Die Zeit mit Euch

Hübchen, Kriener, Knaup, Kreis, Stefan Krohmer. Ein Stück (vom) Leben zeigen...

Foto: Degeto / Georges Pauly
Foto Rainer Tittelbach

Die Tragikomödie „Die Zeit mit Euch“ nimmt die Generation am Rande des Altwerdens ins Visier. Im Mittelpunkt stehen drei befreundete Paare, vornehmlich Akademiker, in deren Beziehungen kurz vor dem Lebensabend plötzlich dicke Wolken aufziehen. Von neuer Liebe und alten Gewohnheiten, von Krankheit und kleinen Geheimnissen, von Beziehungen, in denen der eine den anderen satt hat, und von Trips zu neuen Ufern oder zurück in den alten Beruf – davon erzählen Gabriele Kreis und Stefan Krohmer. Sie erzählen in Form eines dramaturgisch interessanten Dialog-Films lebensnahe Geschichten, anstatt die üblichen Selbstfindungs-Exempel zu geben. Ein kluger Versuch, das Leben (im Film) als Prozess zu begreifen.

Drei befreundete Paare nicht mehr ganz in den besten Jahren. Da sind Paul (Henry Hübchen) und Ehefrau Christiane (Leslie Malton): Er, der frisch pensionierte Fernsehkorrespondent, rutscht tief in die Krise des Rentnerdaseins, da ergreift sie, die Ex-Stewardess, erst einmal die Flucht. Da sind Vera (Ulrike Kriener) und Heiko (Herbert Knaup): Auch die Antiquarin und der Studienrat müssen ihre Beziehung mal gründlich überdenken – denn sie hat einen anderen und er greift immer öfters in die Hausapotheke. Schließlich sind da noch Marlene (Johanna Gastdorf), Marke „nett aber langweilig“, und Klaus (Ernst Stötzner), der mehr durch Zufall bei einem gemeinsamen Abendessen des Sextetts eine Bombe zum Platzen bringt. „Floriane ist meine Freundin… drei Jahre… und sie erwartet ein Kind von mir.“ Danach sind’s vorläufig nur noch fünf. Die Freunde solidarisieren sich mehr oder weniger mit der Betrogenen. Aber das Leben geht weiter. Ob die Zeit alle Wunden heilt, ob mit der Zeit Rat kommt, keiner weiß es. Aber jeder spürt – es brechen Zeiten an, in denen sich Vieles verändern wird.

Die Zeit mit EuchFoto: Degeto / Georges Pauly
Die Zeiten ändern sich. Was aber ist mit der Freundschaft? Henry Hübchen, Leslie Malton, Ulrike Kriener, Herbert Knaup, Ernst Stötzner & Johanna Gastdorf (v.l.n.r.)

„Die Zeit mit Euch“ nimmt die Generation am Rande des Altwerdens ins Visier. Mit ihren 55 bis 65 Jahren gehören außer Paul, dem ein Dasein als Schnäppchenjäger im Unterhemd droht, die meisten zwar noch dazu, Klaus operiert, Heiko korrigiert und Vera steht in ihrem Laden, aber Vieles in ihrem Leben speist sich aus der Erinnerung oder ist zur Gewohnheit geworden. Auch in der weltoffenen Schicht der liberalen Akademiker, in denen Freundschaft noch an der langen Tafel statt mit Facebook-Likes gelebt wird, ziehen kurz vor der Pensionierung dicke Wolken auf. Kann das denn schon alles gewesen sein?! Von neuer Liebe und alten Gewohnheiten, von Krankheit und kleinen Geheimnissen, die man selbst unter Freunden wahrt, von Beziehungen, in denen der eine den anderen satt hat, und von Trips zu neuen Ufern oder zurück in den alten Beruf – davon erzählt die Autorin Gabriele Kreis („Frischer Wind“) – und die ARD-Degeto-Produktion, die das alles in 90 Minuten packt, weiß durchaus mit diesen Alltagssplittern aus Lebensbewältigung und Erfahrungshunger zu fesseln.

Mit Blick auf den Regisseur dieser munteren Tragikomödie, den mehrfach Grimme-Preis-gekrönten Stefan Krohmer (klingt nicht nur verdächtig nach Rohmer), könnte man den Reiz dieses Films so formulieren: „Die Zeit mit Euch“ erzählt Geschichten, moralische Geschichten, anstatt wie die zahllosen Dramoletts aus der Sparte Fernsehunterhaltung Selbstfindungsexempel zu geben. Hier löst sich nicht urplötzlich nach 80 Minuten der Knoten der Erkenntnis („Hilfe, ich muss mein Leben ändern!“); der Film versucht auch nicht, Lebenshilfe zu geben oder banale Küchenbeziehungspsychologie-Fragen wie „Kann man ein Leben lang glücklich sein mit ein und demselben Menschen?“ eindeutig zu beantworten. Vielmehr erzählt dieser kluge, emotional wohltemperierte „Beziehungsfilm“ ein Stück Leben von drei befreundeten, in die Jahre gekommenen Paaren – Veränderungen inklusive.

Die Zeit mit EuchFoto: Degeto / Georges Pauly
Emotionaler Tiefschlag. Weil Marlene (Johanna Gastdorf) keine Kinder kriegen konnte, blieb die Ehe mit Klaus (Ernst Stötzner) kinderlos. Jetzt kommt es beim Glas Wein unter Freunden heraus, dass Klaus seit drei Jahren eine 25 Jahre jüngere Freundin hat & sie von ihm schwanger ist. Gegen ein Kind kommt Marlene nicht an.

Launige Dialogwechsel – eine Retourkutsche
Christiane: „Was fällt dir ein, meinen Friseurtermin abzusagen?!“ Paul: „Wir müssen sparen; außerdem gefällt mir dein Haar sehr gut so.“
Sehr viel später. Paul: „Gibt’s heute kein Mittagessen?“ Christiane: „Wir müssen sparen – und deine Figur gefällt mir so, wie sie ist, kein Gramm zu wenig.“

Großartige Schauspieler – muntere One-Liner
Paul (auf Klaus’ Hiobsbotschaft, mit einer 25 Jahre jüngeren Frau ein Kind zu bekommen): „Manche Männer machen sich ihre Enkelkinder halt selber.“
Heiko: „Wovor hast du Angst?“ Paul: „Vor jeglicher Form der Selbsterkenntnis – vor Veränderungen, vor Abschieden, vorm Tod.“
Heiko zu Marlene: „Wo hast du den denn aufgegabelt? Der sieht ja aus wie Art Garfunkel.“

Dramaturgisch ist das Ganze einfach, aber effektiv gemacht. Zeitsprünge schneiden die Banalitäten des Alltags weitgehend aus der Geschichte heraus. So wird Lebenszeit erzählt, man verfolgt als Zuschauer quasi die Aufs und Abs einer bestimmten Lebensphase. Außerdem nutzen Kreis und Krohmer in den Szenen veränderte Zweierkonstellationen wunderbar dafür aus, Subtexte zu platzieren und den Zuschauer lustvoll mitkombinieren zu lassen. Weint Christiane tatsächlich nur wegen der mangelnden Empathie ihres Mannes, als sie von Heikos Krankheit hört? Und was meint sie im Gespräch über Seitensprünge mit dem Satz: „Irgendwann muss man sich entscheiden – am besten bevor es rauskommt.“ Oft wird über einen Dritten geredet und immer sitzt ein Dritter mit am Tisch: der neugierige Zuschauer. Das ist einerseits nichts Neues, so arbeiten nun mal Dialog-Filme, in denen Kommunikation mehr als Mittel zum Zweck ist. Aber in diesem Fall funktioniert es eben ausgesprochen gut. Und komisch ist es auch noch. Fazit: Da hat sich mal wieder ein echtes Kleinod auf den ARD-Freitagssendeplatz versteckt. Die ebenso namhafte wie perfekte Besetzung sollte dafür sorgen, dass das auch hinreichend vom Zuschauer gewürdigt wird! (Text-Stand: 13.12.2014)

Die Zeit mit EuchFoto: Degeto / Georges Pauly
So kann das nicht weitergehen! Die Sinnkrise macht aus dem kritischen Fernsehkorrespondenten von einst einen kleinkarierten Schnäppchenjäger: Paul (Henry Hübchen) und Christiane (Leslie Malton). Fein gegen die Klischees erzählt und besetzt: sicher hätte man dem Ex-Journalisten eher die junge Freundin zugetraut als dem etwas steifen Oberarzt und einem wie Hübchen eher als einem wie Stötzner.

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Ulrike Kriener, Henry Hübchen, Herbert Knaup, Leslie Malton, Johanna Gastdorf, Ernst Stötzner, Carolin Pohl, Thomas Bading

Kamera: Manuel Mack

Szenenbild: Iris Trescher

Schnitt: Eva Schnare

Musik: Stefan Will

Soundtrack: Jimi Hendrix („Crosstown Traffic“), Fleetwood Mac („Hypnotized“)

Produktionsfirma: Relevant Film

Produktion: Heike Wiehle-Timm

Drehbuch: Gabriele Kreis

Regie: Stefan Krohmer

Quote: 4,09 Mio. Zuschauer (12,9% MA)

EA: 09.01.2015 20:15 Uhr | ARD

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