Ist diese Frau ein Engel? Eine Prinzessin aus einem exotischen Land? Oder eine raffinierte Betrügerin? Johnny (Paul „Sido“ Würdig) ist hin und hergerissen. Der Bruder der Schönen, Zufallskumpel Avram (Rauand Taleb), wollte jene Sophia (Michelle Barthel) bei Johnny in der Plattenbauwohnung einquartieren. Doch der antriebslose Hartz-IV-Empfänger konnte beide abwimmeln. Beim zweiten Mal kommt Sophia allein, steht vor seiner Wohnungstür in einem roten Ungetüm von Kleid, in dem sie angeblich von ihrer eigenen Hochzeit in Serbien geflüchtet sein soll, singt herzerweichend, und ihre großen Augen tun ein Übriges. Johnny, der sich nach der Insolvenz seines Clubs und der Trennung von seiner Frau Katja (Petra Schmidt-Schaller) und seiner achtjährigen Tochter Lena (Mitzi Kunz) in einer Art Schockstarre befindet, kann mal wieder nicht nein sagen. Aber weshalb sollte er auch? Auch wenn diese Romni aus einer ihm fremden Welt kommt, kaum deutsch spricht und es mit der Wahrheit offenbar nicht so genau nimmt – Sophia ist liebenswert, sie ist aufregend, wild, geheimnisvoll, aber sie ist auch wissbegierig und hat ein großes Herz. Dummerweise hat sie auch eine große Familie – und die steht bald bei den beiden in Berlin Hellersdorf auf der Matte.
„Da hat einer nur die Liebe im Sinn, und plötzlich hat er einen Berg Verantwortung. So ist es immer im Leben. Egal, in wen man sich verliebt … Wir erzählen diese Liebesgeschichte, weil wir überzeugt sind, dass Roma genauso lieben wie Deutsche, Türken oder Sudanesen. Unsere Helden glauben an die Liebe und den unschätzbaren Wert von Menschlichkeit. Wir glauben, Herzensbildung lässt sich nicht politisch verordnen, sie muss jeden Tag geübt werden. Auch deshalb ist es uns ein Anliegen, Menschen vom Rand der Stadt, vom Rand der Gesellschaft zurück ins Zentrum zu holen. In die Primetime.“ (Laila Stieler)
„Eine Braut kommt selten allein“ erzählt von einem wenig entscheidungsfreudigen Deutschen, der aus Liebe zu einer Frau deren Roma-Familie bei sich aufnimmt und am Ende – das kann ruhig verraten werden – gerettet wird durch die Lebendigkeit dieser verschworenen, anfangs so befremdlichen Gemeinschaft. Die Wirklichkeit wird zu einem glückseligen Ort für Geschichten, wahre und weniger wahre. „Lüge, Wahrheit – das ist nicht wichtig“, sagt Sophia mit einem strahlenden Lächeln. Johnny sieht das anders, jedenfalls was seine serbischen „Gäste“ angeht. Ihnen wirft er vor, dass sie ihn belügen, um weiterhin seine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen zu können. Dabei hat er selbst kein Problem damit, das Arbeitsamt oder seine Noch-Ehefrau anzulügen, um sich Vorteile zu verschaffen. Doch als Sophias Großonkel stirbt und dieser seinem Gastgeber ein letztes Geschenk macht, das ihn ehrt, aber auch Verantwortung für „die Familie“ abverlangt, ist der Weg zurück ins Leben geebnet. Beerdigung und Leichenschmaus auf Roma-Art sind für den Helden letzter Beweis, dass er diesen wilden Haufen nicht mehr missen möchte. Natürlich ist es auch die Kraft der Liebe, die ihn über sich hinauswachsen lässt. Am Ende schmeißt er das Zeichen seiner Antriebslosigkeit, seinen Campingstuhl, in dem er zuvor stundenlang seine Zeit abgesessen hat, vom Balkon. Sophia und ihre Roma-Family haben ihn quasi ins Leben zurückgeschubst.
Foto: RBB / Christiane Pausch
Wer von diesem Film nur ein wohl meinendes Plädoyer für die multikulturelle Gesellschaft erwartet, der sieht sich bald lustvoll getäuscht. Und auch die ganz spezielle Läuterung dieses Helden, eines unschlüssigen und desillusionierten Sonderlings im existentiellen Zwischentief, besitzt gefühlt ganz und gar nichts von dieser überstrapazierten Komödien-Konvention. Drehbuchautorin Laila Stieler („Die Polizistin“) und Regisseurin Buket Alakus („Eine andere Liga“), beide Grimme-Preisträgerinnen, verstehen das Genre anders – Brechungen und Klischee-Umkehrungen inklusive. Hinzu kommt, dass „Eine Braut kommt selten allein“ maßgeblich von seinen Charakteren „angetrieben“ wird – was im Falle des Helden von der traurigen Gestalt schon mal bedeuten kann, dass von seiner Seite her nichts passiert. Aber da bleiben ja immer noch die anderen, die ihn herausfordern – neben der Roma-Bagage beispielsweise noch sein aufgewecktes, frühreifes Töchterchen oder seine zupackende Ex-Frau. Dieser Nebenstrang, das liebevolle Verhältnis der kleinen Familie über die Trennung hinaus, ist ein schönes Beispiel für einen unkonventionellen Umgang mit sozialen Klischees. Eine freundliche Sachbearbeiterin der Bundesagentur für Arbeit, die ihrem Klienten Ratschläge für illegales Handeln gibt, sieht man in einem Fernsehfilm auch nicht alle Tage. Und ausgerechnet Volkes Stimme in der U-Bahn Tipps zum Asylbewerbungsverfahren geben zu lassen („Serbien, keine Chance, nimm’ Syrien“ / „Sag’, du kommst aus Aleppo, das ist konkreter“), ist eine ganz kuriose Idee, und die Situation, in der Sophia den Satz eingebläut bekommt, den sie bei der Ausländerbehörde sagen soll („Ich heiße Samira … Ich komme aus Aleppo und möchte Asyl in Deutschland beantragen“), trägt geradezu Loriotsche Züge. Solche spielerisch kritischen Zwischentöne kann es nur in einer richtigen Komödie geben. „Eine Braut kommt selten allein“ ist endlich mal wieder eine richtige – und eine richtig gute!
„Der spielerische Umgang mit Klischees ist der Komödie vorbehalten. Wir wissen von uns selbst, Lachen erleichtert den Zugang zu schwierigen Themen, es kann Feindseligkeiten & Aggressionen abbauen. ‚Eine Braut kommt selten allein’ nimmt Klischees und verschlissene Denkschemata aufs Korn. Damit sprechen wir automatisch über das, was uns trennt – und nicht nur über das, was uns verbindet. Eine Komödie muss dahin, wo es weh tut.“ (Cooky Ziesche, RBB)
Foto: RBB / Andreas Höfer
Dieses erste RBB-Fiction-Einzelstück seit vielen Jahren ist ein kitschresistenter Film über die Liebe mit all ihren interkulturellen Problemen. Ein Paar setzt sich über Herkunft und Religion hinweg, die unterschiedlichen Temperamente ziehen sich an. Ein bisschen Utopie ist schon dabei; aber genau das gehört ja zu einer guten Komödie, einem Genre, das weniger unter dem „Realitätsdruck“ der Wirklichkeit und dem Realismusdiktat des Fernsehfilms steht. Stieler und Alakus nutzen diese Möglichkeiten. Holt auch der Held die Geschichte ein Stück weit auf den Boden der Berliner Wirklichkeit herunter, so ist es der Balkan-Clan, dessen Gespräche im Übrigen untereinander in der Regel unübersetzt bleiben, der neben „Authentizität“ auch eine ganze Menge Ethno-Power ins Spiel bringt – und in Verbindung mit der Musik, dieser gut gelaunten, tempogeladenen Folklore, und den skurrilen Typen dem Film eine gehörige Portion Kusturica-Poesie verleihen. Und der Schluss macht dem Anything-goes-Prinzip der Komödie alle Ehre. Verspielt UND charakterstark – das ist die ganz besondere Qualität von „Eine Braut kommt selten allein“. Und mit der Besetzung haben die Macher einen großen und viele kleine Coups (die vielen Darsteller mit Roma/Sinti-Wurzeln) gelandet: Paul „Sido“ Würdig war als Sänger lange umstritten, als Schauspieler hatte er im Kino zwar schon zwei Hauptrollen, in „Blutzbrüdaz“ (2011) und „Halbe Brüder“ (2014), aber erst mit diesem Fernsehfilm schafft er sein Meisterstück vor der Kamera: mit einer Rolle, die dem Plot Block-Credibility verleiht. Sein Johnny ist eine in sich stimmige, komplexe Persönlichkeit: Würdig verkörpert verhindertes Leben mit träger Masse. In der leicht depressiven Vergeblichkeitsmiene ist im Verlauf der Liebesgeschichte auch schon mal ein Lächeln zu erkennen. Für einen Gelegenheitsmimen ist seine Leistung mehr als beachtlich, auch weil es ihm gelingt, den vermeintlichen Loser zu einer echten Sympathiefigur zu machen. Überzeugend wie gewohnt – klein, kraftvoll und mit der wilden Frische einer fremden Kultur – ist auch Michelle Barthel. Und der besondere Gag dieser Besetzung: Barthel ist Deutsche, Würdig hat Sinti-Wurzeln. (Text-Stand: 11.11.2017)