Bildschirmfüllende Schriftzüge verorten die Schauplätze: Von einem abgelegenen Haus in der schwedischen Seenlandschaft bei Stockholm wechselt die Szenerie über die Intensivstation des Berliner Zentralklinikums in die Sitzungsräume des Krisenstabs im Auswärtigen Amt. In Schweden taucht, feenhaft zart, die Russin Galina (Katharina Nesytowa, „Wir“, 2010) bei ihrem Ex-Geliebten auf, dem Fotografen Tom (Artjom Gilz, „Charité“, 2019). Blicke und Gesten spiegeln Toms Verzeihen der Frau gegenüber, die ihn sieben Jahre zuvor wortlos verließ und die er immer noch liebt. Dann springt die Szenerie ins Zentralklinikum Berlin. Dort stirbt die erste Patientin aufgrund eines durch Hacker manipulierten Stromausfalls. Schauplatz Nummer drei wird im Verlauf der Handlung zum zentralen: Im Auswärtigen Amt, dem Arbeitsplatz von Toms Zwillingsschwester Friederike Lang (Jennifer Ulrich) beobachtet man mit zunehmender Nervosität die Hacker-Attacken auf deutsche Kliniken. Die Kamera (Björn Haneld) sitzt Menschen vor Monitoren im Nacken, gleitet durch dunkle Räume, bewegt sich durch künstliches Licht. Im Mittelpunkt dieser Kommandozentrale operiert Staatssekretär Jan Multhaup (Christian Ermann) mit Friederike Lang als Koordinatorin des Krisenstabs. Roter Lippenstift vor nachtblauem Flimmern. Szenenbildner Björn Nowak schuf eine hermetisch abgeschirmte Welt aus hallenartigen Räumen. Bis auf die Konferenztische leer, riecht hier nichts nach Bürostaub. Stattdessen bewegen wir uns durch ein futuristisches Ambiente a la „Gattaca“. Die Bilder erscheinen wie eine räumliche Entsprechung der einmontierten Ortsangaben. Fette Blockschrift. Schwarz auf weiß. Weiß auf schwarz.
In Kulissen wie diesen können wendungsreiche Figuren für Schattierung und Spannung sorgen. Ein Aspekt, der in „Die Whistleblowerin“ etwas zu kurz kommt. Staatssekretär Multhaup, als nachdenklicher Typ gezeichnet, bleibt schlussendlich ein Pokerface, das sich in größter Not heimlich seinen Wodka pur genehmigt. Ähnlich Friederike Lang: Im strengen Reglement des Krisenstabs gefangen, muss sie um das Leben ihres Bruders fürchten. Szenisch übersetzt heißt das: Fassung bewahren und zur Panikattacke nach draußen. In ihren Verhaltensmustern gefangen, regeln Multhaup und Lang fast alles im Alleingang. Keine Berater, keine Kripo-Einheit oder Polizeikräfte, die ihnen bei- oder im Wege stehen und damit eine Entwicklung dieser zentralen Figuren möglich machen könnten. Alle anderen im Konferenz-Rund bleiben reine Informanten. Dramaturgisch eine vertane Chance. Dass Tom von den Mitarbeitern des Krisenstabs als psychisch instabil geoutet wird, macht das Ziel klar: Ein Mann unter Dauermedikation und die stellvertretende Leiterin einer russischen Hacker-Zelle – in den Augen des Staatssekretärs ist das kein Paar, das es zu schützen gilt. Von nun an läuft alles auf eine Ergreifung à la Osama Bin Laden hinaus. Das passende Bild kommt.
Gegenwelt zur Thriller-Handlung und emotionales Zentrum der „Whistleblowerin“ ist die Beziehung zwischen Tom und Galina. Das Paar liebt sich am See, trifft sich am Waldrand, bewegt sich durch menschenleere Landschaften. In ihren Auseinandersetzungen geht es um die Festlegungen von richtig und falsch, um die russische Seele und das deutsche Vorurteil. Es geht um das, was Galina und Tom trennt, und das, was sie verbindet. Ob Tom der Vater von Galinas Tochter Sonja (Emilia Diekmann) ist, bleibt lange ungewiss. Dafür sehen wir Fotografien und Szenen einer glücklichen Familie. So könnte es sein, wären die Drei nicht längst auf der Flucht vor russischen Verfolgern und misstrauischen Mitarbeitern der deutschen Regierung. Auf ihrer Odyssee durch Schweden über Polen nach Deutschland sehen sie sich immer größeren Gefahren ausgesetzt und finden nicht zueinander.
Wie schon in ihrer früheren Zusammenarbeit für „Die Diplomatin – Das Botschaftsattentat“ (2016) fühlen sich Drehbuchautor Holger Joos und Regisseur Elmar Fischer der Realität mehr verpflichtet als einer reißerischen Überwältigungsdramaturgie. Das ist gut so. Allerdings schaffen es Drehbuch und Hauptdarsteller nicht, ihre Not so intensiv sichtbar zu machen, wie das in Elmar Fischers TV-Erfolg „Unterm Radar“ (2015) mit der schmerzlich präsenten Hauptdarstellerin Christiane Paul (für ihre Rolle 2016 mit dem Emmy Award ausgezeichnet) der Fall war. Wo Paul weinte, schrie oder erstarrte, bleibt es diesmal meist bei leeren Blicken und waidwunden Gesten. Nur Katharina Nesytowa alias Galina darf einmal mehr doppelbödig schillern. Artjom Gilz ist als Tom auf die Rolle des hilflos Liebenden festgelegt. Auch gegenüber seiner Schwester bleibt Tom immer der Schwächere. In der Figur spiegelt sich die Tragik der ganzen Geschichte. So offen seine Fragen bleiben, so ungewiss bleibt, ob „Die Whistleblowerin“ vom Schicksal einer Täterin oder eines Opfers erzählt.