Dignity

Marcel Rodriguez, Martina Klier, Jennifer Ulrich, Devid Striesow. Mogelpackung?

Foto: Joyn
Foto Tilmann P. Gangloff

Die Werbung für „Dignity“ (Joyn / Story House Pictures) konzentriert sich auf die deutschen Namen Götz Otto und Devid Striesow, aber der eine spielt als Gründer der Colonia Dignidad bloß eine Art Gastrolle, und der andere ist eher Nebendarsteller. Hauptfigur ist ein junger Staatsanwalt, der den Kopf der Kolonie wegen dutzendfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern vor Gericht bringen soll. Die erste kostenpflichtige Auftragsproduktion des Streamingangebots von ProSieben wirkt ohnehin wie eine südamerikanische Serie, da überwiegend spanisch gesprochen wird. Das Erzähltempo ist zudem überschaubar; in den packenden Szenen ist es allenfalls die Musik, die für etwas Spannung sorgt.

Ein „urchristliches Leben im gelobten Land“ hatte Paul Schäfer versprochen, aber der Alltag in der 1961 gegründeten chilenischen „Colonia Dignidad“ sah anders aus: Das Leben glich dem einer Sekte, die Gemeinschaft wurde auf ihren Anführer eingeschworen. Am schlimmsten traf es die zu Zucht und Ordnung gezwungenen Kinder; sie mussten Fronarbeit leisten und wurden zu Dutzenden sexuell missbraucht. Schäfer unterstützte das Militär beim Putsch 1973. Die Kolonie diente während der Zeit des Pinochet-Regimes als Folterzentrum des chilenischen Geheimdienstes. Diesen Teil der Geschichte hat Florian Gallenberger 2015 in dem Thriller „Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück“ mit Daniel Brühl und Emma Watson erzählt. In der achtteiligen Serie „Dignity“ (Würde) spielt die Kooperation der Kolonie mit den Faschisten & die Ermordung von Regimegegnern zwar auch eine Rolle, aber im Zentrum stehen zunächst die Missbrauchsfälle. Die Handlung beginnt 1977, als zwei Brüder aus der Umgebung gegen die Regeln verstoßen, was einer der beiden Jungs, Pedro, bitter büßen muss. 20 Jahre später arbeitet der andere, Leo, für die Staatsanwaltschaft. Er soll dafür sorgen, dass Schäfer der Prozess gemacht wird. Die Missbrauchsvorwürfe sind zwar ein offenes Geheimnis, doch niemand traut sich, gegen den mächtigen Sektenführer auszusagen. Nun gibt es endlich Zeugen, die bereit sind, vor Gericht zu erscheinen; aber Schäfer ist unauffindbar.

DignityFoto: Joyn
Spannung und ein bisschen Action sind in der Joyn-Serie „Dignity“ die Ausnahme.

„Dignity“ ist eine Koproduktion des international tätigen deutschen Unternehmens Story House Pictures mit der chilenischen Firma Invercine&Wood und startet am 19. Dezember als erste kostenpflichtige Serie bei Joyn, der gemeinsamen Streaming-Plattform von ProSiebenSat 1 und Discovery; bisherige Serien wie „Frau Jordan stellt gleich“ oder „Check Check“ konnten kostenlos abgerufen werden. Joyn hat sich die Rechte bereits während der Drehbuch-Entwicklung gesichert und war auch in die Schnittabnahme involviert. Weiterer Auftraggeber ist der chilenische Sender Mega Chile. Deutsch wird überwiegend nur in den Szenen geredet, die im Lager spielen; die spanischen Dialoge sind untertitelt. Dabei spricht der junge Staatsanwalt fließend deutsch, und das nicht nur, weil er mit einer Deutschen verheiratet ist: Leo hat in Berlin Jura studiert. Das droht ihm nun zum Verhängnis zu werden: Es war Schäfer, der sein Studium finanziert hat. Auch Gattin Caro (Martina Klier), die für die deutsche Botschaft arbeitet, gerät zwischen die Fronten, denn für ihren Chef ist Schäfer unantastbar. Leo muss sich zudem der Anfeindungen der Einheimischen erwehren: Die Klinik auf dem Gelände der Kolonie ist das einzige Krankenhaus weit und breit; für die örtliche Polizei ist der Feind daher nicht Schäfer, sondern Leo. Die Menschen können nicht ahnen, dass sich hinter der freundlichen Fassade von Klinikleiter Hausmann (Devid Striesow) ein Monster verbirgt. In einer der grausamsten Szenen knallt Schäfers rechte Hand einen flüchtenden kleinen Jungen ab, um die Funktionstüchtigkeit ausgemusterter Bundeswehrgewehre zu demonstrieren, mit denen das Regime versorgt werden soll. Kein Wunder, dass Schäfers mächtigen Verbündeten jedes Mittel recht ist, um das Geheimnis von Colonia Dignidad zu bewahren.

Joyn setzt bei der Werbung für die Serie naturgemäß auf die bekannten Namen Götz Otto und Devid Striesow, aber Otto hat nur eine Art Gaststarstatus, und auch Striesow ist eher Nebendarsteller. Gleiches gilt für Jennifer Ulrich als Krankenschwester, die in der Kolonie aufgewachsen ist, sich irgendwann in einen Patienten verliebt hat und gemeinsam mit ihm fliehen will. Der junge Mann ist der angeblich vor zwanzig Jahren gestorbene Pedro, dessen Oberkörper mit Folterspuren übersät ist. Auch Anke muss für ihren Ungehorsam büßen und wird zum Schein lebendig in einem sargähnlichen Erdloch begraben. Die Brüder-Darsteller Marcel Rodriguez (Leo) und Nils Rovira-Munoz (Pedro) sind in Deutschland geboren und zweisprachig aufgewachsen, das passt perfekt. Beide haben vor allem Theater gespielt und sind bislang nur in Nebenrollen in Erscheinung getreten, machen ihre Sache aber nicht schlecht. Trotzdem wirkt „Dignity“ über weite Strecken wie eine südamerikanische Serie, selbst wenn Story-House-Geschäftsführer Andreas Gutzeit als Chefautor und ausführender Produzent fungierte. Das Erzähltempo ist zudem überschaubar (Regie: Julio Jorquera Arriagada, Nancy Rivas); in den packenden Szenen ist es vor allem die Musik des chilenischen Komponistenduos Miranda & Tobar, die für Spannung sorgt. Entscheidendes Manko könnten aus deutscher Sicht jedoch die vielen spanischen Dialoge sein. Da man hierzulande nicht von Kindesbeinen mit Untertiteln sozialisiert wird, dürften viele Zuschauer, sofern sie nicht des Spanischen mächtig sind, das ständige Mitlesen als lästig empfinden.

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Serie & Mehrteiler

Joyn

Mit Marcel Rodriguez, Martina Klier, Nils Rovira-Muñoz, Jennifer Ulrich, Devid Striesow, Antonia Zegers, Götz Otto

Kamera: Sergio Armstrong

Szenenbild: Sebastian Munoz

Kostüm: Francisca Román

Schnitt: Valeria Valenzuela, Alvaro Solar

Musik: Miranda & Tobar

Redaktion: Steve Blank

Produktionsfirma: Story House Pictures, Invercine&Wood

Headautor*in: Andreas Gutzeit

Drehbuch: Andreas Gutzeit, Swantje Oppermann, Paula del Fierro, Enrique Videla – Idee: Maria Elena Wood, Patricio Pereira

Regie: Julio Jorquera Arriagada, Nancy Rivas

EA: 19.12.2019 10:00 Uhr | Joyn

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