Die Verteidigerin – Der Fall Nicola

Sawatzki, Döhler, Aumann, Flüsloh, Vattrodt, Lotz. Medienkritisch gewürztes Familiendrama um eine vermisste Frau

07.01.2026 10:00 ARD-Mediathek Streaming-Premiere
14.01.2026 20:15 ARD TV-Premiere
15.01.2026 00:30 ARD
Foto: SWR / Britta Krehl
Foto Thomas Gehringer

Anwältin Lou Caspari steht im zweiten Film mit Andrea Sawatzki als „Die Verteidigerin“ einem bedrängten Freund zur Seite, dessen Frau verschwunden ist. „Der Fall Nicola“ (SWR / Zum Goldenen Lamm) bietet mehr als klassische Krimispannung, denn das ausgezeichnete Drehbuch von Magnus Vattrodt handelt von den dramatischen Folgen für eine Familie, die in den Fokus einer Öffentlichkeit gerät, die vom True-Crime-Jagdfieber gepackt wird. Die Inszenierung von Lars-Gunnar Lotz prangert die Wirkungsmacht sozialer Medien an und erzählt gleichzeitig packend und wendungsreich von einer schwierigen Vermisstensuche. Starker Auftritt insbesondere von Andreas Döhler, der den Ehemann der vermissten Nicola spielt, aber auch von Andrea Sawatzki in der facettenreichen Titelrolle als Anwältin, Freundin, Beraterin – und als Ermittlerin, die der Polizei manchmal einen Schritt voraus ist.

Jeden Morgen dreht Nicola (Nicole Behnke) mit ihrem Hund namens Anton eine Runde im Wald und fährt anschließend direkt zur Arbeit. Doch an diesem Freitag ist die Projektmanagerin nicht im Betrieb ihrer Schwägerin Sabine (Victoria Mayer) angekommen. Nicolas Ehemann Benno (Andreas Döhler) ist Lehrer und entdeckt nach dem Unterricht mehrere Nachrichten auf der Mailbox: von Sabine und auch von seiner jugendlichen Stieftochter Jasmin (Mariella Aumann). Von Benno um Unterstützung gebeten, lässt Lou Caspari (Andrea Sawatzki), eine Freundin aus gemeinsamen WG-Zeiten, ihre Termine als Anwältin sausen und fährt in den Ort im Nordschwarzwald. Der zweite Film in der SWR-Reihe „Die Verteidigerin“ hat noch weniger Gerichtsszenen als der Auftaktfilm „Der Fall Belling“ zu bieten – nämlich gar keine. Offenbar gelten für die Reihe keine allzu strengen Formatgrenzen, was einerseits mehr Spielraum für die Autor:innen bedeutet, andererseits leicht darauf hinauslaufen könnte, dass sich auch „Die Verteidigerin“ mehr oder weniger zu einer weiteren Krimireihe entwickeln könnte. Wenn die Filme freilich eine Qualität wie in „Der Fall Nicola“ erreichen, ist dagegen wenig einzuwenden.

Die Verteidigerin – Der Fall NicolaFoto: SWR / Britta Krehl
Bewegende Darstellung des besorgten, verunsicherten und bisweilen unvernünftigen Ehemanns & Stiefvaters: Andreas Döhler

Ohnehin erzählt Drehbuch-Autor Magnus Vattrodt keine klassische Polizei-Ermittlung. Kommissar Kröber bleibt eine von Henning Flüsloh professionell-kühl gespielte Nebenfigur, die nur das Nötigste preisgibt. Was sich in den Tagen nach Nicolas Verschwinden ereignet, schildern Vattrodt und Regisseur Lars-Gunnar Lotz vor allem aus der Perspektive der betroffenen Familie. Wie in der angespannten Situation Konflikte aufbrechen, wie niemand mehr wohlüberlegt handeln kann, wie Misstrauen entsteht und Beziehungen auf den Prüfstand geraten – das wird nachvollziehbar und nahe an den Figuren erzählt. Das Familiendrama verschärft sich zudem durch äußere Einflüsse. Insbesondere für die verzweifelte Jasmin, die Tochter aus Nicolas erster Ehe mit Stefan (Jean-Luc Bubert), gehen die Ermittlungen der Erwachsenen nicht schnell genug. Nachdem ein von ihr und Sabines Tochter Selma (Anna Shirin Habedank) gepostetes Video den vollen Namen der Mutter in die Öffentlichkeit transportiert hat, brechen alle Dämme, wird die Suche nach Nicola zu einer Art Gemeinschaftssport. Hobby-Ermittler stapfen durch den Wald, selbst ernannte Profiler geben ungebetene Ratschläge im Netz, junge Influencerinnen sammeln mit dreisten Videos Clicks und Werbeeinnahmen. Die Medienkritik erscheint zwar angesichts der eindimensionalen Figuren etwas plakativ, aber auch angemessen scharf. Denn es geht in erster Linie um die Auswirkungen, die Spekulationen und Falschmeldungen in der Öffentlichkeit für die betroffenen Menschen und die Ermittlungsarbeit haben. Das Fernsehen, das mit seinen zahlreichen Krimiformaten alles andere als unschuldig am aktuellen True-Crime-Hype ist, warnt hier gleichzeitig vor dessen Auswüchsen – das entbehrt nicht einer gewissen Ironie und hat etwas von Goethes „Zauberlehrling“.

Jedenfalls bedeutet „Der Fall Nicola“ eine echte Steigerung gegenüber der Auftakt-Episode der Reihe, weil hier die Balance aus Krimi-Spannung und menschlichem Drama überzeugend gelingt. Das Drehbuch des dreifachen, unter anderem für „Die Wannseekonferenz“ ausgezeichneten Grimme-Preisträgers Vattrodt bietet unerwartete Wendungen und pointierte Dialoge. Die Inszenierung von Lotz („Die Stille am Ende der Nacht“) lässt im Wechsel aus temporeichen und ruhigen, emotionalen Spielszenen keine Langeweile aufkommen. Das nutzt insbesondere Andreas Döhler zu einer packenden, bewegenden Darstellung des besorgten, verunsicherten und bisweilen unvernünftigen Ehemanns und Stiefvaters. „Die Verteidigerin“ Lou Caspari bildet hier nicht uneingeschränkt das Zentrum des Films, was aber der Qualität keinen Abbruch tut. Andrea Sawatzki überzeugt als Ruhepol-Figur und juristisch kompetentes Verbindungsglied zwischen Familie und Polizei – sowie als verkappte Ermittlerin, die immer wieder entscheidende Impulse gibt. Dass sie den Fall am Ende selbst in einem ziemlich gewagten Alleingang löst, ist allerdings ein bisschen dick aufgetragen.

Die Verteidigerin – Der Fall NicolaFoto: SWR / Britta Krehl
Scharfe Medien(selbst?)kritik. Jasmin (Mariella Aumann) und ihre Freundin Selma (Anna Shirin Habedank) posten viel auf Social Media, um die Suche nach Jasmins Mutter zu befeuern. Aber die Reaktionen, die sie damit auslösen, machen sie auch fertig.

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Reihe

SWR

Mit Andrea Sawatzki, Andreas Döhler, Mariella Aumann, Henning Flüsloh, Victoria Mayer, Anna Shirin Habedank, Jean-Luc Bubert, Majid Bakhtiari, Matthias Breitenbach, Benjamin Schroeder, Marlene Becker, Anuschka Tochtermann, Nicole Behnke

Kamera: Moritz Schultheiß

Szenenbild: Juliane Hoffrecht

Kostüm: Filiz Ertas

Schnitt: Philipp Thomas

Musik: Sebastian Fillenberg

Redaktion: Katharina Dufner

Produktionsfirma: Zum Goldenen Lamm

Produktion: Stefan Sporbert

Drehbuch: Magnus Vattrodt

Regie: Lars-Gunnar Lotz

EA: 07.01.2026 10:00 Uhr | ARD-Mediathek

weitere EA: 14.01.2026 20:15 Uhr | ARD

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