Eine Hand wäscht die andere

Ulrich Noethen, Hermine Huntgeburth. Mit „Betriebsprüferrabatten“ auf Schmunzelkurs

Foto: NDR / Josefine Film
Foto Rainer Tittelbach

Ulrich Noethen brilliert als bürgernaher Steueroberinspektor, der mit seiner Lebensphilosophie vom Geben und Nehmen unter seinem neuen Chef nicht weit kommt. Eine Komödienfigur von Format, dramaturgisch ein Charakter, menschlich ein Schlitzohr. „Eine Hand wäscht die andere“ besticht durch Beiläufigkeit und feine Beobachtungen, was eine norddeutsch trockene, sehr entspannte Humorlage nach sich zieht. Der Film bleibt immer leicht, besitzt köstliche Dialoge, verzichtet auf nervige TV-Psychologie oder moralische Läuterungsrituale, fließt wie ein alter Dire-Straits-Song und ist wunderbar anzuschauen…

„Und da heißt es, die Bürokratie hat keinen Kontakt mehr zur Wirklichkeit.“ Chlodwig Pullmann, Steueroberinspektor, freut sich seines Lebens in einer norddeutschen Kreisstadt; er genießt die kleinen Annehmlichkeiten und beiläufigen Zuwendungen, die sein Beruf als Betriebsprüfer mit sich bringt. Er ist Landesmeister im Steuererklärungen-nach-unten-Korrigieren. Aber auch die Kollegen halten wenig von einer höheren Nachzahlungsquote. Kein Wunder, denn auch ihr Chef ist (war!) „einer, der nicht nein sagen kann, auch nach der zehnten Flasche nicht“, wie der Bürgermeister liebevoll jenen Knut beschreibt. Nun ist er tot – und bald weht ein anderer Wind in der bürgerfreundlichen Behörde. Jakob Kronibus, der Neue, ein Jungspund aus der Hauptstadt, will dem Fiskus zu besseren Einnahmen verhelfen und der Bestechlichkeit ein Ende setzen. Das will auch Pullmanns Ehefrau, die nichts ahnt von „Betriebsprüferrabatten“. Und während sich Chlodwig immer mehr ins berufliche Abseits manövriert, eifert der 13-jährige Sohnemann geradezu vorbildlich dem Lügenpapa nach.

Eine Hand wäscht die andereFoto: NDR / Josefine Film
Eine Hand wäscht die andere. Acht Jahre keine Steuerprüfung bei Safranski (Sprenger). Pullmann (Noethen) kriegt das hin.

„In jedem Nein steckt ein Ja, das gefunden werden muss.“ Mit seiner Lebensphilosophie vom Geben und Nehmen wird sich der immer trauriger dreinblickende Held bei diesem Chef nicht durchsetzen können. Es sei denn… Dieser Pullmann ist mehr als ein kleinbürgerliches Schlitzohr mit dem Wunsch nach größtmöglicher Bequemlichkeit. Diese Figur ist als Spiegel der menschlichen Natur angelegt: stets auf der Pirsch nach Lustgewinn und persönlichem Vorteil weiß der Steueroberinspektor, wann das Maß voll ist, schwenkt um und erhält dabei volle Rückendeckung seiner „Freunde“, denn: eine Hand wäscht die andere – das System schließt sich wieder, man muss es nur klug anstellen. Chlodwig Pullmann ist eine Komödienfigur von Format, ein Charakter, befreit sowohl vom Realismus-Diktat des Fernsehfilms als auch vom neudeutschen Zwang zur Comedy-Witzigkeit. Ulrich Noethen spielt ihn großartig: vom Mr. Sunshine zum Fußabtreter und (geläutert?) zurück, mal der Seehund-Schnäuzer auf Halbmast, mal das Augenspiel verschmitzt auf Triumphierkurs.

Man könnte „Eine Hand wäscht die andere“ mit „Das wahre Leben“ vergleichen, DER absoluten Noethen-Spitzenkomödie. Man könnte! Aber Alain Gsponers Kinofilm war als bitterböse Tragikomödie über den Niedergang der Mittelstandsfamilie angelegt. So hoch will diese schnurrige Provinzposse nicht hinaus. Eher schon lässt sich diese NDR/Arte-Koproduktion in Tonlage und Haltung mit anderen Komödien des Trios Hermine Huntgeburth (Regie) / Volker Einrauch & Lothar Kurzawa (Buch) vergleichen, „Und alles wegen Mama“, „Das verflixte 17. Jahr“ oder „Väter – denn sie wissen nicht, was sich tut“. Es sind allesamt entspannt erzählte Charakterkomödien, die auf den deutschen Hang zum Klamauk verzichten. Angestrebt wird weder der große thematische Wurf, noch Hollywood-Komödien-Struktur.

Eine Hand wäscht die andereFoto: NDR / Josefine Film
Und dann wird der fröhlichen Abteilung dieser biestige Jungspund (Scheer) vor die Nase gesetzt. Ulrich Noethens Augenspiel weicht einem Schnäuzer auf Halbmast.

„Eine Hand wäscht die andere“ besticht durch seine Beiläufigkeit, durch feine Beobachtungen und beredte Nebensächlichkeiten, was eine norddeutsch trockene, sehr entspannte Humorlage nach sich zieht. Der Kopf auf dem Tisch und die Flasche Bier daneben – keiner der Steuerprüfer scheint sich daran zu stören, wie ihr Chef den Arbeitstag beendet. Bis endlich ein Kollege meint: „Sollten wir ihn nicht langsam mal aufwecken?“ Erst später hört man den Bürgermeister in seiner Trauerrede von der vermaledeiten Sucht sprechen. Und noch einmal wird mit dem Motiv „Kopf auf dem Tisch und die Flasche daneben“ in einer späteren Szene gespielt. Jetzt weiß die Kollegin, was Sache ist – natürlich liegt hier der Fall völlig anders. Diese Komödie setzt nicht auf Lacher, ein genussvolles Schmunzeln ist die adäquate Antwort. Die Figuren machen es dem Zuschauer vor. Von Noethens Schlawinerlächeln war die Rede; und was Papa kann, kann der Sohn schon lange! Wie dieses 13-jährige Engelsgesicht der Mutter ins Gesicht lügt, das ist schon fast ein Sinnbild – für Kommunikation in diesem Film, in der Familie, in der Gesellschaft. Die einen lügen und die anderen wollen belogen werden. (Das klingt jetzt aber zu ernsthaft!) Der Film bleibt immer leicht, besitzt köstliche Dialoge, verzichtet auf nervige TV-Psychologie oder moralische Läuterungsrituale, er fließt wie ein Dire-Straits-Song und ist deshalb wunderbar anzuschauen – ob mit oder ohne Flasche Bier…

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Fernsehfilm

Arte, NDR

Mit Ulrich Noethen, Steffi Kühnert, Alexander Scheer, Peter Lohmeyer, Katja Danowski, Waldemar Kobus, Kristo Ferkic

Kamera: Michael Wiesweg

Schnitt: Eva Schnare

Musik: Stefan Mertin, Martin Hornung

Produktionsfirma: Josefine Filmproduktion

Drehbuch: Volker Einrauch, Lothar Kurzawa

Regie: Hermine Huntgeburth

Quote: ARD: 3,30 Mio. Zuschauer (10% MA)

EA: 01.03.2013 20:15 Uhr | Arte

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