Ein Sommer auf Lanzarote

Christina Hecke, Ulrike Kriener, Jophi Ries. Ein ziemlich anderer Wohlfühlfilm

Foto: ZDF / Lars Henning Schröder
Foto Rainer Tittelbach

Den Eckpfeilern der Love Story nach ist „Ein Sommer auf Lanzarote“ ein typisches ZDF-„Herzkino“-Stück. Das Regie-Debüt von Schauspieler Jophi Ries sieht dann allerdings ganz anders aus und taugt – weil der Film nach dem Drehbuch von Thomas Kirdorf auch dramaturgisch gute Arbeit leistet – geradezu als Blaupause für einen populären, zeitgemäßen Liebesfilm. Christina Hecke spielt locker & tief zugleich und lächelt bisweilen wie Julia Roberts. Ulrike Kriener veredelt die Interaktionen, die wichtiger sind als die vordergründige Handlung. Das Ganze ist für einen Unterhaltungsfilm unglaublich dicht und beiläufig erzählt. Der Film macht Spaß und Lanzarote bietet mehr, als nur den Touri-Blick zu befriedigen.

Das Objekt der Vermittlung wird zum Objekt amouröser Begehrlichkeiten
Auf Lanzarote will Juliane „Jule“ Paul (Christina Hecke) das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Die erfolgreiche Headhunterin eines weltweit agierenden Unternehmens soll hier einen Mann treffen, den sie unbedingt anwerben soll. Da Julianes Mutter Eva (Ulrike Kriener) schon seit längerem auf der Insel wohnt und hier eine kleine alternative Bäckerei betreibt, kann die überarbeitete Business-Frau davor bei ihr noch ein paar Tage ausspannen. Doch auch die Frau Mama verbindet gern das Angenehme mit dem Nützlichen – und so „darf“ ihre Tochter die Bäckerei übernehmen, während Eva, aktives Mitglied einer Bürgerinitiative gegen die Ölbohrungen vor Lanzarote, mehrere Tage auf einem Polit-Event weilt. Ein dummer Zufall sorgt dafür, dass Jule schon einige Tage vor dem beruflichen Treffen dem Objekt ihrer Vermittlung, Juan Garcia (Fabian Joest Passamonte), begegnet – im Bademantel mit Häschenmotiven, Shampoo im Haar und verlegenen Lächeln. Als wenig später der Bäcker ausfällt, nimmt sie ein zweites Mal Kontakt mit dem attraktiven Spanier auf, schließlich kennt sie keinen anderen auf der Insel, und zum zweiten Mal gelingt es ihr nicht, sich als seine Headhunterin vorzustellen. Dafür hat sie bald ein liebenswertes Unikum in der Backstube: Sancho Morales (Julio Arnau Catalá). Obwohl ein Flirt mit einem „Kunden“ ein absolutes No-Go in der Branche ist, trifft sie Juan Garcia weiterhin – bis sie sich in den Armen liegen.

Ein Sommer auf LanzaroteFoto: ZDF / Lars Henning Schröder
„Ein Sommer auf Lanzarote“ bedient die „Herzkino“-Grundmuster, variiert sie aber auf dramaturgisch kluge Weise und setzt die ganz spezielle Aura dieser Kanarischen Insel auch erzählerisch intelligent ein. Christina Hecke & Fabian Joest Passamonte

Der Film taugt als Blaupause für einen populären, zeitgemäßen Liebesfilm
Den Eckpfeilern der Love Story nach ist „Ein Sommer auf Lanzarote“ ein typisches „Herzkino“-Stück: zwei einsame Menschen, ein Konflikt (Liebe kann nicht auf Lüge aufbauen), einige emotionale Nebenkriegsschauplätze, der Zufall als dramaturgischer Steigbügelhalter, der Schauplatz als visueller Reiz und Gefühlsverstärker. Was auf dem Papier alle Vorgaben des Sendeplatzes erfüllt, ist auf dem Bildschirm allerdings ein ziemlich anderer Wohlfühlfilm. Dass die „Ein Sommer…“-Reihe seit Jahren qualitativ die Spitze der Sehnsuchts-Movies auf diesem Sendeplatz darstellt, ist das eine. Dieser Film aber, das bemerkenswerte Regie-Debüt des Schauspielers Jophi Ries („SOKO Köln“), für den der erfahrene Komödienautor Thomas Kirdorf alte Klasse aufblitzen lässt, führt geradezu exemplarisch vor, wie ein populärer, zeitgemäßer Liebesfilm funktionieren kann.

Vor lauter ansprechender Details tritt die Genre-Schablone in den Hintergrund
Vom Kleinen zum Großen, das ist das erste Prinzip, das der Film beherzigt. Weil das emotionale Miteinander, die Interaktionen so glaubwürdig, alltagsnah, frisch und sympathisch vermittelt sind, kommt einem die Genre-Formel vorerst gar nicht in den Sinn. Man sieht und hört die Details, die Blicke, die beiläufig dahingesagten Sätze und man genießt diese „normale“ Beziehung von Mutter und Tochter, die freilich auch Informationen für den Zuschauer liefert, doch man spürt keine Absicht. Der grundentspannte Flow zwischen den beiden ist auch den Hauptdarstellerinnen zu verdanken: Christina Hecke („Kasimir und Karoline“) darf ihre gewisse Ähnlichkeit mit Julia Roberts und die für das „Herzkino“ beachtliche große Bandbreite ihrer Rolle ausspielen. Und Ulrike Kriener verkörpert ihre Eva als eine Frau, die mitten im Leben steht, die weiß, was sie will. Beide Figuren besitzen ähnlichen Witz, ihre „Beziehung“ aber enthält viel Unausgesprochenes. Dass man auch das als Zuschauer nicht gleich erkennt, ist eine weitere Besonderheit des Films und ein Spiegel realer Kommunikation. Nicht sofort prallen die Gegensätze aufeinander (auch, weil ja die Bäckereibesitzerin etwas von ihrer Tochter will), erst nach und nach wird das alles andere als (ab)geklärte Verhältnis von Mutter und Tochter deutlich. Dass sich ihre Spannungen, in denen sich deutlich die Widersprüche zweier Generationen spiegeln, am Ende nicht in Wohlgefallen auflösen, ist ein weiteres Zeichen für einen differenzierteren Umgang mit der Wirklichkeit. Das finale „Ich bin stolz auf dich“ der Mutter (Jule: „sag das noch mal“) ist aber schon einmal ein Anfang.

Ein Sommer auf LanzaroteFoto: ZDF / Lars Henning Schröder
Der Film weckt mediterrane und menschliche Sehnsüchte. Auch am „Vintage“-Kippeltisch lässt sich wunderbar sinnieren über das Leben, die Liebe & Lanzarote

Die Figuren-Kommunikation besitzt oberste Priorität und macht den Unterschied
Augenfällig ist die Sorgfalt, die auf Dramaturgie und Inszenierung verwendet wurde, gerade auch, wenn man andere Produktionen, die an landschaftlich reizvollen exotischen Schauplätzen spielen wie „Traumschiff“ (ZDF) oder das abgesetzte „Traumhotel“ (ARD) zum Vergleich heranzieht. Die Geschichte selbst ist reduziert, konzentriert sich auf das beliebte Dilemma zwischen Beruf & Privatleben, zwischen Pflicht & Neigung. Im psychologischen Fokus stehen drei Figuren: Tochter, Mutter und das begehrte männliche Objekt, das maßgeblich mit zum Sinneswandel der Heldin beiträgt. Selbstfindung durch Romantik, das klingt nach der üblichen Schablone. Aber auch hier machen die Zwischentöne die Musik. Die handlungsinterne Kommunikation besitzt oberste Priorität und ist absolut glaubwürdig. Ohne sie keine Geschichte. Andere Unterhaltungsfilme haben oft keine Geschichte, sondern nur Handlung, an die notdürftig etwas aufgesetzte Figurenbiographie getackert wird. Dagegen schildert beispeilsweise eine kurze, aber intensive Szene wie die, in der die Tochter sich endlich einmal traut, die übervernünftige Erziehung ihrer Mutter ohne Gummibärchen und Fernsehen zu kritisieren, sinnlich, direkt und anschaulich das Dilemma der beiden und wirkt  psychologisch bereichernd. Offenbar war die Bindung der Tochter zur Mutter nach dem frühen Tod des Vaters zu eng, sodass sich eine Abnabelung nur halbherzig vollzog, wohl aus Angst, die Mutter auch noch zu verlieren. Im Film wird das angedeutet. Wer tiefer gründeln möchte, kann das also tun, wer’s oberflächlich mag, den wird diese Zugabe nicht stören.

Mit großer Beiläufigkeit wird die Geschichte entwickelt und ihr Struktur gegeben
Dichte bekommt der Film auch durch seine wiederkehrenden Motive. Alles wird vorbereitet: der Ausfall des Bäckers, die Anti-Öl-Bewegung, zunächst durch Plakate, dann erst teilt die Aktivisten-Mutter der Tochter den Stand der politischen Dinge mit. Selbst dass ausgerechnet ein Kamel einen Unfall verursacht, wird visuell „vorweggenommen“, ja sogar am Flughafen steht schon in der Schlange jener Mann, der das Leben der Heldin verändern wird. Schönstes Beispiel für die narrative Dichte: der Kippeltisch vor der Bäckerei, der immer wieder zur Belustigung beiträgt (Eva: „das ist Vintage“) und der am Ende durch einen neuen, größeren, vom Freund der Mutter gezimmerten ersetzt wird, der genug Platz bietet, um das gesamte Personal des Films zum Happy End zu vereinen. Nur die Tochter macht sich dann mit ihrem Spanish Lover vom Acker, um im Schlussbild, das auch die erste Einstellung des Films ist, ihren Firmenhausausweis dem blauen Meer zu überantworten. Visuell wunderschön.

Ein Sommer auf LanzaroteFoto: ZDF / Lars Henning Schröder
„Mein Leben löst sich auf, Mama.“ Gut, dass Eva (Ulrike Kriener) nicht nur ihre Prinzipien hat, sondern auch einen guten mütterlichen Instinkt. Top: Christina Hecke

Selbst die telegene Sightseeing-Tour über die Insel erzählt viele kleine Geschichten
Apropos „wunderschön“. Lanzarote ist ein Traum für Kameraleute. Bildgestalter Christof Oefelein („Julia und der Offizier“) und Regisseur Ries verzichten aber darauf, die bizarre Schönheit der Insel nur auszustellen. Bei den Autofahrten sind die Landschaft mit den markanten Konturen, der meist blaue Himmel und die Sonne einfach nur da, die Kamera muss nichts hervorheben. Selbst bei den Sightseeing-Touren, die das Liebespaar in spe unternimmt, dominiert die interne Kommunikation über die Ansprache an den Zuschauer: der Spanier will der Deutschen die schönsten Stellen seiner Heimat zeigen, er will sie nicht zuletzt damit auch beeindrucken: das Mirador del Rio, die Felsformationen, die Klippen am Meer, die Erweckung eines Mini-Vulkans – da wird mehr als nur der touristische Blick beim Zuschauer geweckt. Und die Lava-Felder legen indirekt sogar die Grundlage für das Happy End. „Wenn Sie da mittendrin sitzen, können Sie den Wahrheiten Ihres Lebens nicht entfliehen“, sagt Juan Garcia über diese magischen Orte – und Jule probiert das sofort aus. (Text-Stand: 14.1.2016)

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Reihe

ZDF

Mit Christina Hecke, Ulrike Kriener, Fabian Joest Passamonte, Julio Arnau Catalá, Heio von Stetten, Clelia Sarto, Oscar Ortega Sánchez, Ivan Garllado

Kamera: Christof Oefelein

Szenenbild: Matthias Klemme

Musik: Sebastian Peter Bender

Produktionsfirma: Ariane Krampe Filmproduktion

Drehbuch: Thomas Kirdorf

Regie: Jophi Ries

Quote: 5,69 Mio. Zuschauer (15% MA); Wh.: 4,42 Mio. (14,4% MA)

EA: 14.02.2016 20:15 Uhr | ZDF

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