Die Diagnose kommt wie aus dem nichts. Lilo (Hannelore Elsner) hat einen Tumor im Kopf. Während die Ärztin noch die Behandlungsmöglichkeiten ausführt, ist die Künstlerin in Gedanken schon ganz woanders – und als sie dann auf einer Autobahnraststätte das Wort „Hamburg“ aufschnappt, sitzt sie wenig später neben Sami (Navid Navid), einem sympathischen iranischen Lkw-Fahrer. Der muss allerdings erst mal eine Tour nach Krakau machen. Auch gut, denkt sie – Hauptsache weg von ihrer Tochter Caro (Marie Bäumer), der Lilo ihren kritischen Gesundheitszustand verschwiegen hat. Beide können einfach nicht miteinander reden. Mit Sami ist das leichter. Doch die Tochter, die mittlerweile den Befund kennt, heftet sich mit ihrem Sohn Vincent (Emilo Sakraya) an die Fersen der Ausreißerin. Davor aber hat sie ihrem Mann Andreas (Robert Schupp) nach eine Botschaft mit Lippenstift auf den Badezimmerspiegel geschrieben: „Ich will die Scheidung.“ Und so macht auch der sich auf in Richtung Polen – mit Hilfe von Darek (Daniel Axt), dem Freund seines Sohns, der endlich möchte, dass sich Vincent zu ihm bekennt. Es hat sich einiges angesammelt in dieser Familie, in der man aus Angst vor Konflikten das Miteinanderreden lieber sein lässt.
Foto: ZDF / Volker Roloff
Dass Tochter und Mutter in der Tragikomödie „Ferien vom Leben“ so schwer miteinander reden können, hat seinen Ursprung in der Familiengeschichte. Der wunde Punkt ist der Tod von Lilos zweiter Tochter im Kindesalter. „Für mich ist sie immer da“, sagt die von Hannelore Elsner ohne Manierismen gespielte Malerin gegen Ende des Films – und es bestätigt sich damit das Bild, das der Zuschauer schon länger von dieser „Beziehung“ hat: Die kleine Jule tollt als Erscheinung der Heldin durch manche Szene und relativiert mit ihrem kindlichen Übermut die tragischen Grundmotive des Films. „Meine Mutter lebt nur noch für ihre tote Tochter“, sagt umgekehrt die lebende Tochter. Schön, dass Autorin Kerstin Schütze („Meine Mutter, meine Männer“) Marie Bäumer keinen jener typischen Beziehungsmelodramsätze wie beispielsweise „Gegen eine Tote ist schwer anzukommen“ ins Textbuch geschrieben hat. Auch ohne solche überdeutliche Signale erkennt man als Zuschauer, was Sache ist. Eine Tochter, die nicht rankommt an die Mutter, die sich weder verstanden noch geliebt fühlt. Die Motive für das distanzierte Verhältnis von Lilo zur Tochter wird – aus dramaturgischen Gründen – erst später gelüftet. Ahnungen aber sind erlaubt. Es kommt nach dem Aussprechen des Konflikts erwartungsgemäß und zeitversetzt zu einer Lösung, die verbal angenehm klar & knapp von der Mutter formuliert wird; wichtiger aber ist die anschließende innige Umarmung der Frauen.
Soundtrack: Amy Winehouse („Help Yourself“), Crowded House („Don’t Dream It’s Over„), Arash („Doset Nadaram„), Keane („Everybody’s Changing„), Elton John („I’m Still Standing„), Arash („Naro„), Van Morrison („Moondance„), Slade („Far Far Away„), John Travolta & Olivia Newton-John („You’re The One That I Want„), Boy („Little Numbers„), Travis („Last Train„)
Zu der Entscheidung, diese Beziehungsgeschichte(n) in ein Road-Movie zu verpacken, kann man den Machern nur gratulieren. Sie ist die Grundlage dafür, dass aus „Ferien vom Leben“ ein absoluter „Herzkino“-Höhepunkt geworden ist. Der Film erzählt die Heldenreise zweier Frauen, aber auch für den Ehemann, den Sohn und für den vermeintlich lebensfrohen iranischen Trucker bringt diese Fahrt entscheidende existenzielle Veränderungen. Dem Genre Road-Movie wohnt prinzipiell ein Hang zur Transzendenz inne, indem es seine Charaktere aus ihrem Trott holt, Distanz zum banalen Alltag und eine klare Sicht auf das eigene Leben ermöglicht. Einem höheren Sinn überantwortet werden Lilo, Caro & Co selbstredend auch durch den „Tod“; bei so einem Thema kreisen die Gedanken von vornherein um Grundsätzlicheres als darum, ob Kater Camus auch sein Fresschen bekommt. Genre und Geschichte zielen also auf Reflexion und Kommunikation. Es gelingt der Autorin, Regisseurin Sophie Allet-Coche („Doctor’s Diary“ / „Der letzte Bulle“) und dem trotz des tragischen Geschehens unaufgeregt, gewitzt & zugleich ernsthaft aufspielenden Ensemble, dass die Szenen nicht zugequatscht und die Probleme nicht zerquasselt werden. Denn nicht nur die Hauptfigur will vieles mit sich selbst ausmachen. Außerdem wechselt Schütze immer wieder geschickt die Konstellationen und damit auch die Perspektive. Der Iraner Sami agiert als eine Art freundlicher Moderator. Dass das Paar mit der Ehedauerkrise selbst aus der Mediations- und Psychotherapiebranche kommt, ist die besondere Ironie dieser Beziehung.
Foto: ZDF / Volker Roloff
Nicht nur für einen „Herzkino“-Film besitzt „Ferien vom Leben“ eine sehr stimmige psychologische Grundierung. Es gibt vieles, was beiläufig in die Handlung einfließt und diese schon häufig erzählte Geschichte glaubwürdig macht: das Psychologiestudium der Tochter (womöglich um die gestörte Interaktion mit Mutter zu „verstehen“), ihr Dasein als Taxifahrerin, ihre aktive Rolle in der Ehe, welche sie satt hat, die sich im Familiensystem verfestigte Sprachlosigkeit, aber auch die Einsamkeit des Iraners, dem die eigene Familie fehlt und für den es deshalb umso schwerer verständlich ist, dass in Lilos Familie keine wirkliche Nähe entsteht. Auch die Projektionen zwischen Mutter und Tochter wirken durchdacht, ohne dass sie im Einzelnen ausdiskutiert werden. Dazu passt es, wie sich die beiden Hauptdarstellerinnen ihre Rollen zurechtgelegt haben. Hannelore Elsner als eigenwillige Künstlerin, aber nicht als überzogen launenhafte oder gar dauerhaft stutenbissige Diva. Und Marie Bäumer besitzt auch in dieser Fernsehrolle Kino-Präsenz – soll heißen: Es steckt etwas abgrundtief Existenzielles in ihrem Spiel, was weit über das Nur-Situative hinausgeht. Hinzu kommt diese ganz besondere Aura (das gilt auch für Elsner), diese Mischung aus erotischer Ausstrahlung, großer Verletzlichkeit und sympathisch natürlicher Verlebtheit, eine Mischung, bei der man nicht sagen kann, wo die Rolle aufhört und die Schauspielerpersönlichkeit ins Spiel kommt. So berechenbar auch die erzählte Geschichte im Rahmen des ZDF-Sonntagfilms sein mag – beide Schauspielerinnen geben ihr einen Hauch von Unberechenbarkeit. Und die komödiantische Farbe, die Robert Schupp und vor allem in der lebensbejahenden Ausführung Navid Navid („Salami Aleikum“) einbringen, ist ein weiteres belebendes Element, das diese Tragikomödie immer auch zu einem Feelgood-Movie macht. (Text-Stand: 20.8.2017)