Eine schöne, undurchschaubare Frau tritt in das Leben einer angesehenen hanseatischen Familie. Alles scheint bei ihr wohl überlegt und geplant abzulaufen. Der anfänglichen Verwirrung folgt bald die Verführung, denn der Sohn des Hauses kann dieser vermeintlich kühlen Blondine nicht widerstehen. Und so rückt die Familienkatastrophe unaufhaltsam näher. Corinna Harfouch verkörpert „Die fremde Frau“ in Matthias Glasners gleichnamigen Film, der für den Grimme-Preis nominiert wurde. Es ist ein Psychothriller in Hitchcock-Manier. Ähnlich wie einst in „Psycho“ verschwindet die Hauptfigur nach einer Stunde aus dem Film. Und trotzdem ist sie es, die bis zum Ende für Spannung und eine ungewöhnliche Aura sorgt.
„Zunächst habe ich mich mit dem Thema Transsexualität beschäftigt, weil ich glaubte, es geht in dieser Geschichte darum“, erinnert sich Corinna Harfouch. Erst als Matthias Glasner ihr mit seiner Vorstellung von einer konzeptionellen Kunstwelt kam, die das Kino der späten 50er Jahre zum Leben erwecken sollte, sah sie Land für ihre Darstellung. „Es ist die Geschichte einer unglaublichen Obsession“, sagt sie. „Der Grundgedanke ist, dass hier jemand sein Leben wieder haben will, das ihm gestohlen wurde.“ Das Sprechen über den Film fällt schwer. Denn die Auflösung darf man nicht verraten. Und die kommt spät. Nicht vielleicht zu spät für den Zuschauer? „Warum soll man der allgemeinen Verflachung nachgeben? Warum soll der Zuschauer immer zu einer konsumierenden, passiven Person gemacht werden?“, kontert Harfouch. „Ich bin sehr dafür, dass man es immer mal mit einem anderen Erzählstil versucht – ich glaube einfach nicht an die Komplettverblödung der Leute.“
Ihre blonde Verführerin, weniger ein Racheengel als ein von existentiellem Schmerz verzehrter Mensch, steht wie der ganze Film, der die Musik von „Vertigo“ verwendet, in der Tradition Hitchcocks. Schon im Eröffnungsbild – die Silhouette der Heldin, wie sie durch den Flughafen geht – spürt man etwas von der Entschlossenheit dieser gebrochenen Frau, bei der die kleinste Geste ihre Wirkung nicht verfehlt. „Sie besitzt etwas Kühles, nichts Emotionales“, so Harfouch. „Es gibt kein psychologisches Spiel, sondern die Konstruktion einer Geschichte, die untergründig auf eine ungewöhnliche Weise eine Leidenschaft erzählt.“ Die Rolle des Vamps scheint der 50jährigen Schauspielerin auf den Leib geschrieben zu sein. Auch in anderen Filmen versprüht sie reichlich Sex-Appeal, auch dort ganz nach der Hitchcock-Devise „außen Eis, innen heiß“. Sie neige nicht unbedingt zu solchen Rollen, aber sie eigne sich für sie. „Was Abgründigkeiten betrifft, dafür habe ich einen Sensus.“ (Text-Stand: 26.3.2004)