Ein Krimi aus Passau – Zu jung zu sterben / Der Fluss ist sein Grab

Leuenberger, Ostrowski, Sabersky, Vershinin, Herzog. Ernst & Witz, Spannung & Ironie

Foto: BR / Bernd Schuller
Foto Rainer Tittelbach

„Ein Krimi aus Passau“ (BR, Degeto / Hager Moss Film) geht mit zwei neuen Episoden in die zweite Runde. Der Mutter-Tochter-Konflikt entspannt sich, auch die gegenseitigen Vorbehalte von Ex-LKA-Frau und halbseidenem Privatdetektiv schwinden. Ein Zeugenschutzprogramm in Passau ist aber noch lange keine Lebensversicherung. Und so geht es in dem Thriller „Der Fluss ist sein Grab“ – dem freundlichen Dreiflüsse-Städtchen zum Trotz – ans Eingemachte: Heftet sich da ein stiller Rächer an die Fersen des ungleichen Schnüffler-Pärchens? Zuvor in „Zu jung zu sterben“ kommt die andere Seite dieses neuen „Donnerstagskrimi“-Highlights, zum Tragen: eine strenge Piefke und ein bissig witzelnde Ösi in Niederbayern – aus dieser originellen Konstellation ergibt sich ein vielschichtiger, abwechslungsreicher, etwas anderer Ermittlerkrimi, der die bayerische Farbe, das Skurrile, das Schräge, das Bodenständige, ausspielt. Die Tonlagenvielfalt der „Passau-Krimis“ ergibt sich aus den Charakteren. Das macht bei aller Genrehaftigkeit die Stimmigkeit dieser vielversprechenden Reihe aus.

Ein Zeugenschutzprogramm in Passau ist keine Lebensversicherung. Ex-LKA-Polizistin Frederike Bader (Marie Leuenberger) bereitet schon mal die nächste Flucht vor; zum Leidwesen ihrer (Adoptiv-)Tochter Mia (Nadja Sabersky), die sich in dieser niederbayerischen Idylle wohler fühlt als erwartet. Aber erst mal gibt es ohnehin keinen triftigen Grund weiterzuziehen. Außerdem sieht der Schmalspurschnüffler Ferdinand Zankl (Michael Ostrowski) gemeinsam mit dem ehemaligen MEK-Profi bessere Marktchancen für seine Detektei, und Bader lässt sich nicht zweimal bitten. So haben die beiden bald ihren ersten Fall. Ein Restaurantbesitzer (Miguel Abrantes Ostrowski) vermisst seine Freundin – mehr aber noch 50.000 Euro, zehn Luxusuhren und einen Batzen Kokain. Die Freundin ist schnell gefunden, kann sich allerdings zum Verbleib der sich selbst gemachten Abschiedsgeschenke nicht mehr äußern. Ein Schrottplatz, der einst in Passau die führende Adresse für Hehlerware war, steht bald im Zentrum der Recherchen. Doch der Senior (Sigi Zimmerschied) lebt nach Knast und Saufexzessen nicht mehr in dieser Welt, sein Sohn (Roland Schreglmann) weiß offenbar von nichts, und „die Verlobte“ des Alten (Olivia Pascal) ist für krumme Dinger viel zu nett. Deutlich verdächtiger wirkt hingegen ein merkwürdig verkniffener Familienvater und Gerichtsdolmetscher (Florian Karlheim), den Bader & Co erst spät auf dem Radar haben.

Ein Krimi aus Passau – Zu jung zu sterben / Der Fluss ist sein GrabFoto: BR / Bernd Schuller
In „Zu jung zu sterben“ dominiert die bayerische Farbe, das Bodenständige, das Skurrile, das Schräge. Dazu trägt neben Zankl nicht unwesentlich das Schrottplatz-Trio bei: der debile Senior (Sigi Zimmerschied), seine „Verlobte“ (Olivia Pascal) und der Sohnemann (Roland Schreglmann). Dennoch überzeugt der Film auch als Krimi.

„Ein Krimi aus Passau“ geht mit zwei neuen Episoden in die zweite Runde. „Zu jung zu sterben“ ist ein abwechslungsreicher, vielschichtiger, etwas anderer Ermittlerkrimi, der vor allem von seiner originellen Figurenkonstellation lebt. Der Mutter-Tochter-Konflikt tritt zurück, weil eine liebenswerte Ersatz-Mama gefunden ist, Bäckereibesitzerin Hertel (Bettina Mittendorfer), von der sich Mia allerdings für ein Pressepraktikum vorübergehend abnabelt. Auch die gegenseitigen Vorbehalte von Ex-Polizistin und halbseidenem Privatdetektiv schwinden, es bleiben jedoch die gegensätzlichen Geisteshaltungen: Zankl, dessen Zynismus sich mehr und mehr ins Ironische verflüchtigt, und Bader, der in ihrer Situation Humor eher fremd ist, sind nicht nur ein ungleiches Paar, sondern die Differenz ihrer Mentalitäten eröffnet den Geschichten dieser „Donnerstagskrimi“-Reihe auch eine Vielfalt an potenziellen Genre-Zwischentönen. Und so lässt Drehbuchautor Michael Vershinin (früher Illner), seit über einem Vierteljahrhundert ein Vielschreiber mit Qualitätsanspruch, im ersten neuen Film die bayerische Farbe, das Bodenständige, das Skurrile, das Schräge, dominieren. Kabarettist Sigi Zimmerschied als Mann mit kindlichem Gemüt, Ex-Sex-Sternchen Olivia Pascal („Vanessa“) als gestandene Mutter Courage des Schrottplatzes und Florian Karlheim als Hubertus „Psycho“ – das sind Episodenfiguren mit Charakter. Aber Grimme-Preisträger Vershinin („Balko“) hat auch Zankl köstlichen Schmäh in die Dialoge geschrieben. Und dass der Zuschauer mehr weiß als das Detektivpärchen, das immerhin weiter ist als die Provinz-Polizistin (launig: Xenia Tiling), das erhöht den Spaß an der aktiven Rezeption erheblich.

Andreas Herzog, 54, geboren in Bad Tölz, lange Jahre Schnittmeister, hat in den beiden neuen Episoden die Regie übernommen. Einen Namen machte er sich vor allem durch zahlreiche „Unter Verdacht“-Episoden, so inszenierte er auch „Evas letzter Gang“, den Ausstand der sozialkritischen Senta-Berger-Reihe. Auch für den „Usedom“-Krimi war er im Einsatz, er drehte eine der besten „Zorn“-Episoden und auch die leider beiden einzigen „Metzger“-Krimis mit Robert Palfrader. Da zeigte sich bereits, dass ihm der Ösi-Schmäh nicht fremd ist. Zuletzt drehte Herzog eine Serie, die den Vergleich mit internationalen Produktionen nicht scheuen braucht: „Die Toten von Marnow“ mit Sascha Gersak und Petra Schmidt-Schaller.

Ein Krimi aus Passau – Zu jung zu sterben / Der Fluss ist sein GrabFoto: BR / Bernd Schuller
Was als Reminiszenz an ihren Journalistenvater beginnt, wird bald blutiger Ernst. Mia (Nadja Sabersky) bringt sich mit ihrer Recherche zur Crystal-Meth-Schwemme in Passau in akute Lebensgefahr. Besonders „Der Fluss ist sein Grab“ ist spannend. In der Episode wird nicht auf harte Situationen verzichtet, Regisseur Andreas Herzog stellt sie aber weniger drastisch dar als Kollege Maurice Hübner in den ersten Filmen.

Zu dem Österreicher und der Piefke gesellt sich in „Der Fluss ist sein Grab“ ein Mann mit einer völlig anderen Wesensart: ein Araber, streng, mit anderen und mit sich selbst, todernst, tief gläubig. Adil Bahdari (Husam Chadat), ein Scheider aus Berlin, der den Bürgerkrieg im Libanon miterleben musste, sucht seinen Sohn. Ein Angler hat dessen wertvolle Uhr in Passau aus der Donau gefischt. Der alte Mann beauftragt Zankl, nach seinem Sohn zu suchen. Zuschauer, die 2020 die zweite Episode „Die Donau ist tief“ nicht gesehen haben oder sich nicht mehr erinnern, für die wird die entscheidende Szene noch einmal gezeigt: Zankl, der zuvor Mutter und Tochter das Leben gerettet hat, entsorgt gemeinsam mit Bader die Leiche des Killers in der Donau. Ausgerechnet der Mann, der den Sohn getötet hat, soll ihn jetzt suchen. Ist das eine Finte? Will Bahdari Zankl testen? Weiß er womöglich mehr, als er nach außen vorgibt? Bader sitzt zwar auf gepackten Koffern, aber sie will nicht länger davonlaufen. Und als ob das nicht schon Bedrohung genug wäre, lässt Vershinin Mia, die vom Investigativ-Journalismus träumt und in Berlin wegen eines Drogendelikts im Knast saß, im Passauer Crystal-Meth-Sumpf stochern. Und so gibt es im Schlussdrittel zwei brandgefährliche Spannungsherde. Aber ein Einzelner kann nicht an zwei Orten gleichzeitig Retter sein.

„Der Fluss ist ein Grab“ ist ein klassischer Thriller. Der besondere Reiz liegt darin, dass dieser libanesische Schneider eine Filmstunde lang ein Rätsel bleibt, bei dem der Zuschauer genauso wie die Protagonisten im Dunkeln tappt. Mal verleiht ihm Husam Chadat einen stechenden, bedrohlichen Blick, der Schlimmstes befürchten lässt. Dann scheinen ihn echte Gefühle zu überkommen und auch die Frau aus Berlin, die seinen kriminellen Bruder in den Knast gebracht hat, scheint er nicht zu kennen. Wie dem auch sei, dieser Mann ist klug – und er war in seinem früheren Leben Polizist. Keine gute Voraussetzung für eine entspannte Zeit in Passau. Zusätzlich für erheblichen Nervenkitzel sorgt der anfangs etwas angestrengt wirkende Mia-Subplot, in dem sich die junge Frau – unbedarft wie sie ist – in größte Lebensgefahr begibt. Da kann das Dreiflüsse-Städtchen noch so freundlich – im Gegensatz zu den düsteren Spätherbstfilmen zum Auftakt – sommerlich einladend strahlen; der Schein trügt gewaltig, und gerade das macht einen Teil des Reizes der insgesamt gesehen vierten Episode der Reihe aus. Auch nach der zu erwartenden „Rettung“ ist aus der Perspektive der drei Hauptfiguren weiterhin nicht alles in Ordnung. Entsprechend ernst die Blicke, es herrscht Einsilbigkeit, Scham liegt auf der Szene, und die Frauen bemühen sich um Zankl. Einem „Entschuldigung“ folgt ein „Es passt schon“. Ironie kommt erst im Schlussbild ins Spiel: Sanft nimmt sich Zankl an einer Donau-Nymphe ein ikonisches Vorbild. (Text-Stand: 4.3.2022)

Ein Krimi aus Passau – Zu jung zu sterben / Der Fluss ist sein GrabFoto: BR / Bernd Schuller
Misstrauen ist der zweite Vorname von Adil Bahdari (Husam Chadat). Der Mann war Polizist. Will er Rache üben an seinem Sohn? Ein nervenkitzliger Fall. Die steinerne Grazie im Hintergrund sorgt in der Schlussszene für einen ironischen Schlussakkord.

Was für Schleswig-Holstein „Nord bei Nordwest“ ist und für den Harz „Harter Brocken“, das ist für Niederbayern seit 2020 „Ein Krimi aus Passau“. Alle drei Reihen setzen auf einen attraktiven Genre-Mix, verstehen Ernst & Witz, Spannung & Ironie harmonisch und unterhaltsam zu kombinieren. In puncto Stimmigkeit haben sie ohnehin gegenüber den „Donnerstagskrimis“ aus dem Ausland deutlich die Nase vorn. Für mich persönlich sind diese drei Reihen die Highlights auf dem immer beliebter gewordenen ARD-Krimi-Sendeplatz. Sehr vielversprechend begann vor einem Jahr auch der „Masuren-Krimi“ mit Claudia Eisinger. Auf die zwei neuen, im Herbst 2021 gedrehten Episoden darf man gespannt sein.

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Reihe

ARD Degeto, BR

Mit Marie Leuenberger, Michael Ostrowski, Nadja Sabersky, Stefan Rudolf, Xenia Tiling, Bettina Mittendorfer (1) Sigi Zimmerschied, Florian Karlheim, Olivia Pascal, Roland Schreglmann (2) Husam Chadat

Kamera: Wolfgang Aichholzer

Szenenbild: Anette Ingerl

Kostüm: Mika Braun

Schnitt: Gerald Slovak

Musik: Manu Kurz.

Soundtrack: Abba („Super Trouper“), Sarah Vaughan („Summertime“)

Redaktion: Stephanie Heckner, Claudia Luzius (beide BR), Katja Kirchen (Degeto)

Produktionsfirma: Hager Moss Film

Produktion: Kirsten Hager

Drehbuch: Michael Vershinin

Regie: Andreas Herzog

Quote: (1): 6,54 Mio. Zuschauer (22,4% MA); (2): 5,71 Mio. (19,4% MA)

EA: 31.03.2022 20:15 Uhr | ARD

weitere EA: 07.04.2022 20:15 Uhr | ARD

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