Der Winter liegt nasskalt über Frankfurt. Eine junge Frau joggt durch die bizarre Großstadtlandschaft. Wenig später ist sie tot. Im Haus wurde sie gequält, gefoltert, erwürgt, danach im Freien ihre Leiche entwürdigend ausgestellt. Die Tote scheint eine Frau ohne Eigenschaften zu sein. Nicht einmal ihr Freund weiß viel über sie zu berichten. Kommissar Marthaler und sein vielköpfiges Team tappen im Dunkeln. Die erste Spur führt zu einer Freundin. Doch der Mörder war schneller. Es stellt sich heraus, dass die Tote nicht die besagte Frau ist, sondern eine Untermieterin. Der Killer kannte sie also nicht. Deshalb kann es der unter Verdacht geratene Professor der beiden Freundinnen wohl kaum gewesen sein. Es gibt weitere Verdächtige aus dem illegalen Porno-Milieu, allein es fehlt ein Motiv. Nach einem weiteren Leichenfund kommt Kollegin Kerstin die Idee, den Lockvogel zu spielen für den offenbar sadistischen Mörder, der durchaus ein Mensch sein könnte wie jeder andere.
Soundtrack: Turner Cody („Corner of my room“), U2 („One“), Calexico („Service and repair“), Meiko Kaji („The flower of carnage“), Gianmaria Testa („Preperisco cosi“, „Come un’America“), Flaco Jiménez („La tumba será el final“)
Den Plot von „Die Braut im Schnee“ nachzuerzählen ist nicht leicht. Der Film nach dem gleichnamigen Roman von Jan Seghers besitzt wenig klassische Krimihandlung, setzt weniger auf Fakten, Logik und Plot, als vielmehr auf Atmosphäre, Atmosphäre, Atmosphäre. Es gibt etliche, kleine mit dem Fall nicht unmittelbar korrespondierende Geschichten. So vergisst Marthaler, seine in Frankfurt eintreffende Freundin Tereza vom Bahnhof abzuholen, er sucht sie verzweifelt, er findet sie, er versaut es ein zweites Mal – und bekommt eine dritte Chance. Auch das Team besitzt viel Eigenleben. Aber alles bleibt angedeutet, flüchtig. Zufällig geht man auf etwas ein, weil der Kollege fragt, im nächsten Atemzug aber ist anderes wichtiger. Einiges wird angespielt – vielleicht später wieder aufgenommen oder auch nicht. Wie im Leben. „Ich denk, ich geh nach Haus und versuch, zu schlafen“, sagt in einer solchen wunderbaren Zufallsszene Robert Marthaler. „Ich glaube, das werden sie nicht tun. Ich glaube, Sie werden jetzt die fröhliche Thea Hollmann nach Hause begleiten und noch auf ein Glas Wein auf ihre Bude kommen“, entgegnet die hübsche Pathologin. Zwei Lächeln. Schnitt. Der nächste Tag. Dieser Realismus en detail ist eine der besonderen Stärken dieses außergewöhnlichen gut gemachten Polizeifilms, der in punkto Ästhetik noch einen Tick besser ist als die besten Episoden von Lars Beckers ZDF-Reihe „Nachtschicht“. Nur der Fall an sich kann nicht ganz mit der exzellenten Optik und dem großartigen Team(geist) mithalten. Krankhafte Allmachtsphantasien eines Psychopathen sind als Mordmotiv nicht unbedingt originell. Gerade aber weil jeder Mord samt Psychologie schon mehrfach erzählt wurde im Fernsehen, ist die Suche nach der perfekten Form der richtige Weg zu einem starken Krimi.
Filmemacher Lancelot von Naso über die Team-Kommunikation:
„Ein großes Ermittlerteam macht einen Krimi auf eine Art auch schneller und beweglicher. Es kann einfach in der gleichen Zeit mehr ermittelt werden, viel mehr passieren. Die Diskussionen in der Gruppe sind hitziger, es findet viel Interaktion zwischen den Ermittlern statt. Man hat eine größere Binnenspannung.“… über die Bild- und Lichtästhetik:
„Wir haben schon sehr früh versucht, Szenen und Drehhorte zu finden, die die Geschichte atmosphärisch unterstützen. Geholfen hat uns hier eine neue Digitalkamera, die „Alexa“. Sie ermöglicht mit sehr wenig bzw. mit vorhandenem Licht wie z.B. Straßenlaternen eine Szene zu drehen… Unsere Nacht sieht anders aus, als wenn sie mit Filmlicht leuchten würde.“
Jede Szene von „Die Braut im Schnee“ hat einen besonderen Reiz. Mal ist es der Fall, mal das Beziehungsspiel, die besondere Chemie innerhalb der Gruppe. Selten sah man dichtere, vielschichtigere Interaktionen eines deutschen Ermittlerteams in einem – vielleicht sollte man sagen – amerikanisch aufgeladenen (Spiel-)Raum. Perfekt die Szene, in der Marthaler und seine vier Kollegen bei Pizza und Rotwein am Abend den Fall eruieren. Da schwingt Vieles mit. Nach 25 Minuten hat man bei diesem Film so viel erlebt wie bei anderen nach 60 Minuten. Eine Buchvorlage, drei Drehbuchautoren, inklusive des mitschreibenden Regisseurs – so etwas lässt für gewöhnlich nichts Gutes erwarten. Doch gewöhnlich ist bei diesem Film nichts: Da ist der psychophysische Ausnahmeschauspieler Matthias Koeberlin als sympathischer Konsensbulle in seiner bislang überzeugendsten Rolle. Bernadette Heerwagen, Jürgen Tonkel, Tim Seyfi – alle funktional (amerikanisch) reduziert, aber präzise auf den Punkt: da stimmt jedes Lächeln, jede verbale Nuance, jedes Zucken der Mundwinkel. Allein der Vorgesetzte bleibt der Vorgesetzte, wie man ihn in einem deutschen TV-Krimi erwartet.
Es hat sich also gelohnt, den „Jungfilmer“ Lancelot von Naso („Waffenstillstand“) für seinen zweiten Langfilm in die Primetime zu holen. „Die Braut im Schnee“ ist perfektes Fernsehen. Knapp und präzise die Dialoge – aber auch die Sprache der Bilder sucht ihresgleichen. Der Einstieg: die Joggerin in der Großstadt, eine Frau sucht sich ihren Weg. Ein gefährlicher Weg – lässt sich in den ersten Einstellungen erahnen. Nach einer guten Minute kommt die Bestätigung. Dieser Film ist – gemessen am deutschen Standard – ein rhythmisches Wunderwerk. Er kommt schnell zur Sache, ist spannend, besitzt klassischen Thrill, nimmt sich aber auch immer wieder Zeit, ganz genau hinzuschauen. So muss Genre-Fernsehen sein!