„Doktor Ballouz“ war die vielleicht schönste Serie des letzten Jahres: mit sympathischen Hauptfiguren und zu Herzen gehenden Geschichten aus einer malerisch gelegenen kleinen Klinik in der Uckermark. Die sechs Folgen waren zudem auf eine Weise umgesetzt, die das Leben ein bisschen leichter machte. Zwar ging es wie in allen Krankenhausserien durchaus dramatisch zu, aber die Drehbücher betteten die Ereignisse in eine ziemlich heile Welt. Klingt nicht ungewöhnlich, zumal auch die väterliche Figur im Zentrum nicht erst seit dem Klassiker „Die Schwarzwaldklinik“ zum Repertoire solcher Produktionen gehört, aber die Serie war anders. Das lag auch und vor allem an Merab Ninidze, der die verwitwete Titelfigur mit einer berückenden Mischung aus Melancholie, Weisheit und medizinischer Erfahrung verkörperte.
Foto: ZDF / Jana Lämmerer
Die zweite Staffel knüpft nahtlos an diese Qualität an, obwohl hinter der Kamera andere Kräfte am Werk waren; allerdings war Conni Lubek nach wie vor maßgeblich für die Drehbücher verantwortlich. Außerdem ist das Ensemble ausnahmslos das gleiche geblieben. Wie schon in der ersten Staffel ist Amin Ballouz ein Primus inter pares, und das in mehrfacher Hinsicht: als Chef, weil er eine Operation auch mal bereitwillig dem deutlich jüngeren Kollegen Schilling (Daniel Fritz) überlässt, der das besser kann; und als Figur, weil die anderen Rollen weit mehr als bloß Begleitpersonal sind. Ballouz ist exponiert, aber bei den in sich abgeschlossenen Episodenfällen kommt Ärztin Barbara Forster (Julia Richter) die gleiche Bedeutung zu, zumal sie über ähnlich viel Empathie verfügt wie ihr Vorgesetzter, mit dem sie eine intensive Freundschaft verbindet. Kein Wunder, dass das Betriebsklima vorbildlich ist.
Der größte Unterschied zu den früheren Geschichten ist das Vorzeichen: Die Folgen hatten zwar ihre heiteren Momente, waren aber von Ballouz’ Trauer um seine geliebte Mara (Clelia Sarto) geprägt. Weil es ihm zum Ende der Staffel gelang, sie loszulassen, ist er nun offen für neue Begegnungen, weshalb ihn die Drehbücher regelmäßig mit der Leiterin der Krankenhauswäscherei zusammenstoßen lassen. Der Begriff „Kollisionsverhütung“ wird daher zum gemeinsamen Running Gag, denn Eva Schmidt (Helen Grass) macht den Bootsführerschein. Die entsprechenden Szenen belegen, mit wie viel Einfallsreichtum und Zuneigung Lubek und ihr Team die Drehbücher verfasst haben: Die erste Folge beginnt mit einem Unwetter. Beim Blitzeinschlag geht Ballouz’ Waschmaschine kaputt. Nach einer kleinen Rundreise durch die Klinik landet sein Wäschekorb schließlich bei Eva, die den Hinweis des Doktors, es handele sich um einen Notfall, angesichts seines etwas gewagten Hemdes sofort glaubt. Die weiteren Szenen der beiden könnten auch aus einer Komödie stammen, und weil es zwischen Schilling und Forster ebenfalls knistert, ist diesmal ziemlich viel Romantik im Spiel. Als Ballouz einer Frau (Allessija Lause) begegnet, der womöglich Maras Herz eingesetzt worden ist, zeigt sich jedoch, dass er wohl doch noch nicht so weit ist.
Foto: ZDF / Oliver Betke
Gegenentwurf sind die medizinischen Herausforderungen, bei denen es regelmäßig um mehr geht als nur um den jeweiligen Notfall: Eine alte Frau (Ursula Werner) fürchtet sich vor einem Lebensabend auf dem Abstellgleis, ein junger Mann (Lukas von Horbatschewski) wollte sich aus Liebeskummer das Leben nehmen, einer jungen Frau (Soma Pysall) droht der Verlust des Augenlichts, eine Mutter (Katrin Röver) will ihrem elfjährigen Sohn, der an einem unheilbaren Gen-Defekt leidet, unvergessliche letzte Momente bescheren und kriegt gar nicht mit, dass der völlig erschöpfte Junge nur ihr zuliebe mitmacht. Das dramaturgische Konzept folgt somit dem bewährten Schema, das auch ARD-Freitagsreihen wie „Die Eifelpraxis“ oder „Praxis mit Meerblick“ prägt. Für den Stellenwert der Serie spricht allerdings nicht zuletzt die Riege der prominenten Mitwirkenden, darunter August Zirner als ehemaliger Arzt, der als Vater versagt hat, Christina Hecke als Frau ohne Brüste oder Birge Schade als Mutter, die angeblich unter einer Psychose leidet; dieser Fall sorgt dafür, dass die mit dem Beruf hadernde Assistenzärztin Michelle (Nadja Bobyleva) ihre wahre Bestimmung entdeckt. Besonders berührend ist die Erzählung eines Ehepaars (Alissa Jung, Bernhard Piesk): Nach einem Unfall hat die Frau einen Teil ihres Gedächtnisses und damit auch die Liebe zu ihrem Mann verloren.
Mitunter mag die eine oder andere Dialogzeile nach Kalenderspruch klingen, aber aus dem Mund des längst auch international gefragten Merab Ninidze, der zuletzt unter anderem an der Seite von Benedict Cumberbatch in dem Thriller „Der Spion“ (2020) geglänzt hat, klingen sie wie Weisheiten. Die weiteren darstellerischen Leistungen sind gleichfalls ausnahmslos vorzüglich. Auch bei der Inszenierung durch Felix Ahrens und Florian Gottschick gibt es keinerlei Qualitätsunterschiede zur ersten Staffel. Ahrens, 2016 im Rahmen der Student Academy Awards mit dem Kurzfilm-„Oscar“ ausgezeichnet, hat bereits bei der sehenswerten Vox-Serie „Tonis Welt“ vortreffliche Arbeit geleistet. Bemerkenswert ist auch die Bild-Gestaltung (Jana Lämmerer, Lukas Steinbach), und das nicht nur wegen des viel Geborgenheit ausstrahlenden sanften Lichts. Viele Aufnahmen sind von warmen, erdigen Brauntönen geprägt, die sich auch in der Ausstattung wiederfinden. Wenn sich Forster und der Doktor, den alle nur Ballouz nennen, abends zum Bier an der Tanke treffen, wirkt die entsprechende Einstellung, als sei sie einem Gemälde von Edward Hopper nachempfunden. Ihre Beliebtheit dürfte die Serie nicht zuletzt den inhaltlichen Rahmenbedingungen verdanken. Die Klinik scheint keine anderen Patienten zu haben als die jeweiligen Episodenfiguren, weshalb sich das Personal alle Zeit der Welt nehmen kann. Dass sich die Ärztinnen und Ärzte auch um die seelischen Wunden ihrer Schutzbefohlenen kümmern, versteht sich von selbst. Wie der Doktor das Vertrauen der Menschen gewinnt, ist ohnehin formidabel ausgedacht und umgesetzt. „Doktor Ballouz“ ist wegen der positiven Botschaft genau das richtige Rezept in schwierigen Zeiten: Das Leben ist trotz allem schön; es lohnt sich, jeden Tag dafür zu kämpfen.