Endabrechnung

Palfrader, Moretti, Probst, Dag. Land(schafts)krimis machen die Ösis einfach besser!

Foto: ORF / Oliver Oppitz
Foto Thomas Gehringer

Südtirol als Heimat gescheiterter Existenzen: Ein abgestürzter Hotelier aus Meran schießt seine Feinde über den Haufen. Sein bester Freund ist ein Ex-Kommissar mit Schuldgefühlen und Burn-out. In „Endabrechnung“ (Allegro) aus der famosen „Landkrimi“-Reihe des ORF erfreuen Robert Palfrader und Harald Windisch, dazu Tobias Moretti als besonders schmieriger Staatsanwalt, in einer tragikomischen Krimi-Groteske, die man auch als Gesellschafts-Parabel verstehen kann. In Umut Dağs abwechslungsreicher und humorvoller Inszenierung dominieren die Kontraste, das Oben und Unten, Hell und Dunkel. Südtirols multikulturelle Vergangenheit und Gegenwart spiegeln sich nicht zuletzt in dem eigenwilligen Dialekt, was für deutsche Ohren bisweilen eine Herausforderung darstellt.

Das Rache-Drama vor Südtirols imposanter Alpen-Kulisse beginnt in hohem Tempo: Kommissar Peter Höllbacher (Robert Palfrader) fühlt sich schuldig am Suizid eines Pfarrers, gegen den wegen sexuellen Missbrauchs ermittelt worden war. Höllbacher ließ sich von seinem Vorgesetzten Nicoletti (Tobias Moretti) dazu verleiten, den Namen des Verdächtigen vor einer Schar Journalisten preis zu geben. Der Kommissar schmeißt hin und kehrt von der Hauptstadt Bozen in seine Heimatstadt Meran zurück. Ein frustrierter, alleinstehender Ex-Polizist mit Burn-out, der wieder auf seinen alten Freund Severin (Harald Windisch) trifft, einen frustrierten, alleinstehenden Ex-Hotelier. Jetzt nimmt Regisseur Umut Dağ kurz den Fuß vom Gas. Man begleitet die beiden Gescheiterten in die Kneipe, lauscht eigenwilligen Dialogen in einem ebenso eigenwilligen Dialekt, bei dem es „gewellt“ statt „gewollt“ und „getun“ statt „getan“ heißt. Sonst blickt die Kamera gerne von hoch oben ins Tal, auch Severins stillgelegtes „Schlosshotel“ liegt oberhalb Merans. Am nächsten Tag rast er mit dem Motorrad hinab und knallt auf offener Straße und vor den Augen aller Honoratioren den Direktor der Viennabank ab. Gerade wird die Wiedereröffnung der frisch renovierten Filiale gefeiert. Severin entkommt dank Motorradhelm unerkannt und tötet wenig später auch noch die Vorstandsvorsitzende der Bank in ihrem Hotelzimmer.

EndabrechnungFoto: ORF / Oliver Oppitz
Over the top – und doch spiegelt sich so einiges von der Umgangs- und Politik-Kultur der Österreicher in dieser Krimi-Groteske, die zugleich eine gelungene Gesellschafts-Parabel ist. Thomas Rizzoli, Robert Palfrader, Tobias Moretti und Eva Kuen

Man kann „Endabrechnung“ einfach als eine humorvolle Krimi-Groteske sehen, in der man es mit dem Realismus nicht allzu ernst nehmen sollte, zugleich ist den Machern eine Art Gesellschafts-Parabel gelungen. Umut Dağ, der in Wien geborene Sohn einer kurdischen Einwandererfamilie, der Münchener Drehbuch-Autor Peter Probst und die Vertreter der anderen Gewerke arbeiten auf verschiedenen Ebenen mit scharfen Kontrasten: das warme Sonnenlicht am Tag und die extrem düsteren Nachtszenen; die Welt der Reichen, die von großzügigen Terrassen ins Tal blicken, und die der weniger Wohlhabenden, die wie Zimmermädchen Lediana (Claudia Kottal) in den schmucklosen Gängen eines Hotels schuften; die vermüllten Räume des leer stehenden Schlosshotels und die herrliche Weite der Urlaubs-Landschaft. Donnerstags-Krimis in der ARD sehen bisweilen aus wie Tourismus-Prospekte, hier wirken die Kameraflüge wie gezielt gesetzte Kommentare. Die Widmung im Abspann („In Erinnerung an Isi Wimmer“) bezieht sich übrigens auf den im Oktober 2016 verstorbenen Isidor Wimmer, der bei Kinofilmen wie „Jack“, „Mein bester Feind“, dem Oscar-Gewinner „Die Fälschung“, bei diversen „Tatort“-Folgen und eben auch bei „Endabrechnung“ für das Szenenbild verantwortlich war. Seine Ausstattung schafft oft eine Atmosphäre, die den skurrilen, tragikomischen Figuren entspricht – wie etwa im alten Schwimmbad des Hotels, wo die angetrunkenen Freunde Peter und Severin Schießübungen machen.

EndabrechnungFoto: ORF / Oliver Oppitz
Vom Einsatz der Landschaft/Natur in den ORF-Landkrimis können sich deutsche Krimis – zum Beispiel die ARD-Donnerstagskrimis – allerhand abgucken. Tobias Moretti

Die Landkrimi-Reihe des ORF, die seit 2014 durch jedes Bundesland Österreichs tourt, machte mit „Endabrechnung“ auch in Südtirol Station, also der autonomen Region in Norditalien, die bis zum Ende des Ersten Weltkriegs zum Habsburger Reich gehörte. Im Film spiegeln sich die multikulturelle Vergangenheit und Gegenwart in der Sprache. Die Stärke der Reihe besteht ja ohnehin in der exakten Verortung, was für deutsche Ohren hier zweifellos eine Herausforderung ist, denn der gesprochene Dialekt ist doch ein gutes Stück von der – etwa durch den „Tatort“ – gewohnten Wiener Sprachfärbung entfernt. Aber man muss nicht jedes Wort verstehen, um den Spaß an der Übertreibung nachzuvollziehen, mit denen die Macher hier im Genre Polizeifilm zu Werke gingen. Sympathischer Fixpunkt ist Ex-Kommissar Höllbacher, der in Meran seinen Dienst wieder antritt, weil der von ihm verhasste „Procuratore“ Nicoletti dort nach den beiden Morden das Ruder übernimmt. Moretti spielt diesen Oberstaatsanwalt wie die Karikatur eines eitlen, schmierigen, skrupellosen Machtmenschen – die satirische Anspielung auf bestimmte politische Strömungen in Österreich ist unübersehbar, zumal Nicoletti eine islamistische Bedrohung konstruiert, Razzien in Moscheen anordnet und reihenweise Muslime abgeführt werden. Der Rechtspopulismus lässt grüßen, und wer die Figur des Nicoletti für total überzeichnet hält, dem sei noch einmal das Strache-Video auf Ibiza empfohlen.

Der Gegenpol ist der abgestürzte Hotelier Severin, der glaubt, wegen seines persönlichen Unglücks das Recht in die eigenen Hände nehmen zu dürfen. Wenn er seinen Feinden „das Grinsen aus dem Gesicht schießt“, wie Höllbacher es einmal treffend formuliert, ohne dass er seinen Freund bereits als Täter erkannt hat, wirkt die Inszenierung wie ein Tarantino-Zitat. Ein Whodunit ist „Endabrechnung“ nicht, auch kein atemloses, mitreißendes Rachedrama, aber Humor, Tempo und Abwechslung sind ausreichend vorhanden, so dass es nicht langweilig wird, bis bei dem Kommissar der Groschen fällt. Neben dem eitlen Fiesling Nicoletti und dem im Selbstmitleid versinkenden Severin steht Höllbacher, der von dem famosen Robert Palfrader ja nun auch nicht wie ein taffer Strahlemann gespielt wird, für ein geradezu positives männliches Rollenbild: unbestechlich und nach anfänglichem Zögern kämpferisch und mutig. Nichts dagegen einzuwenden, dass das Klischee vom übergriffigen Mann, der dem Zimmermädchen nachstellt, hier in eine kleine Lovestory gedreht wird. Das Happy End schmeckt ohnehin bittersüß, denn dass die Welt ein Oben und Unten hat, spiegelt sich auch in der Freundschaft zwischen dem Südtiroler Kommissar und der eingewanderten Lediana, deren achtjährige Tochter im Kosovo lebt. Bleibt zu hoffen, dass die kitschige Inszenierung am Schluss ironisch gemeint ist. (Text-Stand: 9.6.2019)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fernsehfilm

ORF

Mit Robert Palfrader, Tobias Moretti, Harald Windisch, Claudia Kottal, Kristina Sprenger, Thomas Rizzoli, Lukas Lobis, Deborah Müller

Kamera: Xiaosu Han, Andreas Thalhammer

Szenenbild: Isidor Wimmer

Kostüm: Cinzia Cioffi

Schnitt: Harald Aue

Musik: Iva Zabkar

Redaktion: Klaus Lintschinger

Produktionsfirma: Allegro Film

Produktion: Helmut Grasser, Gabi Stefansich

Drehbuch: Peter Probst

Regie: Umut Dag

Quote: 4,33 Mio. Zuschauer (16,6% MA)

EA: 01.07.2019 20:15 Uhr | ZDF

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach