Anders als die Reihe-„Sechs auf einen Streich“, bei der die ARD mittlerweile nicht nur an der Anzahl spart, sind die Weihnachtsmärchen im ZDF ihrer optischen Opulenz treu geblieben: Seit „Rübezahls Schatz“ (2017) sorgt Ngo The Chau, für seine Kameraarbeit gleich dreimal mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet (unter anderem 2020 für die ZDF-Serie „Bad Banks“), regelmäßig für spektakuläre Bilder. Für den Sendeplatz an Heiligabend im „Zweiten“ ist mit „Schneewittchen und der Zauber der Zwerge“ (2019) auch sein nicht nur aufgrund der exzellenten Bildgestaltung bemerkenswertes Regiedebüt entstanden.
Mit „Dornröschen und der Fluch der siebten Fee“ hat Ngo The Chau bereits seine vierte ZDF-„Märchenperle“ inszeniert. Selbst wenn diesmal nicht alle visuellen Effekte Kinoqualität haben: Die Bilder sind erneut spektakulär. Gerade die an frühe Technicolor-Produktionen erinnernde Farbgebung ist von einer verspielten Virtuosität; der Himmel sieht aus wie eine Hommage an „Vom Winde verweht“. Allerdings leidet der Film ganz erheblich unter dem Hotzenplotz-Syndrom. Schon „Hexenprinzessin“ (2020) war darstellerisch nicht überzeugend und überzogen. Auch „Zwerg Nase“ (2021) war zumindest aus erwachsener Sicht unnötig klamaukig. Erst mit dem „Märchen vom Frosch und der goldenen Kugel“ (2022) wurde Ngo The Chau dank schwungvoller Regie und kühnem Drehbuch wieder jenem Maßstab gerecht, den er mit „Schneewittchen“ selbst gesetzt hatte.
So gesehen ist „Dornröschen“ ein Rückfall: Die Comedy-Elemente sind nicht lustig, sondern Fremdkörper, und einige Mitwirkende erliegen der allerdings typischen Annahme, im Kinderfernsehen müsse man möglichst dick auftragen. Das hat wiederum prompt zur Folge, dass die Darbietungen stellenweise amateurhaft anmuten; erst recht, wenn Nebendarstellerinnen mit viel mimischem Einsatz versuchen, aus ihren wenigen Szenen erinnerungswürdige Auftritte zu machen. Die Handlung wird zudem regelmäßig durch Off-Stimmen erläutert, und die sind ausnahmslos nicht gut. Die Flöt- und Pfeiftöne, mit denen die Slapstick-Situationen unterlegt sind, passen ebenfalls nicht zum Anspruch des Films. Die Kommentare der von Michael Kessler gesprochenen boshaften Hecke, die das Königsschloss umgibt, sollen weitere komische Kontrapunkte setzen, aber das Kalkül geht nicht auf, zumal die Bemerkungen angesichts des durchaus dramatischen Geschehens unpassend wirken. Wenn „Heckbert“ in irres Kichern verfällt, klingt das zudem eher lächerlich als furchteinflößend. Leider gilt die akustische Einschränkung auch für Bella Dayne. Mit der Titelrolle in Ngo The Chaus erstem Krimi, „Das Mädchen, das allein nach Haus’ geht“ (2022, ein „Tatort“ aus Berlin), feierte sie nach einigen internationalen Produktionen eine verheißungsvolle Premiere im deutschen Fernsehen. Hier trägt sie als böse Gegenspielerin viel zu dick auf.
Wohltuend ist dagegen das sparsame Spiel von Claude Albert Heinrich als Antiheld: Prinz Parvus ist ein unscheinbarer Träumer, den eine junge Frau wie Prinzessin Rosabella (Alix Heyblom) unter anderen Umständen keines zweiten Blickes gewürdigt hätte. Weil die beiden jedoch offenkundig Seelenverwandte sind, erscheint sie vor seinem geistigen Auge, und da er reinen Herzens ist, gelingt es ihm als erstem, die Hecke zu überwinden. Bevor er die einst verfluchte Königstochter von ihrem Schicksal erlösen kann, kommt es zur finalen Konfrontation mit Rubia, der schurkischen Fee, die allerdings gute Gründe für ihr ruchloses Verhalten hat, wie sich schließlich herausstellt. Außerdem gehörte sie früher zu den Guten, bis sie ihre neugierige Nase allzu tief in einen Folianten voll dunkler Magie steckte.
Das Drehbuch von „Schloss Einstein“-Autorin Dana Bechtle-Bechtinger basiert auf dem bereits 1696 veröffentlichten Märchen „Die schlafende Schöne im Wald“ des Franzosen Charles Perrault; die „Dornröschen“-Version der Brüder Grimm ist erst gut hundert Jahre später erschienen. Die Geschichte erfreut durch viele überraschende Wendungen, die düsteren Teile der Handlung sind zum Teil wahrlich furchteinflößend, zumal sich eine Handvoll grimmiger Schattenwesen (angeführt von Florence Kasumba) als Rubias demonstrativ divers besetzte verzauberte Schwestern entpuppen. Deren Bruder hat damals ihren Todesfluch abgeschwächt. Rubias Rache lässt ihn zum Terrier werden, sobald er den Bannkreis rund ums Schloss verlässt. Innerhalb nimmt er seine ursprüngliche Gestalt an, aber zum Helden taugt auch er nur bedingt; Soufjan Ibrahim verkörpert den „Feerich“ als personifizierte Sorgenfalte mit Quengelstimme. Kostüm- und Szenenbild sind allerdings ebenso wie die Bildgestaltung ein wahrer Augenschmaus, und auch die große Musik (Sebastian Fillenberg) entspricht den Ambitionen des Films.