Die Einzelteile der Liebe

Birte Schnöink, Ole Lagerpusch, Andreas Döhler, Miriam Bliese. „Zwischenräume“

Foto: RBB / dffb / Markus Koob
Foto Thomas Gehringer

Das Beziehungsdrama „Die Einzelteile der Liebe“ (rbb / dffb), das Langfilm-Debüt von Miriam Bliese, ist ein kluger und gewitzter Film über Liebe und Familie, sehenswert gespielt (Birte Schnöink, Ole Lagerpusch, Andreas Döhler) und dank einiger Zeitsprünge abwechslungsreich inszeniert. Was nach corona-bedingtem Minimal-Konzept aussieht, ist bewusst gewählt: Die Handlung spielt vornehmlich vor der Haustür eines Berliner Mehrfamilienhauses. Hier verlieben sich Sophie und Georg, hier verlieren sie sich auch wieder und müssen nun den Alltag mit dem sechsjährigen Sohn organisieren. Der Liebesschmalz der ollen Schlagertexte bildet einen etwas weit hergeholten, aber originellen Kommentar. Mit „Die Einzelteile der Liebe“ beginnt 2021 die zwölfteilige ARD-Reihe „Filmdebüt im Ersten“.

Vater und Sohn steigen in das bei laufendem Motor parkende Auto und fahren gerade los, als die Mutter aus der Haustür stürzt. Doch Georg (Ole Lagerpusch) gibt ungerührt Gas, während Sophie (Birte Schnöink) aufgebracht ans Fenster klopft. „Ich hasse dich“, ruft sie ihrem Ex hinterher, der den sechsjährigen Jakob (Justus Fischer) offenkundig gegen Sophies Willen aus der einst gemeinsamen Wohnung geholt hat. Beim nächsten Treffen wirft er ihr vor, sie habe seinen Kontakt zu Jakob systematisch boykottiert – während sie argumentiert, das Kind könne durch den Umgang mit seinem Vater womöglich Schaden nehmen. Außerdem: „Er ist noch nicht mal dein Sohn.“ Diese Bemerkung Sophies findet Georg „das Allerletzte“. Der leibliche Vater hatte Sophie schon vor Jakobs Geburt sitzenlassen, Georg hatte den Jungen adoptiert.

Die Einzelteile der LiebeFoto: RBB / dffb / Markus Koob
Und so fing alles an. Der Vater ihres Kindes hat sich aus dem Staub gemacht. Und Georg (Ole Lagerpusch) scheint ein ganz Netter zu sein. So kommen er und Sophie (Birte Schnöink) zusammen. Ein sympathisches, alltagsnahes Paar, denkt sich der Zuschauer. Doch nach wenigen Jahren ist es vorbei. „Ich hasse dich“, zetert Sophie.

Miriam Blieses an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) realisierter Debütfilm „Die Einzelteile der Liebe“ beginnt also auf dem Höhepunkt des Konflikts. Wie sich Sophie und Georg verliebten und wieder verloren, wird nun episodenhaft und in Zeitsprüngen erzählt. Während anfangs Sophie dank eines festen Jobs die Versorgerin der Familie war, fasste Georg als Architekt erst langsam Fuß. Nach einer Affäre Sophies beendet Georg die Beziehung. Aber auch die Frage, wie es in Zukunft weiter geht, wie die Eltern den Streit um das Sorgerecht austragen und wie dabei Sophies neuer Freund Fred (Andreas Döhler) vermittelt, wird in dem klugen und gewitzten Drama behandelt. Die elliptische Erzählweise sorgt für Abwechslung in einem reduzierten Konzept, das wirkt, als sei der Film den Auflagen während der Pandemie gefolgt. Allerdings wurde das bei der Berlinale 2019 uraufgeführte Werk bereits vor der Corona-Krise gedreht. Dass die Szenen mit wenigen Ausnahmen nur an einem Handlungsort spielen, nämlich vor der Haustür eines Berliner Mehrfamilienhauses, war eine bewusste Entscheidung von Autorin und Regisseurin Bliese. „Ich wollte einen Zwischenraum zum Mittelpunkt des Geschehens machen. Sätze und Handlungen aufgreifen, die normalerweise am Rande stattfinden, und sie ins Zentrum rücken. Weil ich glaube, dass die Beiläufigkeiten des Lebens oft viel aufschlussreicher sind als die sogenannten ,großen Ereignisse’“, sagt sie laut ARD-Presseheft.

Die Einzelteile der LiebeFoto: RBB / dffb / Markus Koob
Film („Amour Fou“) und Fernsehen („Altes Land“) sind für Theaterschauspielerin Birte Schnöink, Jahrgang 1984, bisher nur eine Nebenbeschäftigung. Das ist schade.

… kombiniert Bliese distanzierte Beobachtung, temporeiche Dialoge und humorvolle Gesangseinlagen zu einer nicht nur ästhetisch, sondern auch dramaturgisch anregenden Filmerzählung über die Kunst, sich zu trennen. (taz)

Birte Schnöink und Ole Lagerpusch spielen diese Szenen einer Ehe vom ersten Flirt bis zur Trennung lakonisch und differenziert. Beide Figuren changieren zwischen Anlehnungsbedürfnis, Verlustangst, Zärtlichkeit, Zorn und Selbstironie. Sie können beide nicht begreifen, wie es dazu kam, sich trennen zu wollen. Und doch sind sie wie gefangen in dem Zustand, in den sie geraten sind. (filmdienst)

Wie die Patchworkfamilie setzt sich auch der Film aus Einzelszenen zusammen, die streng durch ein Weißbild getrennt werden. Gerade dadurch aber, dass er Raum lässt für eine offene Ursachenfindung, bleibt er so nachvollziehbar. Liebe ist keinesfalls nur schön, das will der Film zeigen, aber man sucht sie doch immer wieder. Ohne jede Erfolgsgarantie. Innerhalb seiner strengen Inszenierungsstruktur ist „Die Einzelteile der Liebe“ ein lebendiger, sehr am Alltag der Figuren orientierter Film. Die Einzelteile haben Kraft und Bedeutung für das Ganze, man weiß nur nicht so genau welche. Damit ist dieser Film weitaus näher an dem unordentlichen Gefühl der Liebe als jede Romanze. (epd film)

Die Einzelteile der LiebeFoto: RBB / dffb / Markus Koob
Zwischenräume. Eine Architektur-Ikone der 50er Jahre: Im Eingangsbereich des modernistischen Pierre-Vago-Hauses im Berliner Hansaviertel hat Miriam Bliese ihr Debüt in Szene gesetzt. Der Alte (Ole Lagerpusch) und der Neue (Andreas Döhler)

Was wie ein angestrengt konstruiertes Konzept klingt, funktioniert im Film überraschend gut – nicht zuletzt dank der Qualität der Dialoge und des Spiels der Darsteller*innen. Birte Schnöink und Ole Lagerpusch alias Sophie und Georg sind in guten wie in schlechten Zeiten ein glaubwürdiges Paar. Sie reden und spielen pointiert, ohne gekünstelt zu wirken, sind sympathische Typen, die jedoch beide ihren Anteil am Scheitern der Beziehung haben. Der „Zwischenraum“ vor der Haustür erweist sich als durchaus geeignet für Zwischentöne und ist gleichzeitig ein vielseitiger Schauplatz: für eine Party mit Freunden und den Bau eines Sofas, fürs Flirten und Verlieben, fürs Fummeln hinterm vorgehaltenen Mantel, für handfesten Streit, aber auch für ein herzerweichendes Konzert, bei dem Vater, Mutter, Kind kurzzeitig wieder zusammenfinden – indem sie gemeinsam „Anneliese, ach Anneliese“ singen. Okay, das mit den Schlagern wirkt ziemlich weit hergeholt. Welcher Thirtysomething kommt schon auf die Idee, seinem Baby zum Einschlafen „Am Golf von Biskaya“ vorzusingen? Immerhin sind die selbst gesungenen Lieder auf eine solche Weise in die Handlung integriert. Erst beim optimistischen Finale darf Rudi Carrell („Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“) selbst ran. Die alten Schnulzen sind als „ironischer Kommentar“ (Bliese) gedacht. „Sie zitieren ein Idealbild von Liebe, das mit dem heutigen Liebesalltag herzlich wenig gemein hat, und das wir doch als Wunschvorstellung nie ganz loswerden“, sagt die Autorin und Regisseurin.

Die Perspektive des Kindes ist bei diesem tragikomischen Erwachsenen-Treiben zwar nur Nebensache, bleibt aber dank einiger prägnanter Szenen auch nicht auf der Strecke. Einmal will Jakob seiner Mutter – auf dem Umweg über Fred – das eigene Handy überlassen, denn: „Papa hat gesagt, dass er nicht mehr mit ihr reden kann.“ Jakob schloss irrtümlich daraus, dass Sophias Smartphone defekt sein müsse. Auf die berührende Geste, mit der der Junge die Verbindung zwischen den Eltern wieder herstellen will, reagiert Fred mit einer umständlichen Erklärung – und schlägt den Jungen damit in die Flucht. Der sensible Jakob scheint nun zu begreifen, dass das Kommunikationsproblem der Eltern nicht technischer Natur ist.

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Kinofilm

rbb

Mit Birte Schnöink, Ole Lagerpusch, Andreas Döhler, Justus Fischer, Brigitte Zeh, Falk Rockstroh

Kamera: Markus Koob

Szenenbild: Beatrice Schultz

Kostüm: Waris Klampfer

Schnitt: Dietmar Kraus

Redaktion: Verena Veihl

Produktionsfirma: dffb

Produktion: Clemens Köstlin

Drehbuch: Miriam Bliese

Regie: Miriam Bliese

EA: 25.05.2021 22:50 Uhr | ARD

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