Wie jedes Jahr will Axel Parschke (Dietmar Bär) auch dieses Weihnachten durcharbeiten. Allerdings macht ihm ein lukratives Angebot einen Strich durch die Rechnung: Dabei kann der Hamburger Taxifahrer anfangs noch gar nicht wissen, dass seine Ein-Tages-Fahrt ins Erzgebirgsstädtchen Bergroda drei Tage dauern wird – und womöglich noch sehr viel länger. Sein blinder Fahrgast Jan Olsmer (Max Riemelt) möchte im Sächsischen seine Internet-Bekanntschaft Jenny (Marlene Tanczik) zum ersten Mal persönlich treffen. Auf dem Weg dorthin werden sie zunächst von einer Autobahnsperrung ausgebremst, später macht Parschkes Taxi schlapp, und das nötige Ersatzteil lässt auf sich warten. Dadurch lernt der geschiedene Ex-Spediteur die Kfz-Mechanikerin Sofia Lieberwirth (Gabriele Völsch) kennen und kommt bei der ebenso patenten wie gastfreundlichen Frau kostenlos unter. Beide sind sich sichtlich sympathisch. Noch besser läuft es bei Jan und Jenny und das, obwohl er ihr verschwiegen hat, dass er blind ist, und sie ihm, dass sie einen fünfjährigen Sohn hat. Trotzdem sucht Jan nach einem Zwischenfall am Morgen das Weite, kommt allerdings nur bis zu Sofia – so wie auch Tramperin Linh (Nhung Hong), die sich in Bergroda nach zehn Jahren Funkstille auf ein Wiedersehen mit ihrem Vater gefreut hatte. Schließlich machen alle Vier das Beste aus der Situation – und verbringen Heiligabend gemeinsam – auf typisch erzgebirgische Weise.
Der ZDF-Weihnachtsfilm „Ein Taxi zur Bescherung“ erzählt von der Begegnung zwischen fünf Menschen, die sich kaum oder gar nicht kennen. Die Geschichte ist somit deutlich näher am Bethlehem-Mythos als an der neuzeitlichen Familienfeier-Realität des Fests der Feste. Und auch wenn der im Rahmen des „Herzkino“ laufende Film nicht im Erzgebirge, sondern im Harz gedreht wurde, so wirken doch die kleinen Ausflüge in die „arzgebirgsche“ Tradition mit ihrer Bergmanns- und Weihnachtskultur inklusive moderater Dialektversuche sympathisch und einigermaßen authentisch. Schade bei einem Film, der zu Weihnachten spielt (gedreht wurde im Februar), wenn es der Wettergott nicht gut meint. Aber das Winterambiente existiert ohnehin in den meisten Gegenden hierzulande nicht mehr und die romantisch-heimelige Gemütlichkeit ist für viele Menschen allenfalls noch ein Gefühl aus idealisierten Kindertagen: ein Wunschbild, das der Film von Dirk Kummer nach dem Buch von Claudia Matschulla & Arnd Mayer gleich in der ersten Einstellung zurechtrückt (ein Autoreifen fährt durch eine Pfütze). Weihnachtsstimmung oder auch der kommerzialisierte Glanz spielen erst mal keine Rolle. Das rückt die Geschichten in den Vordergrund. Die sind zwar schon hundertfach erzählt worden, wirken aber in den Details so stimmig, dass man sich gern ein weiteres Mal drauf einlässt. Und die Plot-Bausteine, die die Handlung in Gang setzen, sind wie aus dem Leben gegriffen: ausgefallene Züge, Umsteigemarathon, Stau, gesperrte Autobahn, Lieferengpässe.
Ist „Ein Taxi zur Bescherung“ auch „nur“ ein Unterhaltungsfilm, so legen doch die Macher Wert auf narrative Nuancen und psychologische Zwischentöne. Dass der vor zwei Jahren bei einem Unfall erblindete Jan IT-Experte ist, fällt in einem Nebensatz, erklärt aber, dass er spracherkennungstechnisch auf dem neusten Stand ist, dass er mit elektronischer Lesehilfe so sicher hantiert wie mit seinem Blindenstock. Schön auch, dass nicht der Blinde in eine gefährliche Notsituation gerät, sondern der Taxifahrer, und das gleich mehrfach; ja er lässt sich sogar noch ein Auto klauen. Dass die Szene, in der Jenny beim Skypen dem blinden Jan ihre neue Frisur präsentiert und er sich gerade noch so aus der Situation herausmogeln kann, in Bergroda noch mal aufgenommen wird, zeigt das große Interesse der Macher am stimmigen Kleinen. So ausgedacht auch die Ausgangssituationen sind: Die Interaktion ist semantisch dicht, und einige jener Momente, in denen sich zwei oder mehr Menschen begegnen, besitzen eine schöne Beiläufigkeit. Das liegt maßgeblich auch an der vorzüglichen Besetzung. Selbst den bekannten Gesichtern, Dietmar Bär und Max Riemelt, nimmt man ihre Rollen ab. Entscheidend am positiven Eindruck ist bei Bärs Figur die geringe Fallhöhe: Zwar hat es Axel Parschke nicht mehr so mit der Lebenslust, dafür hat er zu viele negative Erfahrungen gemacht, aber er ist auch keiner jener „Kotzbrocken“, die eine Zeitlang Hochkonjunktur in deutschen TV-Komödien hatten. Er muss nicht groß geläutert werden, es bedarf bei ihm nur einer kleinen Verschiebung der Perspektive. Bei Riemelts Jan sitzt die Enttäuschung tiefer. Er muss erkennen, dass seine Blindheit für andere und auch ihn selbst eine größere Herausforderung ist, als er wahrhaben will. Coole Hilfsmittel erleichtern den Alltag, können sein Leben aber nicht völlig „normalisieren“, so wie sich das der IT-Experte wünscht. „Du bist blind, willst aber, dass wir alle so tun, du wärst es nicht“, redet Axel ihm ins Gewissen.
Sich der Realität stellen ist immer wieder eines der Themen von „Ein Taxi zur Bescherung“. Auch die junge Deutsch-Vietnamesin muss der bitteren Wahrheit ins Gesicht sehen. Den Erzeuger kann man sich nicht aussuchen, Freunde schon. Und Freunde sind ehrlich. So hat am Ende dann auch Jan für Axel einen guten Rat parat. Eine solche Schlussvolte, die ein doppeltes Happyend einläutet, läuft zwar nicht Gefahr, das Genre neu zu erfinden; aber wer will das auch schon bei einer Geschichte, in der man allen fünf Charakteren nur das Beste wünscht. Ein weiterer Reiz bei diesem etwas anderen „Herzkino“-Film ist möglicherweise auch das Interesse daran, ob es einem solchen Film der leichten Gangart guttut, dass ein renommierter Regisseur und Grimme-Preisträger verpflichtet wurde. Die Unaufgeregtheit der Handlung, der gute Erzählfluss und das durchweg zurückgenommene Spiel (Dietmar Bär beispielsweise kann ja auch anders) sprechen eine deutliche Sprache. Und die Besetzung von der in Ost-Berlin geborenen Gabriele Völsch, die bisher leider nur in Serien oder kleinen Rollen zu sehen war, als Kfz-Schrauberin Sofia, dürfte auch auf Dirk Kummers Konto gehen.