Wie soll die Ernährung für mehr als acht Milliarden Menschen organisiert werden, während die Erderwärmung den Planeten zusehends stresst? Auf Spitzbergen im hohen Norden lagern vorsorglich weltweite Saatgut-Proben im „Global Seed Vault“, einer Art unterirdischen Arche Noah, mit der die Vielfalt der Pflanzensorten gesichert werden soll. Der „Globale Saatgut Tresor“ im arktischen Permafrost ist zweifellos ein spannender Ausgangspunkt für eine Serie über den bisweilen lebensgefährlichen Kampf gegen das Profitstreben in der Lebensmittelproduktion. Wie leicht sich der Umweltaktivist Victor Vegener (Jonathan Berlin) in der ersten Episode der Serie „Die Saat – Tödliche Macht“ Zugang zu diesem Tresor verschaffen kann, ist allerdings ziemlich beunruhigend und hoffentlich nur haarsträubende Fiktion. Das Filmteam konnte jedenfalls nicht am hochgesicherten Originalort drehen, sondern wich nach Aussage von Regisseur Alexander Dierbach auf einen Versorgungsschacht der Prager U-Bahn samt Turbinenraum aus. Dass das Saatgut-Archiv in der Serie praktisch nur von einem einzigen, dazu noch unter Alkoholproblemen (und unter Trennungsschmerz) leidenden Mann überwacht wird, ist schon reichlich unterkomplex.
Ähnliches gilt auch für den Politikbetrieb in Brüssel, den das Drehbuch von Christian Jeltsch und Axel Hellstenius praktisch auf eine kuriose Dreier-WG reduziert. Jule Kronberg (Friederike Becht) will als Vize-Wettbewerbs-Kommissarin der EU ein drohendes Monopol auf dem Saatgutmarkt verhindern. Ihre neue Lebenspartnerin ist Mel O’Connor (Rosemarie La Vaullée), die EU-Beauftragte für Außen- und Sicherheitspolitik, aber Kronbergs Ex, der Investigativ-Journalist Ian Ramis (Johann Myers), ist auch noch nicht ausgezogen. Alle drei spielen in dem Wirtschaftsthriller, der vom Übernahmekampf zweier Saatgutkonzerne handelt, wichtige Rollen und werden vom Lobbyisten und gefürchteten Strippenzieher Jon Hoffmann (Rainer Bock) mal mehr, mal weniger erfolgreich bearbeitet. Parlamente, nationale Regierungen oder andere Ressorts der EU-Kommission bleiben außen vor. Nun ist „Die Saat“ weder eine ausgefeilte Politdrama-Serie wie „Borgen“ noch eine spielerische Komödie wie „Das Parlament“. Dennoch stößt die holzschnittartige Konstruktion etwas populistisch auf.
Was nicht das Vergnügen an der von Rainer Bock gespielten Figur des Lobbyisten Hoffmann schmälern muss. Immer bestens informiert und stets gelassen zieht Hoffmann die Fäden, seine Triumphe süffisant auskostend. Und nachdem er seine Gegner gedemütigt hat, geht der fromme Mann in die Kirche und betet: „Vergib mir die Sünden, die ich noch begehen werde.“ Bocks Darstellungskunst hat einen herrlich gegenläufigen Effekt: Je kultivierter und höflicher Hoffmann wirkt, umso mehr traut man ihm jede Schlechtigkeit zu. Der Lobbyist soll die Übernahme des Unternehmens Holymon durch den deutschen Konzern BSG ermöglichen und muss dabei allerlei Widerstände aus dem Weg räumen. Sein Auftraggeber ist BSG-Chef Sven Benjamin (Seumas Francis Sargent), der als Verfechter eines grünen Kapitalismus eingeführt wird, auch mal bei einer Klima-Demo verhaftet wird und angeblich die Ernährungsprobleme der Welt lösen will. BSG will ein Saatgut entwickelt haben, dass ohne Einsatz von Kunstdünger und Pestiziden den Ertrag der Getreide-Ernte um 70 Prozent steigert. Oder ist alles nur PR? Warum sind die Konzerne an alten Saatgut-Sorten interessiert und sponsern den Betrieb des „Global Seed Vault“? Die Autoren Jeltsch und Hellstenius entwickeln aus dem relevanten Thema einen spannenden Wirtschaftsthriller an verschiedenen Schauplätzen.
Aktivist Victor wird bei seinem Einbruch in den Stollen auf Spitzbergen angeschossen. Zehn Tage nach seinem Verschwinden macht sich sein Onkel Max Grosz (Heino Ferch), ein ehemaliger Kommissar, von Deutschland aus auf den Weg nach Norwegen. Der alleinstehende Grosz lebt noch dank einer Nierenspende seines Neffen. Entsprechend besorgt über Victors Verschwinden, nervt Grosz auf Spitzbergen Polizeikollegin Thea Koren (Ingrid Bolsø Berdal) mit seiner überheblichen, kurz angebundenen Art. Aber der deutsch-norwegische Kulturclash hält natürlich nicht lange an. Auch wenn es total vorhersehbar ist, rührt es doch an, wie sich da im Verlauf der Serie zwei verwundete Seelen annähern. Wobei sich insbesondere die Besetzung mit der norwegischen Schauspielerin Berdal („Cold Prey“, „Chernobyl Diaries“, „Westworld“) auszahlt, die eine angenehme Portion Wärme und Emotionalität in die doch recht kühle Thrillerserie zu bringen versteht. Polizistin Thea Koren hatte eine Fehlgeburt erlitten und sich von Lennart (Per Kjerstad), dem saufenden „Global Seed Vault“-Wächter, getrennt. Ferch ist hier mal wieder in seiner Paradedisziplin des einsam grübelnden, schweigend leidenden Mannes zu sehen. Aber dass Thea und Max sich durch Teamarbeit und gemeinsame Gespräche vor der atemberaubenden Kulisse Spitzbergens aus ihren Krisen herausarbeiten, glaubt man dennoch gerne.
Zur Gegenspielerin wird vorerst die undurchsichtige Tess Brouwer (Laura de Boer), die Max‘ Medikamente heimlich gegen Placebos vertauscht, den labilen Lennart mit Sex besticht und offenbar die Interessen eines unbekannten Auftraggebers verfolgt. Der verletzte Victor taucht zu Beginn der dritten Episode wieder auf – in den Händen einer Aktivistengruppe namens Riot, die ihn gerettet haben will. Oder hat sie ihn entführt? Gleichzeitig wird eine weitere Schlüsselfigur etabliert: Professor Omar Said (Husam Chadat) hatte die später im Krieg zerstörte Saatgut-Bank im syrischen Aleppo aufgebaut und arbeitete früher auch beim BSG-Konzern. Seine Tochter Faiza (Jasmina al Zihairi), ebenfalls Biochemikerin, fragt ihn um Rat bezüglich der Proben aus dem „Global Seed Vault“, die ihr Freund Victor geschickt hat.
In Brüssel ergeben sich für Hoffmann derweil unerwartete Schwierigkeiten, denn der korrupte Wettbewerbskommissar Imre Laszio (David Bowles) erleidet einen Schlaganfall. Und Jule Kronberg, seine Stellvertreterin, gehört zu den Menschen, die doch tatsächlich an ihren Idealen festhalten. Allerdings gerät sie auch durch ihre Partnerin O’Connor unter Druck. Die Außen-Beauftragte hat den Entwurf eines Friedensvertrags zwischen Marokko und Westsahara ausgehandelt, in dem die Lieferung des Super-Saatguts von BSG zugesichert wird. Der Vertrag würde platzen, wenn die EU der Übernahme des Konkurrenten Holymon durch BSG nicht zustimmt. Das mündet in folgenden Dialog. Kronberg: „Und was, wenn ich nicht unterschreibe?“ O’Connor: „Dann wirst du einfach ersetzt. So läuft das hier in Brüssel, Babe.“
Auch wenn nicht immer alles einleuchtend erscheint und die Serie streckenweise auf ziemlich eingefahrenen Gleisen (durchtriebene Lobbyisten, gierige Konzerne, korrupte EU) durchs Genre rauscht, gelingt doch ein wendungsreicher Thriller, der für das wichtige Thema auf unterhaltsame Weise sensibilisieren kann. „Drei Großkonzerne kontrollieren fast zwei Drittel des auf 50 Milliarden geschätzten Weltmarktes. Gleichzeitig fanden wir Belege, dass die Reichsten dieser Welt längst Milliarden in Ackerland investieren. Das Beunruhigende aber ist: Wer über die Produktion unserer Nahrung entscheidet, entscheidet über die Politik“, sagen die Autoren Jeltsch und Hellstenius. (Text-Stand: 16.12.2023)