Die Verführerin Adele Spitzeder

Birgit Minichmayr, Sunnyi Melles, Alicia von Rittberg, Florian Stetter, Ariela Bogenberger, Xaver Schwarzenberger. Spekulantin oder "Wohltäterin der Armen"?

Foto: BR / ORF / Domenigg
Foto Rainer Tittelbach

Ein wunderbarer (Parabel-)Stoff nicht nur in Zeiten von Bankenskandalen und Eurokrise. „Die Verführerin Adele Spitzeder“ um das legendäre „Bankfräulein“ ringt dem aktuellen Thema im historischen Gewand etwas Allgemeingültiges ab, besitzt nichts Zeigefingerhaftes und bleibt immer ein großartiges, sinnliches Spiel, das von der Präzision erfahrener Theaterschauspieler (eine Wucht: Birgit Minichmayr) und den brillianten Texten getragen wird. Die Heldin begreift das Leben als ästhetisches Gesamtkunstwerk. Da ist Xaver Schwarzenberger gefordert!

Adele Spitzeder (1832-1895) brauchte den Applaus und sie benötigte vor allem Geld für ihren ausschweifenden Lebensstil. Also gründete die erfolglose Schauspielerin in München 1869 die „Spitzeder’sche Privatbank“. Ihr „Trick“, die Zinsen bar auszuzahlen, ihre popagierte Nähe zum Volk und die Überzeugungskraft, mit der sie sich als „Wohltäterin der Armen“ feiern ließ, brachten ihr kaufmännisch desaströses Schneeballsystem rasch in Gang. In zwei Jahren wurden 31.000 Bürger um 8 Millionen Gulden geprellt. Als 1872 sich zu viele Gläubiger ihr Geld ausbezahlen ließen, brach die „Schwindelbank“ zusammen. Spitzeder wurde verhaftet.

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So kam sie nach München. Ein feines Kleid und keinen Gulden. Doch das soll sich alsbald ändern. Birgit Minichmayr

Ein wunderbarer (Parabel-)Stoff nicht nur in Zeiten von Bankenskandalen und Eurokrise. „Die Verführerin Adele Spitzeder“ um das legendäre „Bankfräulein“ ringt dem aktuellen Thema im historischen Gewand etwas Allgemeingültiges ab, besitzt nichts Zeigefingerhaftes und bleibt immer ein großartiges, sinnliches (Fernseh-)Spiel, das von der Präzision und Wucht erfahrener Theaterschauspieler getragen wird. Im Mittelpunkt eine Frau, die sich nimmt, was sie will. „Mir langt’s mit den Wucherern. Ich will, dass die einfachen Leut’ nicht mehr g’prellt werden. Diese Geldschneider, diese ganzen hohen Herrschaften, denen der arbeitende Mensch ganz und gar wurscht ist.“ Verkauft diese Frau ihr Geschäft nur mit dem Habitus von Idealismus? Hat sie einen Traum, den sie aus den Augen verliert, oder ist es mit der Menschlichkeit bei ihr schon von Anfang an nicht weit her? Ist es echte Begeisterung, die man in ihrem Antlitz sieht, oder ist es die blanke Selbstsucht? Adele Spitzeder weiß sich zu inszenieren. Jede Geste großes Theater. Ein Blick auf die Mutter, einst auch Schauspielerin – und man weiß, woher sie es hat. Mit dem bourgoisen Geprasse in ihrer Münchner Residenz wird das Geld, das in Säcken lagernd über das ganze Haus verteilt ist, rapide weniger, eine systematische kaufmännische Verwaltung der Fremdgelder findet nicht statt. Das süße Leben kostet schließlich Zeit. Und dann ist da ja immer noch der Traum vom eigenen Theater.

Der Dichter Balthasar Engel, der einzige, der sich nicht verkauft, über Adele Spitzeder und ihre Geschäfte:
„Zinsen sind wie ein böses Raubtier. Irgendwann ist alles aufgefressen. Es ist doch nicht gerecht, dass jemand, der Geld hat, daran verdient, dass er Geld hat, und nicht an seiner Arbeit.“
„Du benutzt Dichtung und Kunst als Schmuck für das Feiern deiner Allüren. So ist das auch mit den guten Werten, die du tust: Zierrad für einen unendlichen Appetit.“

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Nach einem Gefängnisaufenthalt zieht es Adele Spitzeder (Birgit Minichmayr) wieder auf die Bühne. Sie bleibt eine verführerische, charismatische und extravagante Frau.

Xaver Schwarzenberger und Autorin Ariela Bogenberger machen aus „Die Verführerin Adele Spitzeder“ mehr als das Porträt einer Spekulantin. Lange bleibt die Frage offen, ob es sich bei der Titelheldin um eine Bankerin handelt, die Schauspielerin war, oder vielmehr um eine Schauspielerin, die eine Bankerin spielt. Die Szenen haben – was bei historischen Stoffen im Fernsehen höchst selten ist – bei aller Konzentration auf das (theaterhaft) Szenische etwas Leichtes, Verspieltes. Hier herrscht Spiel im Spiel, soziales Rollenspiel, Spiel mit Geld. Das Leben begreift die Heldin als eine Art ästhetisches Gesamtkunstwerk. Da kann Regisseur und Kameramann Schwarzenberger nicht hintenan stehen. Wunderbar trocken, ohne barocken Bilderzauber, in einer aufs Wesentliche reduzierten Ausstattung, für Fernsehverhältnisse ungewöhnlich „rein“ lässt er das Spiel der Schauspieler sich entfalten. Jedes Detail ist letztlich fokussiert auf die Heldin, kunstvoll konzentriert wird alles um ihre Person herum drapiert.

Birgit Minichmayr spielt Adele Spitzeder. Bogenberger hat ihr brillante Texte geschrieben – dazu diese Stimme, dieser Blick, dieser Körpereinsatz. Es ist ein Vergnügen einem solchen Charakter, einer solchen Schauspielerin, im Fernsehen beiwohnen zu können. Das hat nichts mit Theater zu tun, das ist wahre Sinnlichkeit aus einer Zeit, als noch nicht die Werbeästhetik dieses Phänomen bestimmte. Diese Spitzeder war letztlich auch das, was sie den „hohen Herren“ vorgeworfen hat, „eine Geldschneiderin“. Dass sie mehr war als das, dass in ihr etwas lebte, dass sie eine Getriebene war, eine narzisstisch gestörte Persönlichkeit – all das schwingt in diesem verführerischen Porträt einer Verführerin mit. (Text-Stand: 20.12.2011)

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Fernsehfilm

BR, ORF

Mit Birgit Minichmayr, Sunnyi Melles, Alicia von Rittberg, Florian Stetter, Maximilian Krückl, Marianne Sägebrecht, Karlheinz Hackl, Paula Kalenberg, Johannes Herschmann, Michael Roll, Michael Schönborn

Kamera: Xaver Schwarzenberger

Szenenbild: Annette Ganders

Kostüm: Heidi Melinc

Schnitt: Helga Borsche

Musik: Thomas Bogenberger

Produktionsfirma: Summerset

Drehbuch: Ariela Bogenberger

Regie: Xaver Schwarzenberger

Quote: 3,93 Mio. Zuschauer (12,1% MA)

EA: 11.01.2012 20:15 Uhr | ARD

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