Es bleibt auch in der zweiten Staffel dabei: der Ex-Chirurg, der kein Blut mehr sehen kann und sich deshalb als Allgemeinmediziner versucht, wird nicht warm mit den Fischköppen. In Berlin galt er als eine Koryphäe, in Ostfriesland wüssten es dagegen alle besser, mault Doktor Martin Helling, der ständig seine Autorität untergraben sieht. Das steigert nur noch seine Arroganz und Distanz der Dorfbevölkerung gegenüber. Die, ebenso stur, zieht mit – und so wird das wohl nichts mehr werden mit der Harmonie zwischen Arzt und Patient. Das ist nicht zum Schaden des Zuschauers, der schon genügend versöhnliche Arztserien zu verkraften hat.
Einen schweren Stand hat auch die Serie „Doktor Martin“ beim Zuschauer. Denn sie hängt zwischen den Stühlen. Die jüngeren Serien-Fans verlaufen sich nicht ins ZDF und halten sich lieber an „Dr. House“ gütlich oder sie erinnern sich mit „Ausgerechnet Alaska“ an bessere Zeiten. Und die unentwegten Arztserienzuschauer, die lieben „In aller Freundschaft“ oder den echten „Landarzt“. Die Einschaltquoten sind überschaubar. Daran ändert auch ein Ausnahmeschauspieler wie Axel Milberg nichts. Dabei ist seine Performance das, was die Serie sehenswert macht. Ein Misanthrop, bierernst und besserwisserisch, typisch deutsch würde man sagen, wenn man es nicht besser wüsste: die Serie wurde nach dem britischen Vorbild „Doc Martin“ entwickelt. Kann ein Unsympath als Hauptfigur einer Serie funktionieren – diese Frage stellt sich hierzulande seit „Stromberg“. Natürlich geht es. Bei Ekel Alfred in „Ein Herz und eine Seele“ ging es schließlich auch. Entsprechend ist „Doktor Martin“ nicht unbedingt ideal zum Wohlfühlen, aber durchaus mit Unterhaltungswert. Wie es ihm immer wieder gelingt, die Menschen, selbst die, die ihn mögen, von sich zu stoßen – das erscheint wie das zwanghafte Pendant zu Dr. Brinkmann und Konsorten.
Theoretisch also hebt diese Serie die Dramaturgie der angestrengten Harmonie um jeden Preis aus den Angeln. Doch wie sieht es praktisch aus? Ist das im Detail wirklich immer witzig? Ist es nicht so, dass die Szenen ohne Milberg so gut wie nie funktionieren und dass Margrit Sartorius nichts von Ina Weisses gläserner Aura mitbringt? Laufen die Geschichten in einer Folge nicht zu unstrukturiert nebeneinanderher? Und wird da nicht viel zu wenig gemacht aus den Motiven? In „(K)eine Frage des Alters“ entpuppt sich ein Strandkorbvermieter, der ständig mit Verletzungen zu kämpfen hat, als Freund sadomasochistischer Ehe-Spiele. Dramaturgisch wird das Motiv völlig verschenkt. Auch die furiose Traumsequenz als Einstieg in Staffel 2, die das Verhältnis zwischen Martin und Thea wunderbar auf den Punkt bringt, verspricht mehr als gehalten wird. Dass auch einer Dramedy Tempo, ein Running Gag oder eine gelegentliche Pointe gut tun, weiß man bei uns spätestens seit „Doctor’s Diary“. Als diese Serie lief, waren offenbar die Bücher zu „Doktor Martin“ schon geschrieben.