Die Himmelsleiter – Sehnsucht nach morgen

Christiane Paul, Axel Prahl, Henning Baum, Rola. 1947/48 im kölschen Klein-Chicago

Foto: Degeto / Stephanie Kulbach
Foto Thomas Gehringer

Im Köln der unmittelbaren Nachkriegszeit muss Anna Roth ihre Familie ohne den verschollenen Mann durchbringen. Auf ihr Grundstück hat es der einstige Parteibonze Armin Zettler abgesehen, der schon wieder die Strippen zieht im Veedel. Der historische Zweiteiler „Die Himmelsleiter“ ist nahe am Alltag der Jahre 1947/48. In den Trümmern herrscht Not, regt sich aber auch neue Hoffnung – Hamstern und Schmuggeln, Romanzen und Karneval. Vorzügliches Szenenbild, überzeugend inszenierter Lokalkolorit, aber auch zu viele Figuren in einer eher umständlichen und nach simplem Gut/Böse-Schema gebauten Geschichte.

Köln liegt in Trümmern, die Menschen hungern. Im Sommer 1947 mangelt es an allem, es wird gehamstert und geklaut, kirchlich abgesegnet von Kardinal Joseph Frings, was mit dem Verb „fringsen“ Eingang in die deutsche Sprache gefunden hat. Einige verkaufen auch Eisen und Kupfer in Belgien. Der gefährliche, verminte Weg dorthin führt über die „Himmelsleiter“ durch die Eifel. Peter Zingler, Jahrgang 1944 und Autor des Zweiteilers, zählte einst selbst zu den Schmugglern und hat seine Kindheitserlebnisse zu diesem historischen Familiendrama verarbeitet. Zingler, sonst meist als Krimi-Autor unterwegs, erzählt aus einer Zwischenwelt. Die alten Mächte sind besiegt, die neue Ordnung noch nicht geschaffen. „Die Himmelsleiter“ hat keine Weltpolitik zu bieten wie „Die Luftbrücke“, schlägt auch keinen großen Bogen über mehrere Epochen wie der Dreiteiler „Die Wölfe“, sondern blickt aus der Kleine-Leute-Perspektive auf einen kurzen und klar begrenzten Ausschnitt der Nachkriegszeit. Der Wiederaufbau ist noch in weiter Ferne, vorerst geht es ums nackte Überleben. Szenenbild und Ausstattung des in der Nähe von Prag aufwändig inszenierten Zweiteilers sind vorzüglich. Kamera und Licht erzeugen eine „schöne“ Bilderwelt, etwas zu schön für die Not jener Zeit.

Die Himmelsleiter – Sehnsucht nach morgenFoto: Degeto / Stephanie Kulbach
Köln liegt in Trümmern. Christine Paul, Ernst Stötzner, Henning Baum, Axel Prahl, Muriel Wimmer, Sarah Horváth, Adam Vacula, Luis Vorbach und Jonathan Berlin

Mit dem üppigen Set kann das simple, wenn auch dank zahlreicher Figuren verschachtelte dramaturgische Schnittmuster allerdings nicht mithalten. Zwei Familien stehen sich gegenüber, im engeren Sinne geht es um den Kampf einer Frau gegen einen Mann, oder schlicht: um Gut gegen Böse. Anna Roth (Christiane Paul) lebt mit ihren beiden Töchtern, einem Sohn, einem Schwiegersohn und Enkel Paul in einer kleinen Wohnung ihres zerstörten Hauses. Wo ihr jüdischer Mann Adam (Ernst Stötzner) ist, weiß sie nicht. Vor dem Krieg war Anna das „Judenliebchen“ und wurde von Armin Zettler (Axel Prahl), einem örtlichen NSDAP-Funktionär, auch sexuell bedrängt. Angeblich half Zettler ihrem Mann außer Landes.

Seine Nazi-Vergangenheit hat ihm nicht geschadet: Während die Kölner hungern und frieren, fährt er mit einer prächtigen Limousine durch die Trümmerlandschaft. Zettler stolziert im feinen Anzug durchs kaputte Veedel und hält schon wieder alle Fäden in der Hand. Sein ältester Sohn Gerhard (Lucas Prisor) war bei der SS und organisiert nun die einträglichen Schmuggel-Fahrten nach Belgien – die Hälfte der Einnahmen müssen die Kinder bei Zettler abliefern, der außerdem noch eine Gaststätte und ein Kino betreibt. Bezeichnenderweise läuft dort „Die Mörder sind unter uns“. Ab und zu stößt dieser Zettler wüste Beschimpfungen gegen Juden aus, doch vor allem ist er die Verkörperung der kleinbürgerlichen Gier: Einer, der sich in allen Zeiten zu bereichern versteht. Und der es nun auf das Grundstück der Familie Roth abgesehen hat, um dort mit den Belgiern ein großes Geschäft abzuwickeln.

Die Himmelsleiter – Sehnsucht nach morgenFoto: Degeto / Stephanie Kulbach
Da ist offensichtlich etwas im Busch zwischen Sophie (Sarah Horváth) und René Valmund (Nikolai Kinski).

Axel Prahl spielt diesen Zettler herrlich überzeichnet als schmierigen Ganoven und Witzfigur, deren Gemütlichkeit jederzeit in brutalen Eigensinn umschlagen kann. Hier schimmert das vergangene Köln durch, das sich mit den Nazis arrangierte, aber auch das spätere Köln, das sich den Ruf als Klein-Chicago erwarb und zum Inbegriff des Klüngels wurde. Und zu Recht spielt der Karneval eine bedeutende Rolle. Regisseur Carlo Rola hat das überzeugend und keineswegs als rein folkloristische Nummer inszeniert: Den ersten Umzug durch die zerstörte Stadt, die Karnevals-Sitzung, bei der Muriel Wimmer als 19-jährige Roth-Tochter Eva einen bezaubernden Auftritt als „Hamster-Evchen“ im selbstgenähten Kartoffelsack hat. Auch die im bescheidenen Umfang eingesetzte Musik von Willi Ostermann oder Willy Schneider sorgen für einen stimmigen Lokalkolorit. Umso störender, dass beide Hauptdarsteller, sowohl Prahl als auch Paul, ab und zu in einen angelernten rheinischen Singsang verfallen und dann den Buchstaben „g“ tapfer durch „j“ ersetzen, was insgesamt janz und jar nicht authentisch wirkt. Christiane Paul überzeugt zwar in ihrer reifen, durchweg sympathischen Mutterrolle – aber als Oma und an der Seite des gut 20 Jahre älteren Stötzner ist sie schon arg jung besetzt.

Die Himmelsleiter – Sehnsucht nach morgenFoto: Degeto / Stephanie Kulbach
Anna (Christiane Paul) beschützt Hermine Zettler (Theresa Harder) vor ihrem Mann (Axel Prahl).

Im etwas umständlichen ersten Teil dauert es eine Weile, bis man sich zurecht findet in den familiären Verwicklungen: Annas älteste Tochter Sophie (Sarah Horváth) ist die Mutter des unehelichen Paul (Luis Vorbach) und neuerdings verheiratet mit dem Italiener Francesco (Adam Vacula), lernt dann aber den belgischen Leutnant René Valmund (Nikolai Kinski) kennen, der Francesco aufgrund fehlender Papiere verhaften lässt. Anna selbst hat zwar die Hoffnung auf Adams Rückkehr nicht aufgegeben, beginnt jedoch eine Affäre mit dem verwitweten Bauer Josef Halfen (Henning Baum), der die Städter nicht nur mit Lebensmittel versorgt, sondern erstaunlicherweise auch die ganze Scheune voller Musikinstrumente hat. Und noch eine Romanze: Annas jüngere Tochter Eva und Zettlers jüngerer Sohn Bruno (Lucas Reiber), der als Bahnpolizist und Filmvorführer arbeitet, sind schwer verliebt.

All diese Liebesgeschichten stehen für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, aber Fahrt nimmt die Geschichte erst gegen Ende des ersten Teils auf. Da schießt Gerhard Zettler während eines Raubzugs seiner Bande im Bahnhof seinen eigenen Bruder Bruno an und schiebt die Schuld auf Annas Sohn Michel (Jonathan Berlin), der den älteren, tatkräftigen Gerhard bewundert. Gleichzeitig findet Adam auf verschlungenen Wegen doch noch den Weg zurück in seine Heimatstadt Köln. Teil zwei bietet deutlich mehr Spannung, auch wenn das Spruchkammer-Verfahren der Besatzungsmacht gegen Armin Zettler zu langatmig inszeniert wird. Der kleine, pfiffige Paul sorgt zwar für etwas Lausbuben-Humor, doch insgesamt bleiben die meisten Dialoge fad und die Figuren schablonenhaft. Aus dem Gut-Böse-Schema bricht am Ende immerhin Armin Zettlers Ehefrau Hermine (Teresa Harder) aus, die dem Treiben des Gatten nicht länger unwidersprochen zusehen möchte. Ein Akt der Emanzipation, der die Wende bringt. Die Sache geht optimistisch aus: Das Gute siegt, wenn auch unter tragischen Verlusten, und frisches Geld und frische Wurst im Schaufenster gibt es 1948 nach der Währungsreform auch. (Text-Stand: 24.1.2015)

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ARD Degeto

Mit Christiane Paul, Axel Prahl, Henning Baum, Ernst Stötzner, Lucas Prisor, Lucas Reiber, Sarah Horváth, Muriel Wimmer, Nikolai Kinski, Jonathan Berlin, Luis Vorbach, Teresa Harder, Adam Vacula, Sina Tkotsch, Jürgen Schornagel

Kamera: Nicolay Gutscher

Szenenbild: Jerome Latour Requisite: Payel Chalupa, Jirka Moravec

Kostüm: Mirjam Muschel

Schnitt: Frederike von Normann

Produktionsfirma: Bavaria Film, MIA Film

Produktion: Doris Zander

Drehbuch: Peter Zingler – Überarbeitung: Christian Schnalke

Regie: Carlo Rola

Quote: 1. Teil: 4,59 Mio. Zuschauer (14,2% MA), 2. Teil: 5,29 Mio. (16,9% MA); Wh.: 2,96 Mio. (9,5% MA)

EA: 27.02.2015 20:15 Uhr | ARD

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