Eine junge Frau verlässt das Hotelzimmer, wo sie sich mit ihrem Liebhaber getroffen hat. Sie schleicht sich in ihre Wohnung, wo die kleine Schwester sie schon erwartet. Es ist mitten in der Nacht und der Vater ist noch nicht zu Hause. Anna, die große Schwester, die gerade aus dem warmen Bett des Geliebten kommt, ist empört. Als sie wenig später erfährt, dass ihr Vater eine Frau liebt, die vom Alter her ihre große Schwester sein könnte und die er heiraten möchte, ist sie vollkommen außer sich: „Dieses Verhältnis werde ich niemals dulden!“
Ein bisschen verrückt ist es schon, das Verhältnis, das Vater und Tochter in dem Fernsehfilm „Die Hochzeit meines Vaters“ leben. Die Tochter macht dem Vater Vorwürfe, wenn er sich nicht wie ein Teenager bei ihr abmeldet. Anna, Ende 20, hat den Abnabelungsprozess vergessen. „Hinter ihrer kühlen Fassade verbirgt sich eine ängstliche, innerlich zerrissene Frau, die nicht erwachsen werden will, weil sie das Trauma des frühen Todes ihrer Mutter nie überwunden hat“, so Hauptdarstellerin Bernadette Heerwagen. Anna kaschiert ihre Lebensangst mit ihrem perfekt durchstrukturierten Leben: Sie arbeitet als Assistenzärztin in der Klinik ihres Vaters, mit dem Oberarzt „unterhält“ sie eine Affäre, sie macht ihre Arbeit gut und unauffällig. Der Zuschauer aber bekommt immer wieder mit, wie es um Anna tatsächlich bestellt ist. So ist ihre kleine Schwester das Produkt ihrer Phantasie. Lara ist damals gemeinsam mit ihrer Mutter ums Leben gekommen. Anna braucht sie nach wie vor.
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Eine tiefe Sehnsucht steckt in der Heldin dieses wunderbaren Films über die tiefen Abgründe der Liebe, die Grimme-Preisträger Jobst Oetzmann ausleuchtet, ohne dabei allzu melodramatisch zu werden. Diese Sehnsucht will sie sich nicht eingestehen, doch sie wird von ihr übermannt, als sie sich in einen Patienten verliebt. Doch das ändert für sie wenig daran, dass sie die künftige Frau ihres Vaters „unmöglich“ findet. Diese Mona ist laut, überdreht, esoterisch überkandidelt und anscheinend immer gut drauf. Dass ihr Vater sich in „so eine“ verliebt hat, gibt der Tochter zu denken und diese Tatsache stellt ihr Selbstbild in Frage. Aber auch Mona selbst, dieser extrovertierte Lustmensch, ist eine Provokation. „Mona ist für Anna ein Spiegel, in dem sie lesen kann, dass Phantasie und Verrücktheit liebenswert sind und das Leben schöner machen“, umschreibt Oetzmann das psychologische Motiv. „Mona ist also nicht nur Rivalin um den Vater, sie weckt auch Annas unterdrückte Seite.“
„Die Hochzeit meines Vaters“ liefert ein intensives Beziehungsspiel, entwickelt stimmige Charaktere, stellt Rollenmodelle in Frage und plädiert für die Liebe ohne Altersdiktat. Es ist ein durch und durch psychologisch klug austarierter Film, der mit Bernadette Heerwagen, Michael Mendl und Anna Loos die ideale Besetzung gefunden hat. Endlich darf Mendl mehr als das knittrige Lebeman-Image verkörpern. Anna Loos zeigt nicht nur die Ich-will-Spaß-Oberfläche ihrer Mona. Und Heerwagen, hier die Ernsthaftigkeit in Person, ist ein Phänomen: seit 12 Jahren im Geschäft, stets anspruchsvolle Rollen, Grimme-Preis und Bayerischer Fernsehpreis und immer überzeugend! (Text-Stand: 9.10.2006)