Sie können also auch anders. Drehbuchautor Daniel Nocke und Regisseur Stefan Krohmer, die in sechs Jahren sechs Filme miteinander realisiert haben, darunter die beiden Grimme-Preis gekrönten TV-Movies „Ende der Saison“ und Familienkreise“, haben sich erstmals an Krimi und Psychothriller versucht. Hatten sie sich bisher an den „68ern“ abgearbeitet, erscheint dieses Mal die „Generation Golf“ in nicht allzu vorteilhaftem Licht.
Zehn Jahre nach dem Universitätsabschluss organisiert ein mittlerweile erfolgreicher Politiker ein Ehemaligenfest in seinem herrschaftlichen Anwesen an der Ostsee. Jakob, einer der Kommilitonen von damals und nicht gerade ein beruflicher Überflieger, ist mit seiner Partnerin Annette angereist. Für beide ist dieser Abend mehr als nur ein Fest. Denn Gastgeber Arved hat sich an seinen alten Freund erinnert und möchte ihn in seinen Beraterstab holen. Die erwartungsvolle Stimmung wird jäh zerstört, als Annette in Arveds Frau die Person erkennt, mit der ihr Bruder als Kind verunglückt ist. Er starb und jener Diana blieb ein Leben im Rollstuhl. Noch angespannter wird die Lage, als Diana von einem Mordkomplott ihres Mannes gegen sie erzählt, bei dem Annette die Rolle der Täterin zugedacht ist. Arved indes ist die Liebenswürdigkeit in Person. Wem soll Annette glauben? Wenig später ist Diana tot.
Einheit von Raum und Zeit, ein bisschen Nacht, ein bisschen Bedrohung – es hätte einen schon sehr gewundert, wenn Nocke und Krohmer, die für ihre besonders alltagsnahe Dialogführung bekannt sind, das Genre einfach nur bedient hätten. In „Ein toter Bruder“ gelingt es durch einen hohen Realismusanteil, die Grundspannung der Story noch zu steigern. Der Zuschauer sitzt zu Beginn mit dem Paar im Auto. Die Nähe, die Krohmer aufbaut, wird dann auf der Party physisch spürbar. Man leidet förmlich bis in die Magengrube mit der Heldin mit. Die Beklemmung, die man als Zuschauer in dem Film immer wieder verspürt, resultiert auch aus dem intensiven, aber stets beiläufig realistischen Spiel von Marie Bäumer. Ihr Duett mit Thomas Dannenmann ist großes Krimidrama, wunderbar klein gespielt.
Der Film mit seinen langen Bildfolgen und Kamerafahrten schwingt in einem Rhythmus und einer Tonlage, die nichts Lautes, nichts Hysterisches kennt, obwohl es immerhin um einen Mordverdacht geht, der einem die Existenz kosten kann. Meisterlich, wie die zunehmende Bedrohung immer wieder mit dem harmlos-unbeschwerten Partytreiben kontrastiert wird. Auch die Lebensängste, die Sehnsüchte und der Schmerz der Protagonisten bleiben unter der Krimioberfläche nicht verborgen. Und wie immer geht es bei Nocke und Krohmer um Kommunikation. Das Ausdiskutierenwollen, das verbale Ringen um Klarheit, gehört zur Überlebensstrategie der Figuren, ist Thema und ästhetische Methode zugleich. Auch in „Ein toter Bruder“ sind Denken und Reden die Garanten fürs Überleben. (Text-Stand: 8.7.2005)