Ein Kommissar kehrt zurück

Kockisch & Groth, Vattrodt & Geschonneck. Das Subjektive im „Objektiven“

Foto: ZDF / Daniela Incoronato
Foto Rainer Tittelbach

Kovac ist ein Ermittler alter Schule, einer, der warten kann. Im Mordfall einer Zehnjährigen hat es 20 Jahre gedauert, bis er den Mann, gegen den so viele Indizien sprechen und der damals dennoch nicht verurteilt wurde, endlich überführen will. Kein leichter Plan, denn der Gegner ist ein angesehener Professor – und der Kommissar ist gerade pensioniert worden. „Ein Kommissar kehrt zurück“ ist mehr Drama als Krimi, angelegt als ein spannendes Duell zweier kantiger, eigenwilliger Männer, beide Profis in ihrem Fach. Die subtextreiche Geschichte ist klug gebaut, ein gut austarierter Tanz zwischen Bildern und Dialogen, grau in grau die Stimmunglage und alles sehr viel komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Ein doppeltes Doppel trägt diesen ZDF-Film: Kockisch/Groth und Vattrodt/Geschonneck.

Ein pensionierter Ermittler verbeißt sich in einen 20 Jahre alten Fall
Hauptkommissar Kovac (Uwe Kockisch) ist ein Ermittler alter Schule, akribisch und moralisch, ein Taktierer, ein alter Fuchs, der sich auf die Lauer legt und wartet, um im entscheidenden Augenblick zuzuschlagen. Im Mordfall der zehnjährigen Anna-Lena hat es 20 Jahre gedauert, bis er den Mann, gegen den so viele Indizien sprechen und der damals dennoch nicht verurteilt werden konnte, endlich überführen will. Kovac ist zurückgekehrt in jenes Dorf bei Greifswald, in dem er nach der Wiedervereinigung arbeitete. „Gibt es neue Entwicklungen?“, will die Mutter (Jenny Schily) des ermordeten Kindes wissen. Der Todestag jährt sich zum zwanzigsten Mal und noch immer lastet das Verbrechen auf ihr und ihrem Mann (Oliver Stokowski). Doch Kovac, der den beiden seinerzeit das Versprechen gab, den Mord an ihrer Tochter aufzuklären, schweigt. Er fotografiert, sammelt Fakten und versucht mit seiner bloßen Anwesenheit, den Tatverdächtigen aus der Ruhe zu bringen. Dessen neue Lebensgefährtin Luisa (Ulrike C. Tscharre) könnte bei der Strategie des Ex-Bullen eine entscheidende Rolle spielen. Dass es sich bei dem dringend Tatverdächtigen um einen Mann aus der besseren Gesellschaft handelt, den Physikprofessor Michael Adam (Sylvester Groth), erleichtert die Ermittlungen nicht. Und noch etwas kommt erschwerend hinzu. Die LKA-Beamtin Ella Schönemann (Sophie von Kessel), die Kovacs Meinung nach maßgeblich dafür verantwortlich ist, dass Adam damals nicht überführt werden konnte, sagt es immer wieder: Kovac hat keine Ermittlungsbefugnis. Er ist gerade pensioniert worden.

Ein Kommissar kehrt zurückFoto: ZDF / Daniela Incoronato
Ein schwieriger Fall, zwei Ermittler. Sie hat das Sagen, er die größere Erfahrung. Sophie von Kessel und Uwe Kockisch

Kockisch, Vattrodt & Geschonneck kultivieren die Stimmunglage Grau
Dieser Kovac ist ein Einzelgänger, nur sich und seinem Gewissen verpflichtet. Er ist einer, der das tut, was ein Mann tun muss. Nur Handeln ist ehrlich, Worte können lügen. Deshalb spricht dieser Hauptkommissar a. D. nur das Nötigste und geht – sich seiner Sache im Mordfall Anna-Lena nach 20 Jahren völlig sicher – stoisch seinen Weg. Diese Titelrolle des ZDF-Fernsehfilms „Ein Kommissar kehrt zurück“ ist wie geschaffen für Uwe Kockisch, diesen Schauspieler, dem es seit 15 Jahren gelingt, der eher uninteressanten Figur Commissario Brunetti mit Charisma, Coolness und einer Prise Wehmut eine unverwechselbare Note zu geben. Im Unterschied zu dieser Rolle der „Donna-Leon“-Reihe hat der zweifache Grimme-Preisträger Magnus Vattrodt ein Krimidrama geschrieben, bei dem die Melancholie nicht in venezianischem Hochglanz erstarrt. Dafür sorgt nicht zuletzt auch Meisterregisseur Matti Geschonneck, der der Szenerie mehr als spätherbstübliche Tristesse abtrotzt. Der Himmel Wolken verhangen, die (Aus-)Blicke in die Landschaft trostlos, Räume reflektieren die Gefühle, die Ängste der Menschen. Stimmungslage grau. Ganz egal wie man wohnt: ob in einem stilvollen Landvilla wie der Physiker oder in einer jahrelang leerstehenden Bruchbude von Haus, in der sich Kovac einmietet (was den Eindruck erweckt, als wolle sich der Polizist selbst dafür bestrafen, dass er sich einst nicht gegen die Kollegin hat durchsetzen können).

Der Beschuldigte ist intelligent und nicht untätig: Wie du mir so ich dir
Der Film folgt in der ersten Hälfte vornehmlich dem Ex-Polizisten, zeigt, wie er sein „Opfer“ einkreist, wie er versucht, Adam nervös zu machen – damit dieser Fehler begeht. Er taucht in Adams Vorlesung auf, fotografiert immer wieder dessen Anwesen, nimmt Kontakt auf mit seiner Freundin, einer Ärztin, wird ihr Patient und dringt sogar in das Haus des Professors ein. Das verfehlt seine Wirkung nicht. Denn wenig später steht die LKA-Frau vor Kovacs Tür und versucht, ihn zurückzupfeifen. Vergeblich. Was man nicht sieht, aber später erfährt, auch Adam ist nicht untätig. Wie du mir so ich dir. Jetzt fühlt sich Kovac plötzlich in die Enge getrieben. Denn auch Adam war in seinem Haus, auch er hat Fotos gemacht, intime Fotos vom Kommissar und der Mutter des toten Mädchens, und er weiß sogar, dass Kovacs Frau vor zwölf Jahren von einem Auto angefahren wurde. Als nächstes ergreift Adams Partnerin die Initiative. Und so sitzen die drei wenig später in dem schönen Landhaus und speisen gepflegt, bevor Teller fliegen und – wie es üblich ist in den gemeinsamen Filmen von Vattrodt & Geschonneck, in „Liebesjahre“ oder „Ein großer Aufbruch“ – schmutzige Wäsche gewaschen wird. Frage ist, ob Blut an ihr klebt. So oder so, die Freundin ist so gut wie weg. Ein Etappensieg für den Ex-Kommissar. Doch der Professor tritt nach: „Sie ficken nicht nur seit zwanzig Jahren die Mutter des Opfers, sie ficken seit zwanzig Jahren diesen Fall.“

Ein Kommissar kehrt zurückFoto: ZDF / Daniela Incoronato
Gelernt ist gelernt: einst Volkspolizist, dann gesamtdeutscher Kriminaler (Uwe Kockisch) und jetzt eigentlich im Ruhestand.

Mit einem klugen Erkenntnis-Diskurs erhöht Autor Vattrodt die Spannung
Ist Adam der Mörder oder nicht? Hat sich Kovac verrannt oder hat er recht? Krimi-Thriller scheitern häufig an solchen ja/nein-Konstruktionen. Bleibt die Handlung an der Oberfläche und versuchen Autoren trotz neuer Informationen die Dramaturgie auf eine solche Fragestellung auszurichten, wirkt die Spannung schnell künstlich. Vattrodt geht in „Ein Kommissar kehrt zurück“ einen anderen Weg. Er dringt in die konträren Argumentationen der Männer ein und nimmt sie (psycho)logisch auseinander. Dadurch entwickelt sich in der zweiten Filmhälfte ein reizvoller Machtkampf, ein Wettstreit der Argumente, wodurch sich die Kräfteverhältnisse ständig verschieben. Jetzt spielt das Gesagte plötzlich die dominierende Rolle. Adam ist ein kluger Kopf, ein Mann des Wortes, plötzlich wirkt Kovac gar nicht mehr so souverän. Und seine Argumente wirken angesichts einer 25.000-seitigen Fallakte eher dürftig. „Sie fällen eine Entscheidung und dann ignorieren sie alles, was dieser Entscheidung widersprechen könnte“, lautet der Hauptkritikpunkt des Beschuldigten. „Fahre ich am Tatort vorbei, werden Sie sagen: Jeder Täter kehrt zum Tatort zurück. Fahre ich nicht am Tatort vorbei, sagen Sie: Jeder Täter hat Angst, sich zu verraten.“ Vattrodt gibt der Geschichte so eine völlig neue Dimension. Er stellt neue Fragen, die Fragen werden grundsätzlicher, es sind Fragen darüber, wie man in schwierigen Sachverhalten zu einem Ergebnis kommt, wie man sein Urteil fällt. Dieser erkenntnistheoretische Diskurs ist interessanter als die Beantwortung der Schuldfrage. Da wir es darüber hinaus mit intelligenten Charakteren zu tun haben (so erkennt beispielsweise Adams Freundin, dass Kovac sie instrumentalisieren will, was allerdings nichts daran ändert, dass der Plan des Ex-Kommissars aufgeht), beantwortet sich durch den Meta-Diskurs der Männer aber nach wie vor nicht eindeutig, ob Adam schuldig ist oder nicht. Denn auch Kovac weiß den Ausführungen des Beschuldigten etwas entgegenzusetzen, was nicht weniger falsch klingt: „Sie spielen gern, Sie betrachten andere Menschen als Objekte, Sie fühlen sich überlegen.“ Und der Ex-Bulle räumt ein: „Sie sind kein Monster. Sie tun es aus innerer Not.“

Ein Duell zweier kantiger, eigenwilliger Männer mit hohem Subtextgehalt
„Ein Kommissar kehrt zurück“ ist mehr Drama als Krimi, angelegt als ein spannendes Duell zweier kantiger, eigenwilliger Männer, beide Profis in ihrem Fach. Intellektuell sind beide nicht ganz auf Augenhöhe: Kovac ist zwar kriminalistisch geschult, Adam aber ist Wissenschaftler, sein Fachgebiet ist die Subjektivität des vermeintlich Objektiven. Die Geschichte ist klug gebaut. Sie erschließt sich dem Zuschauer zunächst über Bilder, bevor sich Protagonist und Antagonist mit Worten bekriegen. Der Beschuldigung folgt die Verteidigung; es wird um die Wahrheit gerungen, was keineswegs ausschließt, dass auch Lügen im Spiel sind. Dass im Gegensatz zu den Akteuren die Schauspieler, Kockisch und Sylvester Groth, auf Augenhöhe agieren, trägt zum großen Sehvergnügen dieses äußerst dramatisch endenden Fernsehfilms bei. Wer gern noch tiefer geht – der kann sich als Subtext noch eine politische Dimension erschließen. Vielleicht wurde ja jene Anna-Lena nicht nur Opfer eines Kinderschänders, sondern auch Opfer der deutsch-deutschen Anpassungsschwierigkeiten Mitte der 1990er Jahre. Die junge Kollegin aus dem Westen war – wie sie heute zugeben muss – völlig überfordert in einer Situation, in der sie nur belächelt wurde und die Ossis knietief im Stasi-Sumpf steckten. Man könnte jetzt jenen Kovac als den damals einzigen Auftrechten feiern. Man kann sich aber auch wundern ob der meterlangen Akte des Falls. Und auch wenn Kovac behauptet, dass die Volkspolizei in der DDR besser ausgebildet war als die Kollegen in der Bundesrepublik, kann man sich fragen, was dieser pensionierte Polizist hier eigentlich macht: Seine Strategie, Informationen anzuhäufen, erinnert fatal an die Praxis der Stasi. Egal was, einfach alles sammeln. Kovac hofft offenbar, dass sich so neue Indizien ergeben. Sein Gegenspieler kritisiert das als die falsche Methode: „Graben Sie das Leben eines Menschen um – und sie werden immer Indizien finden, für alles.“ (Text-Stand: 20.12.2016)

Ein Kommissar kehrt zurückFoto: ZDF / Daniela Incoronato
„Sie ficken nicht nur seit zwanzig Jahren die Mutter des Opfers, sie ficken seit zwanzig Jahren diesen Fall.“ Jenny Schily, Sylvester Groth, Ulrike C. Tscharre und Uwe Kockisch in „Ein Kommissar kehrt zurück“ (ZDF, 2017)

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Uwe Kockisch, Sylvester Groth, Sophie von Kessel, Ulrike C. Tscharre, Jenny Schily, Oliver Stokowski, Bernd Stegemann, Barbara Schnitzler

Kamera: Theo Bierkens

Szenenbild: Zazie Knepper

Schnitt: Eva Schnare

Musik: Nikolaus Glowna, Ludwig Eckmann

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Wolfgang Cimera

Drehbuch: Magnus Vattrodt

Regie: Matti Geschonneck

Quote: 6,83 Mio. Zuschauer (20,4% MA)

EA: 23.01.2017 20:15 Uhr | ZDF

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