Hamburg, St.Pauli, Freitag 17:00 Uhr. Menschenmassen strömen zum Millerntorstadion! Noch 90 Minuten trennen den FC St. Pauli vom Aufstieg. Hinter den Spielern auf dem Platz steht immer der Zwölfte Mann, die besten Fans der Liga: Magnus (Timo Jacobs), Kowalski (Denis Moschitto), Arne (Fabian Busch), Dr. Hennings (Claude-Oliver Rudolph), Baldu (Mario Adorf) – sie trennen Welten voneinander, sie eint die gemeinsame Leidenschaft. Für ihren Verein würden sie durchs Feuer gehen. Jetzt scheint ihr großer Traum zum Greifen nah – der Aufstieg in die Erste Liga! Ein Spiel, das nicht nur über das Schicksal von St. Pauli entscheidet, sondern auch über das Schicksal der Kumpels Magnus, Kowalski und Arne. Denn in den dramatischen 90 Minuten zeigt sich, wie viel die Freundschaft wirklich wert ist, die sie verbindet. Während die Fans auf den Tribünen den Aufstieg ihres Vereins bejubeln, kommt es vor dem Stadion zur Katastrophe mit tödlichem Ausgang.
Foto: NDR / Wamsganz
In der Bundesliga kickt St. Pauli längst in der 2. Liga. Tarek Ehlail zeigt aber noch einmal den letzten Aufstieg der Kiez-Kicker 2010, den sie rund um den 100. Geburtstag feiern konnten. „Niemand siegt am Millerntor!“ – so heißt der Untertitel des Films „Gegengerade“. Kein fiktiver Fußballfilm, der Ball rollt, aber man sieht ihn nicht. Es geht um die Fans, Geschichten rund um das Stadion. Es sind lose aneinandergereihte Szenen, gemischt mit dokumentarischen Aufnahmen, zusammengehalten durch den Rahmen der 90 Minuten des Spiels. Wild springt Ehlail („Chaostage – We Are Punks!“) hin und her, das ist gewöhnungsbedürftig, den Takt der Bilder (Kamera: Mathias Prause) bestimmt mehr und mehr die Musik, ein schriller Mix aus Punk und Electro. Thematisch packt der Co-Autor (gemeinsam mit Moses Arndt) und Regisseur alles rein, was ihm einfällt: Hooligans, Kommerz, Gentrifizierung, Freundschaft, Aufhebung sozialer Unterschiede, Polizeigewalt, zerbrechende Beziehungen.
Weniger wäre da mehr gewesen. Auch bei den Darstellern hat Ehlail in die Vollen gegriffen, namhafte Mimen spielen sich die Bälle zu: Claude-Oliver Rudolph als fußballverrückter Arzt, Moritz Bleibtreu als kühler Immobilienmakler, Dominique Horwitz als schmieriger Staatsanwalt, Mario Adorf als Imbisspächter. Hinzu kommen Katy Karrenbauer, Natalie Avelon oder Wotan Wilke Möhring (der BVB-Fan hat einen Kurzauftritt als Fan auf der Gegengerade). Hübsch anzusehen, aber so richtig überzeugen kann das Staraufgebot nicht, zu mühsam schleppt sich der Film dahin, zu bemüht sind die Dialoge und philosophischen Anmerkungen zur schönsten Nebensache der Welt. Das ist teilweise effektvoll inszeniert – etwa das Finale, wenn der Kiosk in Flammen aufgeht, Mario Adorf als Kioskpächter zu Boden geht – und das alles zu Klängen der Fußballhymne schlechthin, „You’ll never walk alone“.
Für einen Fußball-Film fehlen Leidenschaft und Glaubwürdigkeit, für ein Kiez-Drama fehlen Tiefe und eine packende Geschichte. „You’ll never walk alone“ heißt die Hymne vom Millerntor. Dieser Film will mittendrin sein, lässt einen aber weitgehend allein. Fazit: Dokumentarfilme über Fußball sind meist spannender und authentischer – so wie „Die Wand“, der Film über die „Gegengerade“ bei Borussia Dortmund. (Text-Stand: 2014)