Einfache Leute

Auer, Behrendt, Reben, Näter. Von großer Sprachlosigkeit & falsch gelebtem Leben

Foto: NDR / Schroeder
Foto Rainer Tittelbach

Ein beruflich wie privat abgewirtschafteter Familienvater wird durch das Wiederauftauchen des Jugendfreundes, seiner großen Liebe, an wirklich glückliche Tage erinnert. Die Folge: Das sorgsam austarierte Gleichgewicht der Familie gerät ins Wanken. „Einfache Leute“ ist zum einen die Tragödie eines schwachen Mannes und zum anderen das Drama einer zutiefst verletzten (Ehe-)Frau. Vielschichtiges Buch, großartige Schauspieler, sensible Regie.

Ein nur scheinbar glücklicher Familienvater wird durch das Wiederauftauchen des Jugendfreundes, seiner großen Liebe, an wirklich glückliche Tage erinnert. Das seit Jahren sorgsam austarierte Gleichgewicht der Familie gerät ins Wanken. Obwohl der „Ex“ den bürgerlich gewordenen Freund, der der Karriere als Leistungsschwimmer wegen vor fast 20 Jahren seinen homosexuellen Neigungen nach außen hin abgeschworen hat, keinesfalls öffentlich diskreditieren möchte, fällt es dem schwulen Ehemann jetzt zunehmend schwerer, sich vor seinen Liebsten zu verstecken. Er müsste endlich Farbe bekennen, aberes fehlt ihm an Mut. Dass stattdessen seine Frau & sein Sohn auf brutale Weise Zeuge seiner ausgelebten Homosexualität werden, macht die Lage noch verfahrener, die Lüge noch brutaler.

So klar der Konflikt auf den ersten Blick auch sein mag, „Einfache Leute“ erzählt viele Geschichten, handelt von großer Sprachlosigkeit und von falsch gelebtem Leben, entfaltet emotionale Zwischentöne, die der konfliktreichen Gemengelage eine besondere Wahrhaftigkeit geben. Eine Lüge zerstört die Beziehung, nachdem sie das Leben des schwulen Schwimmstars, der heute als Bademeister sein Dasein fristet, schon längst zerstört hat. „Mein Leben ist kaputt, ich bin ein kaputtes Schwein geworden“, zieht er mit 40 Jahren ernüchternd Bilanz. Eine zweite Chance ist ihm nicht vergönnt. Dazu ist Johannes Reben ein zu guter, zu realistischer Drehbuchautor. „Ich habe mich bemüht, der gesellschaftspolitischen Seite im Privaten ein starkes Fundament zu verschaffen.“. Wunder gibt es im Schlager, beim Lotto oder im ARD-Freitagfilm, nicht aber in Bremerhaven, bei Reben oder Klaus J. Behrendt.

Der „Tatort“-Star gibt den tragischen Helden, der wechseln muss zwischen mannhaftem Stolz und memmenhaftem Schuldeingeständnis, zwischen Machopose und Dackelblick. Der Schauspieler hat die Rolle ohne Zögern angenommen. Eine Imageschädigung befürchtet er nicht. „Wenn man glaubwürdig ist, kann man jede Rolle spielen“, findet Behrendt. „Man darf sie nur nicht ins Lächerliche ziehen, sondern muss die Achtung und den Respekt vor ihr bewahren.“ Die harte Sexszene mit einem Mann sei für den Schauspieler „keine Angstpartie“ gewesen, aber aus dem Ärmel habe er sie auch nicht geschüttelt. In jeder Szene habe er sich diesen Mann vor Augen gehalten, „diese arme, wahnsinnig einsame Figur“.

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Die Familie gerät aus den Fugen. Der Ehemann liebt Männer. Barbara Auer & Tom Schilling in „Einfache Leute“ (ARD/NDR, 2007)

Aber „Einfache Leute“ ist nicht nur die Tragödie dieses schwachen Mannes, es ist auch das Drama einer zutiefst verletzten Ehefrau, die sich zu Recht benutzt und missbraucht fühlt. Innerhalb von wenigen Sekunden werden 18 Jahre ihres Lebens weggewischt. Ein unvorstellbares Schicksal, dem Barbara Auer ihr Gesicht leiht. „Wir stehen das zusammen durch“, sagt ihre Betta – und jede emotionale Nuance stimmt. Die Badenserin schwäbelt in ihrer Rolle, was der Figur Stärke und Bodenhaftung verleiht. Der Dialekt habe ihr „sehr geholfen, eine Einfachheit und Direktheit zu transportieren“, betont Auer.

So begeistert wie der Zuschauer von der Leistung Barbara Auers sein kann, so begeistert zeigt sich Thorsten Näter von Rebens Geschichte. „Es ist das schönste Drehbuch, das ich je verfilmen durfte“, sagt einer der meist beschäftigtsten Qualitätsregisseure im deutschen Fernsehen, ein Hamburger noch dazu – und die sind ja bekanntlich eher reserviert. „Ich habe erst beim Drehen so richtig bemerkt, was für eine Kraft aus der Einfachheit der Geschichte und der Dialoge erwächst“, so Näter. Damit trifft er den Kern: einfach, klar, wahrhaftig ist die Geschichte – so wie vor 10 Jahren Rebens „Bruder Esel“ mit Dieter Pfaff. Damals wie heute bricht Reben mit Sehgewohnheiten und Rollenklischees. Näter: „Im Fernsehen sieht man sonst entweder die Spaßtunte oder Schwulsein wird problematisiert, aber dass Homosexualität ein normaler Teil der Gesellschaft ist, davon wird nicht erzählt.“ (Text-Stand: 7.3.2007)

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Fernsehfilm

NDR

Mit Barbara Auer, Klaus J. Behrendt, Oliver Bäßler, Tom Schilling, Sebastian Urzendowsky, Sabine Orléans, Charly Hübner

Kamera: Achim Hasse

Szenenbild: Dietmar Linke

Schnitt: Julia von Frihling

Musik: Annette Focks

Produktionsfirma: Relevant Film

Produktion: Heike Wiehle-Timm

Drehbuch: Johannes Reben

Regie: Thorsten Näter

EA: 07.03.2007 20:15 Uhr | ARD

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