartungen, die das Drehbuch aber erst mal souverän ignoriert, indem es Karla bei der Arbeit zeigt. Ihr Patient ist ein Alkoholiker, der nicht mehr lange trocken bleibt. Im Verlauf der weiteren Sitzungen wird Grewe (Matthias Matschke) eine Zeichnung über einen immer wiederkehrenden Alptraum verfeinern. Auf seinem ersten Entwurf sind nur eine kleine und eine große Gestalt zu sehen, aber je mehr Details der Mann hinzufügt, desto deutlicher wird das Grauen. Als das Bild schließlich fertig ist, wird es dank eines cleveren Animationseffekts auf verblüffende Weise lebendig. Außerdem findet Kara heraus, dass Grewe in seiner Kindheit ein traumatisches Erlebnis hatte. Damals ist ein Nachbarkind ermordet worden. Sein Körper war mit Schnitten übersät, doch daran wäre er nicht gestorben; auch hier spielten Fahrradschläuche eine entscheidende Rolle. Sibylle und ihr Team entdecken, dass es in verschiedenen Städten ähnlich zugerichtete Opfer gegeben hat, und selbstverständlich wird Grewe, im Alltag ein unauffälliger Familienvater mit Kfz-Werkstatt, zum Hauptverdächtigen. Am Ende präsentiert der Film natürlich einen ganz anderen Täter, und weil Pfeiffer „Getrieben“ sehr dicht und fesselnd inszeniert hat, ist es nicht weiter schlimm, dass erfahrene Zuschauer von seiner Identität nicht überrascht sein werden.
Sehenswert ist der Krimi auch wegen des reizvoll zusammengestellten Ensembles. Die Besetzungsliste ist imposant, weil selbst für kleine Nebenrollen bekannte Schauspielern engagiert wurden, darunter Michael Rotschopf als Experte für Kinderpsychologie und Karas Teilzeitgeliebter, Birge Schade als Sibylles Vorgesetzte, Julia Jäger als Ehefrau von Grewe und Christina Große als Gattin eines Verdächtigen. Interessanterweise wird die Ermittlungsebene von Frauen dominiert; unter anderem wohl auch, damit Sibylle ein Verhältnis mit ihrer Kollegin (Nina Gummich) haben kann. Viel interessanter ist aber natürlich die Beziehung zwischen ihr und Kara. Im Verlauf der Mördersuche kommen die beiden sich prompt wieder näher, erst recht, als klar wird, dass der Täter aus dem Umfeld der Psychologin stammen muss.
Dass die Ereignisse immer wieder aus seiner Perspektive gezeigt werden, erhöht die Spannung natürlich, weil die Zuschauer auf diese Weise mit eigenen Augen sehen, wie nahe der Mörder ihr bereits ist. Trotz solcher Spannungsmomente lebt der Film aber auch ganz entscheidend von der Beziehung der beiden Hauptfiguren, die einander vor allem beruflich ausgezeichnet ergänzen. Deshalb war es eine sympathische Idee, sie privat durch einen Hund miteinander zu verbinden, für den sie sich gewissermaßen das Sorgerecht teilen. Wie in vielen Filmen über Psychologen gibt es im ersten Akt eine Vorlesungsszene, in der Kara angehende Kriminalpsychologen über verschiedene Formen der destruktiven Beziehungssymbiose infomiert. Auf diese Weise bekommt die Geschichte ein Subthema, das sich in den verschiedenen Handlungsebenen wiederfindet; und das Publikum einen versteckten Hinweis auf die verblüffende Lösung des Falls, die gradewegs zum fesselnden Finale führt.