Draußen in meinem Kopf

Samuel Koch, Nils Hohenhövel, Eibe Maleen Krebs, Andreas Keck. Herausforderungen

Foto: ZDF / Thomas Kost
Foto Tilmann P. Gangloff

Vielleicht ist es zuviel verlangt, von einem Sender eine gewisse moralische Verpflichtung zu erwarten: Mit Ausnahme des Auftaktfilms zeigt das ZDF sämtliche Beiträge der Reihe „Shooting Stars“ erst spät am Abend, obwohl fast alle Primetime-tauglich wären. Im Fall von „Draußen in meinem Kopf“ (Junafilm) aber liegen die Dinge noch mal anders, denn Samuel Koch spielt hier seine erste Hauptrolle; 2010 ist er als junger Schauspielstudent bei „Wetten, dass..?“ so schwer verunglückt, dass er seither querschnittsgelähmt ist. Eibe Maleen Krebs erzählt in ihrem Spielfilmdebüt von der widerwilligen Freundschaft zwischen dem schwerst behinderten Sven und seinem FSJler. Bis auf die Schlussszene trägt sich die Handlung ausschließlich in Svens Zimmer zu. Trotzdem ist das Drama auch dank der Bildgestaltung durch die erfahrene Kamerafrau Judith Kaufmann kein dröges Kammerspiel. Der größte Respekt gebührt Koch, der seine Figur im Grunde nur mit den Augen „verkörpert“.

Der rätselhafte Titel dieses Dramas lässt sich ganz einfach erklären: Sven muss nicht vor die Tür gehen, denn das Draußen ist komplett in seinem Kopf. Aber selbst wenn er wollte: Sven könnte gar nicht; er hat Muskeldystrophie. Sein Aktionsradius endet unterhalb des Kopfes; er muss gefüttert und gewaschen werden. Zwei Szenen verdeutlichen, welche nervigen Folgen die Bewegungslosigkeit sonst noch hat: Wenn eine Fliege auf seiner Hand landet, kann Sven nicht mehr tun als zu versuchen, sie wegzupusten; und wenn eine CD hängen bleibt, was den Tatbestand der akustischen Folter erfüllt, muss er warten, bis jemand die Kakophonie mitbekommt und beendet. Ansonsten hat Sven nicht viel zu tun; zwischendurch schlägt er die Zeit tot, indem er dem in der Luft tanzenden Staub zuschaut. Für einen Darsteller ist das eine enorme Herausforderung; er kann im Grunde nur mit seinen Augen spielen.

Samuel Koch wurde auf tragische Weise quasi über Nacht berühmt, als er mit Anfang zwanzig im Dezember 2010 in der ZDF-Show „Wetten, dass..?“ derart schwer verunglückte, dass er seither querschnittsgelähmt ist. Sein Schauspielstudium setzte er dennoch fort. Vier Jahre nach dem Unfall konnten sich die Kinobesucher dank seiner Gastrolle in „Honig im Kopf“ davon überzeugen, wie gut er sein Metier beherrscht; seit 2018 ist er festes Ensemblemitglied am Nationaltheater Mannheim. Sein Talent ist die Basis dafür, dass „Draußen in meinem Kopf“ funktioniert, denn mit Ausnahme der Schlussszene trägt sich die Handlung ausschließlich in Svens Zimmer zu. Sie beginnt mit der Einführung eines Abiturienten, der in dem Pflegeheim sein freiwilliges soziales Jahr absolviert; Nils Hohenhövel spielt hier wie Koch seine erste Hauptrolle. Christoph ist eine „Un“-Figur: unerfahren, unschuldig, unbedarft. Hohenhövel verkörpert den jungen Mann über weite Strecken wie ein verschrecktes Reh, zumal der ebenso intelligente wie gelangweilte Sven, der seine Todessehnsucht zuweilen mit sinistrem Sarkasmus tarnt, ein böses Spiel mit dem FSJler treibt. Dass sich die Pflegerin Louisa, die er heimlich anhimmelt, zu Christoph hingezogen fühlt, macht die Sache nicht einfacher.

Bachs Kompositionen strahlen eine fast heitere Gelassenheit im Angesicht des Unvermeidlichen aus. Etwas von diesem erhabenen Gleichmut erfüllt auch den Film. Svens Krankheit ist Qual und Tragödie, aber er überwindet beides. In der Freundschaft, die sich zwischen ihm und Christoph entwickelt, kulminiert schließlich ein Menschen- und Weltbild, das sich von beengenden Vorstellungen und Ideen löst. Eine beinahe schon erotische Spannung baut sich zwischen Nils Hohenhövel und Samuel Koch im Hin und Her der Blickwinkel auf. Aber diese Spannung geht über das Physische hinaus. Der Film untergräbt wohlfeile moralische Gewissheiten und konfrontiert den Zuschauer mit einem Konzept von Freundschaft und Liebe, das etwas Beängstigendes und zugleich etwas Überwältigendes hat. (Sascha Westphal, epd film, 23.4.2018)

Draußen in meinem KopfFoto: ZDF / Thomas Kost
Sven (Samuel Koch) ist durch seine Erkrankung an Muskeldystrophie ans Bett gefesselt und möchte dennoch so wenige Hilfe wie möglich von anderen annehmen. Er macht es seinem Betreuer Christoph (Nils Hohenhövel) nicht leicht.

Dank der Großherzigkeit des jungen Mannes übersteht die Beziehung jedoch selbst einige niederträchtige Provokationen und nimmt schließlich eine Tiefe an, die in einen zutiefst humanistischen Akt der Selbstverleugnung mündet. Auch wenn sich Christoph als gelehriger Schüler erweist und einem salbadernden Pfarrer einen bösen Streich spielt, so erübrigen sich trotz gelegentlicher komischer Momente etwaige Vergleiche mit der französischen Erfolgskomödie „Ziemlich beste Freunde“ (2011); wenn überhaupt, dann trifft das Spielfilmdebüt von Eibe Maleen Krebs eher den Tonfall von Dietrich Brüggemanns Drama „Renn, wenn du kannst“ (2010). Im Kino hatte der Film nur ein paar tausend Zuschauer, weshalb es umso bedauerlicher ist, dass das ZDF das Drama im Rahmen seiner Reihe „Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten“ erst um 23.15 Uhr ausstrahlt.

Der Film ist für Menschen, die zwar berührt werden möchten, aber bitte nur oberflächlich. Ein Film für alle, die auf das „tragische Schicksal“ anderer Menschen blicken, ohne Blick für die gesellschaftlichen Fragen, die uns alle angehen. Die Regisseurin Eibe Maleen Krebs erklärte in einem Interview, warum sie sich für den Charakter des Kammerspiels entschieden hatte: „Die Geschichte sollte hinter verschlossenen Türen stattfinden“, sagte Krebs. Und genau hier liegt das Problem. Behinderung findet sowohl in unserer Gesellschaft als auch in Filmen bisher nur als Rand- und meistens als Tabuthema statt. Auch dieser Film verfestigt alle Klischees und die Segregation von behinderten und nichtbehinderten Menschen. Er nutzt nicht die Chance der Aufklärung, der Überwindung von Barrieren, sondern macht die Angst vor dem Fremden noch größer. Und das in einer Zeit, in der eine rechtspopulistische Partei in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung eine Verbindung zwischen Inzest, Migration und Behinderung zieht. (Mareice Kaiser, DIE ZEIT, 24.4.2018)

Vor „Draußen in meinem Kopf“ hat Krebs, die zusammen mit Andreas Keck auch das Drehbuch geschrieben hat, unter anderem den Dokumentarfilm „Vom Hören Sagen“ gedreht (2014, FBW-Prädikat „Besonders wertvoll“), ein Interviewfilm über Menschen, die blind zu Welt gekommen sind. Wichtigste Mitstreiterin bei der Entstehung ihres ersten szenischen Films dürfte Judith Kaufmann gewesen sein. Die erfahrene Kamerafrau ist mit fast allen wichtigen Preisen ausgezeichnet worden (Deutscher Kamerapreis für „Scherbentanz“ und „Die Fremde“, Deutscher Fernsehpreis für „Bella Block: Die Frau des Teppichlegers“) und hat gemeinsam mit Krebs dafür gesorgt, dass sich das Kammerspiel – es gibt keinen einzigen Blick aus dem Fenster, nicht für Sven, nicht fürs Publikum – nicht klaustrophobisch anfühlt.

Für die akustische Untermalung sorgt in erster Linie Sven, denn er verbringt seine Zeit gern mit morbiden Bach-Chorälen, die so treffende Titel wie „Komm, süßer Tod“ oder „Komm, o Tod, du Schlafes Bruder“ (aus der „Kreuzstabkantate“) tragen. Ansonsten gibt es Abwechslung in seinem Dasein nur dann, wenn die Tür aufgeht. Abgesehen vom Pflegepersonal taucht dann meist Larry auf, den Lars Rudolph als typisch schräge Lars-Rudolph-Figur verkörpert, aber einmal steht auch mitten in der Nacht ein etwas skurriler Chor vor dem Bett und singt „Vom Himmel hoch“ (der Film spielt zur Weihnachtszeit). Weil Krebs und Keck für das Drehbuch eine Art Tagebuchdramaturgie gewählt haben, vermittelt „Draußen im Kopf“ recht gut, wie es sich vermutlich anfühlt, in Svens Haut zu stecken. Der Film erzählt zwar vor allem von der Abwechslung, blendet aber auch die Eintönigkeit nicht aus. Wie bei den meisten anderen Beiträgen der „Shooting Stars“-Reihe stellt sich daher die Frage, warum das ZDF diese Kinokoproduktion der Redaktion „Das kleine Fernsehspiel“ nicht um 20.15 Uhr zeigt; von einer gewissen moralischen Verpflichtung gegenüber Koch ganz zu schweigen. Beim Max Ophüls Preis hat der Film 2018 den Preis der deutsch-französischen Jugendjury bekommen. (Text-Stand: 17.6.2019)

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Kinofilm

ZDF

Mit Samuel Koch, Nils Hohenhövel, Lars Rudolph, Eva Nürnberg, Mario Fuchs, Wieslawa Wesolowska, Harald Schwaiger, Bastian Trost

Kamera: Judith Kaufmann

Szenenbild: Thorsten Sabel

Kostüm: Nicole Hutmacher

Schnitt: Marianne von Deutsch

Musik: Martin Lingnau, Ingmar Süberkrüb.

Soundtrack: Johann Sebastian Bach („Komm, süßer Tod“, „Komm, o Tod, du Schlafes Bruder“)

Redaktion: Claudia Tronnier, Olaf Grunert

Produktionsfirma: Junafilm

Produktion: Verena Gräfe-Höft

Drehbuch: Eibe Maleen Krebs, Andreas Keck

Regie: Eibe Maleen Krebs

EA: 07.07.2019 23:15 Uhr | ZDF

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