Von einem Tag auf den anderen verlässt die 16-jährige Liz das Internat, auf dem sie zuletzt so glücklich war. Hat es mit Robert, ihrem Freund zu tun? Hat er vielleicht doch größere Probleme mit ihrem Spitzfuß, als er zugeben mag? Mutter Susanne freut sich darüber, dass Liz jetzt wieder bei ihr und ihrem Lebensgefährten wohnt. Obgleich sie sich schon auch wundert über den plötzlichen Sinneswandel ihrer Tochter. Sie hatten zuletzt oft Stress miteinander. Immer wieder ging es um die unterschiedlichen Haltungen bezüglich des Spitzfußes. Vier Operationen hat Liz über sich ergehen lassen – ohne Erfolg. Geblieben sind riesige Narben, doch offenbar auch Wunden, die nicht sichtbar sind. Das Mädchen, die sich auch jetzt wieder dem Drängen der Mutter ausgesetzt sieht, „diesen furchtbaren Fuß“ operieren zu lassen, hat sich arrangiert mit ihrer Gehbehinderung. Sie will nicht bemuttert werden. Sie will von der Mutter so akzeptiert, so geliebt werden, wie sie ist: mit ihrem Makel.
Dieses Mädchen hat es doppelt schwer. Inmitten ihrer Pubertät muss die 16-jährige Heldin des Fernsehfilms „Geliebtes Kind“ einerseits die Fehlbildung ihres rechten Fußes verkraften und sich andererseits gegen eine zumindest äußerlich perfekte Mutter behaupten. Liz wirkt zunächst angepasst, ist kein dauermotzender Teenager, der völlig auf Durchzug macht, wenn die Mutter etwas sagt. Dafür haben beide gemeinsam zu Vieles durchgemacht. Doch nach und nach sucht sich das Mädchen ihre Freiräume. Sie verbringt ihre Freizeit mit Karin, dem Sozialfall jener Wohnsiedlung, die die Mutter als erfolgreiche Immobilienverwalterin gerettet hat und weiter sanieren will. Sie opponiert leise, um am Ende eine klare, eigene Meinung zu vertreten. Sie nimmt das Recht eines selbst bestimmten Lebens für sich in Anspruch, sie weigert sich, weitere operative Eingriffe über sich ergehen zu lassen. Doch wird Mutter den „Kampf“ um das ihrer Meinung nach vermeintliche Glück ihrer Tochter aufgeben?
Foto: WDR / Tom Trambow
„Der Film wirft Fragen auf vom richtigen, ja möglichst perfekten Körper und über die Möglichkeiten und die Grenzen der chirurgischen Korrektur von nicht ganz Perfektem“ (Barbara Buhl, WDR)
„Der Film kreist um die Themen Selbstbestimmung, Akzeptanz von Behinderung, Vorstellungen von körperlicher Perfektion sowie die Frage danach, wie viel Eigenständigkeit der eigenen Kinder die Eltern ertragen.“ (Juliane Thevissen, Produzentin)
Dieter Bongartz („Der beste Lehrer der Welt“) hat das Drehbuch zu „Geliebtes Kind“ nach seinem eigenen, gleichnamigen Roman geschrieben. Die Mutter-Tochter-Psychologie ist stimmig entwickelt, tief ausgelotet und szenisch sehr beiläufig umgesetzt. In dieser Beziehung werden Selbstbestimmung und liebevolle Abnabelung zu universalen Motiven, die den Film für Jugendliche wie Eltern gleichermaßen reizvoll machen. Die Behinderungsthematik verschärft den Konflikt und macht den Film von Sylke Enders („Mondkalb“) Prime-Time-tauglich. Wer mag, kann das Konnotationsfeld erweitern auf die Glücksversprechen der plastischen Chirurgie und die gesellschaftlichen Vorstellungen vom möglichst perfekten Körper.
Doch der Film braucht solche Gedanken allenfalls, um ihn der Öffentlichkeit zu verkaufen. Wer ihn sieht, dürfte zwar die vielfältigen Projektionsflächen erkennen (da verleugnet z.B. der Freund die behinderte Freundin und die wiederum ihre uncoole Mutter), aber die sich in einem schmucklosen, abgedunkelt fotografierten Realismus ergehende WDR-Produktion wirkt nie überfrachtet oder bedeutungsschwer. Der Mutter-Tochter-Konflikt genügt sich selbst. In seiner Darstellung steckt die größte Stärke dieses Films: Gefühle werden nie äußerlich hochgejazzt. Keine patzigen Wutausbrüche, keine fliegenden Türen, kein Teenager, der die Fliege macht und von den Erwachsenen gesucht werden muss… Anica Dobra zeichnet mit größtmöglicher Dezentheit eine Frau, die alles andere als dezent ist, die alles besser kann, und sie zeigt dabei, dass sie nicht nur Komödie beherrscht, und Mathilde Bundschuh, zuletzt ikonografisch missbraucht im „Tatort: Verschleppt“, beweist nach ihrer Hauptrolle in „Rosannas Tochter“ erneut ihr großes Talent. „Alles muss immer perfekt sein“, heißt es im Film. „Geliebtes Kind“ ist nicht perfekt, aber sehr sehenswert! (Text-Stand: 7.4.2012)
Foto: WDR / Tom Trambow