Dr. Gressmann zeigt Gefühle

Alwara Höfels, Ken Duken, Edin Hasanovic, Niki Stein. Wahnsinn & Regression

Foto: HR / Arthur W. Ahrweiler
Foto Rainer Tittelbach

Mittsommernacht, das klingt romantisch. „Dr. Gressmann zeigt Gefühle“ klingt nach Arztroman. Und Niki Stein, das klingt nach Krimi oder Drama. Doch nichts von alledem ist so, wie es scheint. Einen Jux wollte sich der renommierte Autor-Regisseur machen – und der HR hat ihn gelassen. Und weil sich der Autor Stein zu sehr auf den Regisseur Stein verließ, ist diese Chaos-Komödie nicht richtig rund geraten. Um ihr etwas abzugewinnen, muss man schon ein großes Faible haben für Nonsens, visuelle Spielereien und muss bereit sein, sich dem Schwachsinn einfach mal hinzugeben. Über jeden Quatsch erhaben: Alwara Höfels

Mittsommernacht in Frankfurt. „Dieser Tag wird in die Annalen der Polizeigeschichte eingehen“, prophezeit der diensthabende Kommissar. Schon am frühen Abend lief nicht alles so wie geplant. Der Unternehmensberater Dr. Philipp Gressmann wollte mit zwei betuchten Kunden einen Millionen-Deal aushandeln; stattdessen schickt ihn seine Ex-Frau zum Elternabend. Davor kriegt der schnöselige Herr Doktor noch mächtig was auf die Nase, von Taci, der am liebsten mit seiner Knarre herumfuchtelt, sich heute aber in erster Linie als Heiratsvermittler sieht und auf der Suche nach Rosa ist, eine Ich-AG auf zwei entzückenden langen Beinen. Die muss wie Gressmann auch zum Elternabend. Es stellt sich heraus, dass die Söhne der beiden beste Freunde sind – und so findet sich das ungleiche Paar bald in derselben Schulbank sitzend wieder, gemaßregelt von Frau Dr. Brokdorf, dem pädagogischen Super-GAU. In einem indischen Lokal kommt es zum vorläufigen Höhepunkt, Gressmanns Geschäftskollegen mittendrin. Viel Blut, viele Verletzte. Und dann wird es ernst für Rosa alias Dolores. Taci hat einen Auftrag. Letzte Ausfahrt Flughafen, dort wo Dolores wohnt, kommt es zum Showdown – mittendrin Dr. Gressmann, der plötzlich Gefühle zeigt.

Dr. Gressmann zeigt GefühleFoto: HR / Arthur W. Ahrweiler
Dieser verdammte Fahrstuhl! Und sicher wartet wieder in Etage 12 der Psychopath mit seinem Köter. Mal die Farben rausgenommen. Ken Duken & Alwara Höfels in „Dr. Gressmann zeigt Gefühle“

Mittsommernacht, das klingt romantisch, weniger nach Blutbad. „Dr. Gressmann zeigt Gefühle“ klingt mehr nach Arztroman als nach irgendetwas anderem. Und Niki Stein, das klingt nach Krimi oder Drama. Doch nichts von alledem ist so, wie es scheint. Auch wenn der Plot im Psychopathen-Milieu wildert und mit den romantischen Neurosen-Komödien liebäugelt, so ist er doch mehr dem Prinzip Chaos durch Filmsprache als irgendeiner Genre-Idee ernsthaft verpflichtet. Einen Jux wollte sich Niki Stein mal wieder machen – und der HR hat ihn gelassen. Ausgedacht hat sich der Autor Stein einiges, aber Spitzfindigkeiten wie der ans Arztgenre erinnernde Filmtitel oder der Heldenname Gressmann (da assoziiert man „Regressansprüche“ oder „Regression“, was ja wunderbar zu diesen überdrehten Erwachsenen passt) machen einen Film noch nicht stimmiger oder gar besser. Und so sind bei dieser verrückten Fahrt durch die Nacht, die leider viel zu wenig hat von Scorseses „Die Zeit nach Mitternacht“, bald besonders der Regisseur Stein und die Schauspieler gefragt.

Gleich mit der ersten Einstellung verblüffen der Regisseur und sein Kameramann Arthur W. Ahrweiler: eine fast dreiminütige Szene ohne Schnitt. Das betont diese für einen Fernsehfilm-Einstieg ziemlich irritierende Szene. „Einfach zu Brei geschlagen, nichts mehr zu erkennen“, hört man eine Spusi-Frau sagen. „Wir sind die Erntehelfer des Grauens“ – der Kommissar scheint auch eine an der Klatsche zu haben. Und die Frau, die sich später als Dolores Sturm erweisen wird, irrt verwirrt auf der Straße umher, die offenbar zu einem Tatort eines besonders brutalen Verbrechens geworden ist. Ängstlich verfolgt sie den Polizeieinsatz. Sie wird festgenommen – und dann wird quasi mit der Rewind-Taste alles auf Anfang gestellt, auf 19.45 Uhr am Vorabend. Die Bilder, die gleich zu sehen sind, werden im Zeitraffer zurückgespult. Was sonst noch zu sehen ist: endlos kreisende Kameras, bizarre Perspektiven oder Inserts, die das Gezeigte oder die Filmästhetik ironisch kommentieren. Da wird dann plötzlich mit den Worten „Achtung: Farbentsättigung aus dramaturgischen Gründen – kein technischer Fehler ihres Empfangsgeräts“ gänzlich die Farbe aus den Bildern genommen, bevor wenig später Rosa mit ihrem Arbeitsplatz ihrer Website „www.Rosa-besorgt-es-dir.de“ ihrem Namen visuell alle Ehre macht. An skurrilen Momenten also mangelt es dem Film nicht.

Dr. Gressmann zeigt GefühleFoto: HR / Arthur W. Ahrweiler
Seltsame Optiken, schräge Perspektiven. Kameratechnisch ist ganz schön was los! Ken Duken & Alwara Höfels drehen durch.

Auch nicht an schrägen Nebenfiguren, einige von ihnen sind sichtlich zu allem bereit. Es mangelt allerdings anfangs schon ein bisschen an narrativen Orientierungsmarken. Auch wird Ken Dukens Titel gebende Klugscheißer-Figur, die einem zunächst herzlich unsympathisch ist (mit Ausnahme vielleicht dessen Wutrede über die Bildungsmisere und unfähige Lehrer), etwas zu viel Raum für seine mackerhaften Monologe gegeben, anstatt die Geschichte stärker auf die griffigere Hauptfigur hin, Dolores Sturm, zuzuspitzen und so die Zugänglichkeit zum Film zumindest ein Stück weit für den Zuschauer zu vergrößern. Denn Rettungsanker in diesem Stelldichein der Charakter-Chargen ist eindeutig Alwara Höfels, die eine Spur Normalität und Alltagspsychologie in Niki Steins Geschichte vom gewollten Chaos bringt.

„Hier blickt doch niemand mehr durch in diesem Wahnsinn“, heißt es im Film. Der gesunde Menschenverstand würde es wohl direkter ausdrücken – etwa: „Was soll der Scheiß.“ Jetzt sollte man sich als Kritiker aber nicht am so genannten gesunden Menschenverstand ein Beispiel nehmen. Also anders gesagt: „Dr. Gressmann zeigt Gefühle“ hat schon so seine Momente (Edin Hasanovic als schlimmer Finger mit einigen köstlich schwachsinnigen Dialogen oder Alwara Höfels gut getimte, beiläufige gespielte Fahrigkeit), vorausgesetzt, man ist für Nonsens zu haben und kommt auch mal ohne geradlinige Dramaturgie klar. Dennoch ist der Film nicht das Gelbe vom Komödien-Ei. Dafür wirkt – vergleicht man ihn beispielsweise mit dem von der Komik ähnlich gelagerten Film, dem Grimme-gekrönten „Dienstreise – Was für eine Nacht“ – vieles einfach zu selbstverliebt.

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Fernsehfilm

HR

Mit Alwara Höfels, Ken Duken, Edin Hasanovic, Wolfgang Michael, Lisa Stiegler, Peter Becker, Anke Sevenich, Isaak Dentler, Thomas Arnold, Hubertus Hartmann

Kamera: Arthur W. Ahrweiler

Szenenbild: Anette Reuther

Schnitt: Silke Franken

Musik: Jacki Engelken

Produktionsfirma: Hessischer Rundfunk

Drehbuch: Niki Stein

Regie: Niki Stein

EA: 27.08.2014 20:15 Uhr | ARD

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