Drei Tage im April

Karoline Eichhorn, April Hailer, Oliver Storz. Inferno in einem Kuhdorf anno 1945

26.01.2025 22:50 SWR
Foto: SWR
Foto Rainer Tittelbach

„Ich konnte nur versuchen, den Widerschein des Infernos gewissermaßen in einem Dorfweiher zu zeigen“, so der renommierte Drehbuchautor und Regisseur Oliver Storz über seinen mehrfach preisgekröntes TV-Drama „Drei Tage im April“. Kurz vor Kriegsende zieht die Realität des Dritten Reichs noch einmal auf grauenvollste Weise in die schwäbische Provinz ein: Ein Viehwaggon mit hunderten Häftlingen, die in ein vor den Alliierten sicheres Konzentrationslager verlegt werden sollen, wird auf dem Bahnhof des Dorfes abgestellt. Nun hat also auch das kleine Nesselbühl sein KZ… Als Vorlage diente Storz sein eigenes Theaterstück „Die barmherzigen Leut‘ von Martinsried“. Großartig: Karoline Eichhorn

„Die Welt in der Nussschale des Kuhdorfs Nesselbühl, die Verkleinerung des Unfassbaren hin zum Anfassbaren“, so umschreibt Oliver Storz die Motivation zu seinem Fernsehfilm „Drei Tage im April“ zum 50. Jahrestag des Kriegsendes. Kein monumentales Fresko à la „Schindlers Liste“ konnten und wollten er und seine Geldgeber SDR (heute SWR), Arte und ORF auf die Beine stellen. „Ich konnte nur versuchen, den Widerschein des Infernos gewissermaßen in einem Dorfweiher zu zeigen“, sagt der renommierte Drehbuchautor und Regisseur.

Die Geschichte spielt in den letzten Kriegstagen. Die Amerikaner sind nicht mehr weit. Zwischen Hoffen und Bangen gehen die meisten Bewohner der kleinen schwäbischen Ortschaft ihren Alltagsgeschäften nach. Im Wirtshaus hockt derweil das Schwemmgut des Krieges, versprengte Landser, die Überlebenden eines Fronttheaters. Man singt Feindmusik, lässt sich treiben – bald ist der ganze Spuk sowieso vorbei. Doch dann holt die Menschen die Realität des Dritten Reichs noch einmal auf grauenvollste Weise ein: Ein Viehwaggon mit hunderten Häftlingen, die in ein vor den Alliierten sicheres Konzentrationslager verlegt werden sollen, wird auf dem Bahnhof des Dorfes abgestellt. Nun hat also auch Nesselbühl sein KZ. Die Menschen sind fassungslos, diskutieren über Zuständigkeiten, wollen, dass wieder Ruhe und Ordnung einzieht. Für andere bricht ein Weltbild zusammen.

„Eine sorgfältig inszenierte Parabel mit teils hervorragenden schauspielerischen Leistungen, aber auch strukturellen Schwächen. Überzeugend und eindrucksvoll ist sie immer dann, wenn sie aufmerksam den Empfindungen der Menschen nachspürt.“ (Lexikon des Internationalen Films)

„Regisseur Oliver Storz entwirft in diesem Fernsehfilm das erschütternde Bild einer nach zwölf Jahren Nazizeit durch Passivität, vorauseilenden Gehorsam und Verblendung geprägten Generation.“ (Cinema)

Drei Tage im AprilFoto: SWR
Kammerspiel über die letzten Kriegstage. Auch Nesselbühl hat nun sein KZ. Wirtstochter Anna (Karoline Eichhorn) fasst sich ein Herz – und hilft als erste.

Dem Film liegt eine tatsächliche Begebenheit zugrunde. Ein damals 17Jähriger, den die Bilder vom grausigen KZ auf Schienen sein Leben lang nicht losgelassen haben, ist Storz‘ Gewährsmann. „Die meisten anderen sind tot, und die paar noch Lebenden wollen sich nicht mehr erinnern“, so der 65jährige Filmemacher und Literat. Als Vorlage seines Fernsehspiels diente ihm sein eigenes Theaterstück „Die barmherzigen Leut‘ von Martinsried“. Für jene Barmherzigkeit hat Storz eine ganz spezielle Interpretation: Die Motivation sei die Angst davor, dass das Vertraute fremd werde. So handle die Hauptfigur, die einstige BDM-Führerin Anna, vor allem deshalb menschlich – „weil sie ahnt, dass sie sich an einem Ort, wo so etwas Schreckliches geschieht, nie mehr zuhause fühlen wird. Sie kämpft um ihre Kindheit, ihre Heimat, die sie nicht verlieren will“, interpretiert der Autor-Regisseur die Psychologie.

Dennoch liegt Storz Selbstgerechtigkeit fern. „Man weiß nicht, was man selbst damals getan hätte!“ war eine seiner Faustregeln beim Schreiben und Inszenieren. Und er wendet sich sehr direkt an die heute Lebenden: „Angenommen, wir beobachten, wie aus dem Nachbarhaus ein kurdischer Asylbewerber in Handschellen abgeführt wird zwecks Abschiebung in Bedrängnis und Tod. Gehen wir dazwischen, fasten wir oder schauen wir uns nicht doch am Abend gebannt das Europacup-Finale im Fernsehen an!?“

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fernsehfilm

Arte, ORF, SWR

Mit Karoline Eichhorn, April Hailer, Eva Michel, Birke Bruck, Dieter Eppler, Walter Schultheiß, Heidy Forster, Felix Eitner

Kamera: Hans Grimmelmann

Schnitt: Jürgen Lenz

Musik: Werner Fischoetter, Markus Schmitt

Produktionsfirma: SDR

Drehbuch: Oliver Storz

Regie: Oliver Storz

EA: 07.04.1995 20:15 Uhr | Arte

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach