„Es geht um Mord.“ „Wen haben Sie getötet?“ „Noch niemanden, aber ich werde es tun.“ Die junge Frau, die die Staranwältin Ariane Leonhardt mit dieser Ankündigung konfrontiert, verfolgt sie wie ein Schatten. Die erfahrene Juristin merkt schnell, dass dieser aufreizend selbstbewussten Person kein Psychotherapeut helfen kann und dass auch die Polizei nicht die richtige Adresse für sie ist. Eigentlich wollte die an Multiple Sklerose leidende Frau vorläufig keinen neuen Fall mehr übernehmen. Es kommen ihr aber ohnehin zunehmend Zweifel, dass sie hier überhaupt als Anwältin gefragt ist. Diese Frau weiß alles über sie. Vielleicht ist sie ja eine jener zahllosen Hinterbliebenen, die in den letzten Jahren mit ansehen mussten, wie die clevere Strafverteidigerin so manchen Mörder auf freien Fuß bekam?
„Die Mandantin“ lässt den Zuschauer 50 Minuten im Ungewissen darüber, wohin die Reise gehen wird. In einen Krimi? In einen Psychothriller? Oder die Abgründe einer kranken Frau, die zunehmend spürt, dass ihre Krankheit auch etwas mit ihrem (unmoralischen) Beruf zu tun haben könnte? 50 Minuten sieht man, wie sich aus einer rätselhaften Situation ein Spinnennetz webt, in dem sich die Heldin und mehr und mehr auch der Zuschauer verfängt. Das ist keine Minute zu lang, weil sich in diesen 50 Minuten das Drama einer Frau zeigt, die mit ihrem nicht mehr ganz so zielsicheren Instinkt spürt, dass dieses sexy-Luder, diese verzweifelte Geliebte, die offenbar ihren verheirateten Liebhaber umbringen will, eine Attacke gegen sie, die erfolgreiche Anwältin, fährt. Bald überkommen sie grausige Ahnungen, sie fühlt sich verfolgt und findet sich in der Psychiatrie wieder.
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Psychothriller, die im Fernsehen erzählt werden, haben häufig ein Plausibilitätsproblem. Sie müssen die Waage halten zwischen den nicht immer ganz logischen Regeln des Genres und den Konventionen des Fernsehfilms, die verlangen, dass sich der Zuschauer in einem realistischen Rahmen wiederzufinden hat. Bei „Die Mandantin“ kommt man als Zuschauer überraschend selten in die Verlegenheit, die Glaubwürdigkeit der Geschichte zu hinterfragen. Es ist vor allem die Präsenz der Schauspieler, die einen in den Bann zieht. Barbara Rudnik schließt mit ihrer körperlich und seelisch gebrochenen Heldin an ihre starken Auftritte als Kriminalpsychologin Schwarz an. Das Ex-„Bravo“-Girl Jasmin Gerat zeigt ihre bislang stärkste schauspielerische Leistung. Sie verkörpert die Sinnlichkeit in Person, ohne auf vordergründige Reize zu setzen. Und Zirner als Ehemann macht eine gewohnt gute Figur.
Auch der suggestive Inszenierungsstil von Marcus O. Rosenmüller lässt einen über kleine Ungereimtheiten hinwegsehen. Den richtigen Weg schlug zunächst aber die Drehbuchautorin Silke Zertz ein, indem sie dem Thriller mit einem glaubhaften Charakterdrama den richtigen Unterboden gab. Alle Fragen, die sich der Zuschauer in puncto Glaubwürdigkeit stellt, stellt sich auch die Heldin. Das ist der entscheidende Punkt, weshalb „Die Mandantin“ als Fernsehfilm-Drama und Thriller funktioniert: Der Zuschauer wird zwar genregemäß ein wenig an der Nase herumgeführt, er wird aber nicht für dumm verkauft.