Der Hintergrund dieses ZDF-Dramas aus der Sonntagsreihe „Fluss des Lebens“ ist ein typisches „Immer mehr“-Thema: Immer mehr deutsche Rentner verbringen ihren Lebensabend in Thailand, weil die Altenpflege dort deutlich preiswerter ist; und deshalb gibt es seit einigen Jahren auch immer wieder entsprechende Filme, zum Beispiel „Die Diva, Thailand und wir!“, eine bitterböse Komödie mit Hannelore Elsner als Egomanin, die von ihrer Tochter (Anneke Kim Sarnau) beim Thailandurlaub in einem Pflegeheim entsorgt werden soll; oder „Schwarzbrot in Thailand“ (beide ARD 2017), eine zunächst heitere Rentnerkomödie, die sich unversehens zum Ehedrama wandelt.
„Kwai – Familienbande“ nimmt diesen Umweg gar nicht erst. Die Handlung beginnt mit einem Schock: Völlig unvorbereitet stellt Apothekerin Sarah (Nadeshda Brennicke) eines Tages fest, dass fremde Leute in ihr Elternhaus einziehen; ihre Erklärung, sie habe „nicht so viel Kontakt“ zu ihrem verwitweten Vater, wirkt wie eine absurde Untertreibung. Im Gegensatz zu Sarah war ihre Tochter Leah (Maria Matschke) offenbar in Opas Pläne eingeweiht. Mit einem kühnen Schnitt überspringt der Film alle weiteren Erklärungen: Mutter und Tochter sitzen in einem thailändischen Zug, sind auf dem Weg zu Jochen (Tilo Prückner), der seine letzten Jahre in einer vorwiegend von Deutschen bevölkerten Seniorensiedlung mit dem schönen Namen „Happy Valley“ genießen möchte. Dort erlebt er nicht nur einen zweiten Frühling („Da ist noch Saft in der Zitrone“), zu Sarahs Entsetzen hat er sich auch in seine Pflegerin Nissa (Duangjai Hiransri) verliebt, obwohl seine Frau gerade mal ein Jahr tot ist.
Foto: ZDF / Eva Katharina Bühler
Natürlich können es sich Buch (Michael Kenda) und Regie (Bettina Blümner) nicht verkneifen, die entspannten Thailänder als Kontrast zur steifen Sarah darzustellen, schließlich leben solche Filme nicht zuletzt von den Antagonismen zwischen westlichem Materialismus und fernöstlicher Gelassenheit. Sie kann zum Beispiel nicht glauben, dass der hilfsbereite Kamon (Krit Trairatana) sie allein für die Gegenleistung eines Lächelns in seinem Boot mitnehmen will; und selbstredend wirkt die Grimasse, die sie sich abringt, ziemlich gequält. Nadeshda Brennicke spielt das alles sehr konzentriert, verzichtet auf ihr charakteristisches Flirren und sorgt auch dank des Maskenbilds dafür, dass Sarah zunächst geradezu verhärmt wirkt; dass sich das im Verlauf der Handlung ändert, ist keine Überraschung.
Neben den Einheimischen ist auch die eigene Tochter ein Gegenentwurf zur ständig stänkernden Sarah, die noch ein paar alte Rechnungen mit ihrem Vater offen hat. Leah ist offen für die Menschen und ihre Kultur, gönnt dem Opa sein spätes Glück und freundet sich mit einer früheren Violonistin an, die einst in den bedeutendsten Konzersälen gespielt hat und nun langsam verschwindet. Die Rolle ist im Grunde zu groß für den Film, weil sie mit der eigentlichen Handlung gar nichts zu tun hat; fast hat es den Anschein, als wäre Regisseurin Blümner („Scherbenpark“) beim Schnitt so berührt von Gertrud Rolls Spiel gewesen, dass sie es nicht übers Herz brachte, sich von den Szenen zu trennen. Aber es ist nicht nur die große alte Dame, die imponiert, sondern auch und vor allem Maria Matschke. Die junge Schauspielerin erinnert in ihrer Art ein bisschen an die frühere „Bibi Blocksberg“-Darstellerin Sidonie von Krosigk und war schon in dem ARD-Zweiteiler „Neu in unserer Familie“ (2017) als Tochter eines Elternpaars, das sich auf das Experiment einer offenen Beziehung einlässt, sensationell gut. Das hatte damals sicher nicht zuletzt mit der Führung durch Regisseur Stefan Krohmer zu tun, aber auch in „Kwai – Familienbande“ beeindruckt sie durch eine Natürlichkeit, die sich nicht spielen lässt, selbst wenn sie es gerade in den Szenen mit Brennicke vermeintlich leicht hat: Wenn Leah ihrer Mutter vorwirft, sie sei eine Spießerin und solle nicht so „deutsch“ sein, fliegen ihr die Sympathien fast automatisch zu.
Foto: ZDF / Eva Katharina Bühler
Der Rest ist Augenfutter. „Fluss des Lebens“ ist zumal auf diesem Sendeplatz sonntags im ZDF auch Fernwehfernsehen; die bisherigen fünf Episoden spielten unter anderem am Ganges, an der Loire oder am Okavango im südlichen Afrika. Kamerafrau Eva Katharina Bühler durfte daher zu allen möglichen Tages- und Nachtzeiten viele schöne Aufnahmen vom Kwai machen. Der Fluss hat vor gut sechzig Jahren durch David Leans Kriegsdrama „Die Brücke am Kwai“ (1957) traurige Berühmtheit erlangt; in dem auf authentischen Ereignissen beruhenden Film müssen britische Kriegsgefangene für die Japaner eine Brücke über den Kwai bauen. Blümner und Bühler sorgen für ungleich fröhlichere Bilder, auch wenn einige Szenen dramaturgisch deutlich zu lang sind und vor allem der Folklore dienen, etwa ein Ausflug in einen buddhistischen Tempel oder die ausufernde Feier, mit der der Film endet. Die Musik (Eike Hosenfeld, Moritz Denis) sorgt für die in solchen Filmen obligate und sehr eingängige Verschmelzung westlicher und fernöstlicher Klänge.
Für die gleichfalls unvermeidlichen Lebensweisheiten ist Kamon zuständig, der freundliche Helfer vom Anfang der Reise, für den es völlig selbstverständlich ist, mit seinen zehn bis zwölf Angehörigen unter einem Dach zu leben. Anders als in den meisten Auslandsproduktionen der ARD-Tochter Degeto, in denen immer alle deutsch können, dürfen sich die Einheimischen in ihrer Landessprache verständigen, und wenn sie wie Kamon oder Nissa deutsch sprechen, gibt es eine Erklärung dafür. Den schönsten Satz, „Glück ist kein Ort“, sagt allerdings einer der „Happy Valley“-Bewohner, als er samt Gattin wieder abreisen muss, weil man eben auch in Thailand nicht umsonst leben kann. Gespielt wird das Paar von Bernd Stegemann und Renate Krößner, die sich bestimmt über den Trip nach Südostasien gefreut haben; zu tun haben die beiden zumindest im fertigen Film praktisch nichts.