In einem Altdresdener Bierlokal liegt der rumänische Wirt tot auf dem Billardtisch – mit einem Hammer erschlagen. Es sollte nach einem Raubmord aussehen, dafür aber lässt die Tat auf zu viele Emotionen schließen. Der Tote ist schon einmal gestorben, jedenfalls nahm die Polizei das an, als man vor zwei Jahren dessen Blutspuren fand. In Wahrheit ist jener Marius Goian in Dresden untergetaucht, in der Stadt, in der sein einstiger Kompagnon, Aleksej Petrov (Adrian Topol), mittlerweile zum Rotlicht-Boss aufgestiegen ist. Eigentlich sollte Goian gegen seinen „Kumpel“ vor Gericht aussagen. Dass er ihm folgte, deutet darauf hin, dass der Rumäne etwas gegen den Russen in der Hand haben könnte. Es gibt aber noch eine weitere heiße Spur für die ermittelnden Wallensteins, Mutter Bärbel (Anja Kling) und Tochter Kim (Lisa Tomaschewsky): Ein junger Mann wurde in der Todesnacht am Tatort gesehen. Es ist der Rumäne Roman (Robert Alexander Baer), der zur Prostitution gezwungen wird und der sich mit Hilfe seiner deutschen Freundin (Stephanie Amarell) aus bestem Fabrikantenhause (Andreas Pietmann & Nicole Marischka) vor der Polizei versteckt. Weil er seinen Zuhältern kein Geld mehr einbringt, soll sich nun auch seine kleine Schwester Dana (Helen Woigk) verkaufen. Und dann bringt sich plötzlich eine der beiden Wallensteins in Todesgefahr…
Foto: ZDF / Frédéric Batier
„Nachtgestalten“ ist der zweite Samstagskrimi mit Anja Kling und Lisa Tomaschewsky („Deutschland 83“) als ungleichem Ermittler-Duo mit gleichem Familienstammbaum. Die ZDF-Reihe hat ihren unglücklich gewählten Titel „Die Wallensteins“ abgelegt und heißt nun „Dresden Mord“. Der Film von Krimi-Experte Hannu Salonen nach dem Buch von Mathias Klaschka ist ein handlungsintensiver, solide gemachter Whodunit-Krimi. Wirkt das Mutter-Tochter-Motiv, das den Auftakt der Reihe dominierte, in den Anfangsminuten noch ein bisschen aufgesetzt, wird es im Handlungsverlauf stärker in den Fall verwoben und bekommt dadurch eine größere Selbstverständlichkeit. Anfangs klingt vieles noch nach Drehbuch, der Kontrast der Frauen wird betont, damit es später zur Annäherung kommen kann; was erwartungsgemäß darin gipfelt, dass die eine die andere rettet. Das ist ebenso routiniert wie konventionell. So ist diese Reihe angelegt: klar erzählte Geschichten, toughe Charaktere und ein nicht zu komplizierter Plot mit einer zumeist sehr direkten Wirkung für den Zuschauer. Es dominiert eine geradlinige Dramaturgie, die an amerikanische Ermittlerserien erinnert; so wird einem die Analyse der Tat immer wieder vom Team vielstimmig und dialogreich vermittelt.
Diese eher unsinnlichen Erklärszenen kombiniert Regisseur Salonen und sein Kameramann Wolf Siegelmann mit einem coolen, modernen Look, der sich über den gesamten Film legt und in den zahlreichen Nachtszenen besonders atmosphärisch zur Geltung kommt. Über die bloße Optik hinaus verdichten diese Szenen anfangs aber auch die Narration, indem sie beispielsweise die Vorgänge um den rumänischen Jungen erst einmal zeigen und somit dem Zuschauer Raum für Assoziationen und Spekulationen geben. Den kleinen, durch die Bildebene generierten Informationsvorsprung holen die beiden dynamischen Kommissarinnen und ihre engagierten Helfershelfer (mit Tobias Oertel, Christian Erdmann und Axel Schreiber gut besetzt) allerdings rasch auf. Um die langen 90 Minuten rum & rund zu kriegen, gibt es auf der Zielgeraden noch eine ziemlich herbe Plot-Idee, die einen weiteren, dann allerdings dem Krimikenner weniger überraschenden Clou nach sich zieht. Bewertet man die erste Wendung in Hinblick auf die Dramaturgie, ist dies – zumindest im Rahmen der Gebrauchskrimi-Tonart dieses Films – ein Fall von Überkonstruktion. Beurteilt man sie aber auf der Grundlage der Geschichte, in der es um Jugendliche geht, die zur Prostitution gezwungen werden, so gelingt es Klaschka durch diese Wendung die Kommunikation „Zwangsprostitution“ in ihrer Kreisstruktur aus Zuhältern, Opfern und Kunden deutlich zu machen. Da „Nachtgestalten“ nicht mehr will, als diese tragische Interdependenz aufzuzeigen, bekommt man keineswegs den Eindruck, dass der Krimi vom Thema überfrachtet wird. Die klugen, wichtigen Themenfilme zu diesem gesellschaftlichen Problem gibt es mit „Operation Zucker“ und „Operation Zucker – Jagdgesellschaft“ ja bereits. (Text-Stand: 20.5.2016)
Foto: ZDF / Frédéric Batier