Frei

Ken Duken, Julie Engelbrecht, Fischerauer. Lehrstück, Liebesdrama, Agentenfilm

Foto: BR / Tellux / Schwabenitzky
Foto Thomas Gehringer

Eine Jüdin und ein ehemaliger SS-Offizier begegnen sich nach dem Krieg auf der Flucht und verlieben sich ineinander. Ein nicht sehr glaubhaft konstruiertes Liebesdrama, aber ein starker Ken Duken in der männlichen Hauptrolle und ein zunehmend spannendes Versteckspiel in Buenos Aires. Überzeugend folgt der konventionell inszenierte Film der „Rattenlinie“, auf der mit Hilfe des Vatikans und der Geheimdienste alte Nazis nach Südamerika fliehen konnten. Ein Lehrstück, das sich mit einer zweifelhaften Liebesgeschichte interessant machen will.

Viktor Voss ist nach Kriegsende auf der Flucht. Er lässt sich von einem Helfer durch die verschneiten Alpen führen, eine einsame Berghütte in Südtirol ist das Zwischenziel. Vor der Tür liegt ein erfrorener Mann, drinnen versteckt sich eine junge Frau namens Eva. Am nächsten Morgen entdeckt Voss‘ Fluchthelfer die Frau und versucht sie zu vergewaltigen. Voss schreitet ein, sein Helfer fällt unglücklich mit dem Kopf auf eine Kante und stirbt. Voss nimmt Eva mit ins Tal, wo sich seine Frau und seine Tochter Emma bei einer Bäuerin verbergen. Allerdings ist die Ehefrau gerade an Krebs gestorben. Voss heuert Eva als Emmas Kindermädchen an. Über Rom und Genua soll es nach Argentinien gehen. „Warum müssen Sie weg aus Deutschland?“, fragt Eva. „Weil Emma nicht im Land der Mörder aufwachsen soll“, antwortet Voss, dessen linker Oberarm eine schmerzende Wunde aufweist.

Mit diesem Satz gibt sich Eva (bezaubernd, aber blass: Julie Engelbrecht) zufrieden, was auf die Dauer schon sehr naiv wirkt, denn Gründe, misstrauisch zu werden, gibt es reichlich. Die Jüdin verliebt sich, ohne es zu wissen, in den ehemaligen Obersturmbannführer mit der herausgebrannten SS-Tätowierung. Voss dagegen entdeckt schon bald die Auschwitz-Nummer auf Evas Arm. Dass sie ihren neuen Gefährten erst ganz am Ende des Films durchschaut, ist natürlich eine dramaturgische Notwendigkeit, die hier aber nur mit Ach und Krach glaubhaft bleibt. Es gilt die Formel: Liebe macht blind. Nachvollziehbarer ist Evas Hoffnung auf ein besseres Leben, nachdem sie Jahre in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Auschwitz verbracht hatte. Wieso sie sich Monate nach Kriegsende allerdings ebenfalls allein auf der Flucht über die Alpen befindet, bleibt offen, denn dafür gäbe es wohl keine halbwegs einleuchtende Erklärung. Allzu perfekt fügt sich auch die Kinderrolle in die Geschichte ein: Die aufgeweckte Emma akzeptiert Eva sofort als Mutter-Ersatz und spricht, kaum in Argentinien angekommen, fließend Spanisch.

FreiFoto: BR / Tellux / Schwabenitzky
Krimi mit Lehrstück-Charakter. Schwächer fällt die Romanze aus. Julie Engelbrecht und Ken Duken in Bernd Fischerauers „Frei“

Bernd Fischerauer hat zuletzt mit einer Reihe von Filmen für den Bildungskanal BR alpha deutsche Geschichte erzählt, in einem um historische Exaktheit bemühten, aber auch etwas steifen Protokoll-Stil. Auch hier inszeniert er sein eigenes Drehbuch chronologisch und ein bisschen altmodisch konventionell, aber für die Konstruktion einer eigentlich unmöglichen Liebe nimmt er sich soviel künstlerische Freiheit, dass es knirscht. Das gilt auch für die mit Ken Duken erstklassig besetzte Figur des Viktor Voss, der von seinen alten Kameraden vor allem als „Organisationstalent“ gerühmt wird. Ein Schreibtischtäter also, aber auch ein geübter Killer, denn das Drehbuch verlangt es, dass er reihenweise Widersacher mit einem einzigen Schlag gegen den Kehlkopf oder einem einzigen Ruck, der zum Genickbruch führt, tötet. In solchen Szenen wird der Nazi zum Actionhelden – ein zwiespältiges Vergnügen.

Dieser Voss ist eine extreme, etwas diffuse Figur. Er war bis vor kurzem ein fleißiger Helfer im Holocaust, hat auch bei Massenerschießungen selbst gemordet – und verliebt sich nun in eine Jüdin und bringt ihretwegen alte Kameraden um? Da muss man tief durchatmen, aber Ken Duken spielt das sehenswert, er lässt viele Deutungen offen. Man glaubt ihm den eiskalten Nazi ebenso wie den intelligenten Karrieristen, der sich nun nach dem Krieg auf die Seite der Sieger schlagen will. Und behutsam lässt Duken einen Menschen erkennen, der langsam zu begreifen scheint, woran er da beteiligt war. Wahre Reue ist das aber nicht.

Was will Fischerauer, der in dem Film selbst eine kleine Rolle übernommen hat, uns da erzählen? Und warum teilt der Bayerische Rundfunk in der Pressemitteilung zum Film mit, dass Fischerauers Vater „selbst Mitglied der Waffen-SS und nach dem Krieg noch überzeugter Antisemit war“? Ob dieser Film auch eine Form der Auseinandersetzung des Sohnes mit dem Vater ist, sei dahingestellt. Ganz sicher bietet er angesichts des differenzierten Spiels Dukens mehr als die verharmlosende Binsenweisheit: Nazis sind auch nur Menschen und haben Gefühle. Zumal Fischerauer in „Frei“ die Fluchthilfe für die Nazis nach dem Krieg überzeugend thematisiert. Erschreckend die unverhohlene Sympathie im Vatikan, wo Voss bei erlesenem Wein am Tisch des Bischofs tafelt. Zynisch das Interesse der amerikanischen Geheimdienste wegen der „Ost-Erfahrung“ des Massenmörders. Und gespenstisch die vielen alten Kameraden, die sich da in Buenos Aires tummeln und an neuen Seilschaften basteln. Hier laufen sich Täter und Opfer auf der Straße über den Weg, hier entwickelt sich ein spannendes Versteckspiel. „Frei“, das historische Lehrstück über die „Rattenlinie“ und nur zum Teil überzeugende Liebesdrama, wird am Ende zum soliden Krimi im Stile eines Agentenfilms.

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Fernsehfilm

BR

Mit Ken Duken, Julie Engelbrecht, Johannes Silberschneider, Volker Ranisch, Mathieu Carrière, Bernd Fischerauer

Kamera: Markus Fraunholz

Szenenbild: Rudolf Czettel

Schnitt: Rudolf Czettel

Musik: Hannes Michael Schalle

Produktionsfirma: Tellux Film

Produktion: Martin Choroba

Drehbuch: Bernd Fischerauer

Regie: Bernd Fischerauer

EA: 15.02.2014 22:00 Uhr | ARD

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