Es bleibt lange ein Rätsel, warum dieser Drechsler ein dermaßen mürrischer Typ ist. Man ahnt es allerdings, weil das anscheinend sehr sorgfältige Drehbuch von Lothar Kurzawa, Jürgen Egger und Isabel Kleefeld immer wieder viel Liebe zum Detail offenbart. Spätestens, wenn Drechlser heimkommt und ein brummiges „Ich bin da“ murmelt, ist klar, dass wohl jemand weg ist. „Drechslers zweite Chance“ ist eine Komödie mit viel Melodram; eine Melodramödie, wenn man so will. Das liegt vor allem an Dietmar Bär, denn der gestattet dem Titelhelden nicht den (für ihn sonst so typischen) Anflug von Sympathie. Dafür sorgen die anderen: Birge Schade als Kneipenwirtin Jenny zum Beispiel, die dem Brummbär sichtlich zugetan ist. Drechlsers letzter Freund in diesem Leben ist Budde (Joachim Król), auch wenn sich ihre früheren Gefühle mittlerweile auf einen Deal reduzieren: Budde fährt Motorradstreife und ruft Drechlser, wenn jemand mal falsch parkt; dafür kassiert er 15 Prozent.
All das aber ist nur Folie für die eigentliche Handlung, die wiederum ohne die Vorgeschichte undenkbar wäre: Vor drei Jahren war Drechsler noch selbst Polizist und ging regelmäßig mit seiner Frau Tanja auf Streife. Ein Mal hat er die Schicht mit dem Kollegen Novak getauscht, weil er mit Budde zu einem Bowling-Turnier wollte. An diesem Tag ist Tanja erschossen worden; seither trägt Drechsler Trauer. Seine Wohnung ist das reinste Mausoleum – bis die ungewöhnlich hübsche Dänin Iben (Sofie Lassen-Kahlke) sein Leben durcheinander wirbelt.
Wie schon „Nie mehr zweite Liga“ (gleichfalls von Kurzawa, auch mit Bär) ist „Drechlsers zweite Chance“ eine Liebeserklärung ans Ruhrgebiet; weniger in geografischer, sondern vor allem in menschlicher Hinsicht. Da werden nicht viel Worte gemacht, da wird gleich zugeschlagen, so wie am Schluss, als Drechsler Kumpel Budde eine verpasst, weil der ihm einfach auf die Nerven geht. Trotzdem machen Regisseur Jobst Oetzmann und Kameramann Daniel Koppelkamm nicht den Fehler, die Gegend zu verklären: Das herbstliche Dortmund sieht nicht weniger trist aus als andere Großstädte. Für die Wärme sorgen die Figuren. Und natürlich die Geschichte, die aber ebenfalls auf dem Teppich bleibt: Eigentlich wartet man die ganze Zeit drauf, dass die Dänin in einen Kriminalfall verwickelt ist, doch sie wird bloß von ihrem Mann verfolgt. Der hat einen Privatdetektiv engagiert, und das ist ausgerechnet Novak (Stephan Kampwirth), mit dem Drechsler noch eine Rechung offen hat und dessen Jeep er mit Vorliebe abschleppt. Mehr noch als der liebreizenden Dänin gelingt es aber ihrem kleinen Sohn Milan (Justin Doerré), die raue Schale des Abschleppers zu knacken.
Wenn Bär und Król zusammenspielen, ist es eigentlich völlig egal, welche Geschichte erzählt wird. Der eine aus Dortmund, der andere aus Herne: Da passt einfach alles. Und wenn der kleine Król mit seiner hoffnungslos unmodernen, aber ultracoolen Sonnenbrille vom Motorrad steigt, sieht man ihm förmlich an, wie er sich das Grinsen verkneifen muss. Dazu dann noch uneitler Großstadt-Rock und ein herrlich melancholischer Blues, wenn Drechsler wieder mal im Selbstmitleid badet: Es braucht gar nicht viel für einen großen Film, nur große Darsteller (auch am Rande: Hermann Lause und Rudolf Kowalski in Mini-Nebenrollen) und lebendige Dialoge. Als Drechlser Iben das erste Mal trifft, hat sie eine Panne und wartet vergeblich auf den „Addack“. Drechlser, nicht faul, schiebt kurzerhand ihr Auto zur Seite – und fährt weiter. Die Szenen im Abschleppwagen dürften Bär ohnehin eine Menge Spaß gemacht haben, zumal Drechsler geradezu ein Vorbild für defensives Fahren ist („Du Penner!“).
Nur einmal lässt sich Oebstmann zum Märchen hinreißen: als Milan vom Dach fällt und Drechsler im Nu das Auto von der Ladefläche in die Höhe hebt, um ihn darin aufzufangen. Dann ist es aber auch wieder gut: Als Fluchtfahrzeug stellt er seinen Abschleppwagen nur bis zur nächsten Kreuzung zur Verfügung. Bei so viel Lokalkolorit und Lebensnähe kann „Drechslers zweite Chance“ sogar auf ein Happy End verzichten: In typischer Casablanca-Großzügigkeit arrangiert Drechlser am Ende ein Wiedersehen von Iben und ihrem Mann. Sie hat ihn aus seinem Dornröschen-Schlaf geweckt, jetzt ist die Bahn frei: für Jenny und für die Rückkehr auf die Bowling-Bahn. (Text-Stand: 13.10.2004)