„Der Mann hinter mir, die Stimme kenne ich!“ Die sonst so aufgeräumte, exzentrische Millionärin Margarete Kämmerer ist plötzlich leichenblass. Auf einem Kreuzfahrt-Luxusliner trifft sie auf den, der ihren ersten Mann auf dem Gewissen hat. Es war 1945 im Sudetenland. Von einem Pogrom, von Exekutionen und anschließender Vergewaltigung der Witwen erzählt die „eiserne Lady“ unter Tränen ihrem Neffen Sigi, der sie auf der Reise begleitet. Sie hat ihn auserwählt als den mutigen Mann, der nach ihrem Tod die Asche ins Meer streuen soll. Ganz hinten am Heck, wo die Heckwelle das Eintauchen, das Einswerden mit den Ursprüngen des Lebens ermöglicht. Doch jetzt muss er erst einmal dafür sorgen, dass die Tante, in deren Safe ein Revolver liegt, keine Dummheiten macht. Der junge Mann vertraut sich der Person an, die mit jenem seriösen, alten Herrn reist: wie sich bereits herausstellte, ist sie nicht die viel zu junge Ehefrau, sondern die verlassene Schwiegertochter jenes Prof. Martin Burian, eine suizidgefährdete Frau von Welt, mit der der selbstbewusste Geschichtsstudent bereits zarte Bande geknüpft hat. Als sie ihren Schwiegervater mit den Vorwürfen konfrontiert, hört sie eine andere Geschichte – die über eine Frau, die Hitler anhimmelte und einen grausamen SS-Mann liebte, der Burians Bruder kaltblütig aus dem Hinterhalt erschossen hat.
Autor Klaus Richter über das Schiffsreise-Motiv:
„Für längere Zeit auf dem Meer zu sein, in dem alles Leben begann, ist eine existentielle Erfahrung, ähnlich wie die Weite der Prärie in einem Western. Für mich ist diese Schiffsreise keine ‚Hades-Fahrt’, sondern die Figuren kommen in Platons Sinne zu sich. Lebenserfahrungen werden durch die Ausnahmesituation verdichtet… Ich fand es im Übrigen reizvoll, ein Anti-‚Traumschiff’ zu schreiben, in dem Konflikte nicht harmonisiert werden.“
„Die lange Welle hinterm Kiel“ nach dem Roman von Pavel Kohout ist ein Lehrstück über die Relativität erlebter Geschichte. Es geht um „die Suche nach der historischen Wahrheit, die immer nur perspektivisch und näherungsweise zu erlangen ist“, wie ARD-Programmdirektor Volker Herres im Presseheft schreibt. Es ist ein Film über Schuld und Sühne, über Liebe & vielleicht späte Vergebung – der Film, der Vieles ausspricht, lässt am Ende eine Sache offen. Die Situation, das Aufeinandertreffen der beiden alt gewordenen „Kontrahenten“, verfolgt die Kamera nur aus der Ferne, man sieht die Gesten. Was gesprochen wird, hört man nicht. Ein kluger Kunstgriff. Auch hier ist es die Perspektive, die man selbst einnimmt, die die eigene Haltung bestimmt. Dass, was sich die Stewards zusammenreimen über das seltsame Quartett und über das, was sie aus der Distanz sehen, hat zumindest mit der Wahrheit nichts zu tun. Nur mit ihren Vor-Urteilen (und auch mit ihrer Erfahrung). So viel zum subjektiven Blick.
„Die lange Welle hinterm Kiel“ von Grimme-Preisträger Nikolaus Leytner („Ein halbes Leben“) lebt von der Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung: nicht zwei Feinde in einem Boot, aber immerhin auf demselben Schiff, im selben Speisesaal. Man kann von diesem Ort nicht weg, so wie die betagten Helden nicht vor den Gespenstern der Vergangenheit fliehen können. Dem Film gelingt es auch formal, das prinzipiell nicht Zusammengehörige miteinander zu verbinden: das dialoglastige Kammerspiel mit einem dramaturgisch künstlich gesetzten Konflikt und den filmischen Reiz der Location Kreuzfahrtschiff. Als Zuschauer, der sich für die Geschichte interessiert, sind es die Schauspieler, ist es die Konstellation der vier Hauptfiguren, die einen dran bleiben lässt. Man fragt hier nicht nach „Glaubwürdigkeit“ wie in einem realistischen Fernsehfilm. Und das Traumschiff, das zum Alptraumschiff zu werden droht, ist nicht mehr als eine sinnliche Zugabe, durch die sich der Film leichter goutieren lässt.