Die Beste aller Welten

Verena Altenberger, Jeremy Miliker, Adrian Goiginger. Das beste SWR-Debüt 2018

Foto: SWR / Hendrik Heiden
Foto Tilmann P. Gangloff

Es gab schon viele Drogendramen, aber „Die Beste aller Welten“ (SWR, ORF / Lailaps Pictures, RitzlFilm) nimmt einen ganz besonderen Stellenwert ein: weil Adrian Goiginger bei seinem bedrückend authentischen Debüt das Kunststück gelingt, aller Verzweiflung zum Trotz ein positives Lebensgefühl zu vermitteln. Zentrale Figur ist ein siebenjähriger Junge, der nicht umsonst den gleichen Vornamen trägt wie der Regisseur: Der kleine Adrian wächst als Sohn einer süchtigen Mutter auf, erlebt aber trotzdem eine weitgehend unbeschwerte Kindheit. Doch die Existenz der Mutter und damit auch seine eigene wird von einem Dämon bedroht, den er schließlich im fesselnden Finale zum Kampf herausfordert. Goiginger erzählt mit dem Film seine eigene Geschichte; Verena Altenberger und Jeremy Miliker lassen mit ihren Leistungen allerdings vergessen, dass sie nur Rollen spielen. Sehr starker Erstling

„Die Beste aller Welten“: Der Titel klingt zumindest sarkastisch. Der kleine Adrian wächst in einer Umgebung auf, die von Drogen und Alkohol geprägt ist. Seine Mutter Helga ist zwar überzeugt, ihre Sucht im Griff zu haben, aber dann setzt sie sich doch wieder den nächsten Schuss. Ihr siebenjähriger Sohn, und das ist das Frappierende an diesem Film, ist trotzdem ein fröhliches, weitgehend unbeschwertes Kind, das davon träumt, später mal ein Abenteurer zu werden und Monster zu besiegen. In seinen Träumen muss er als Kämpfer in grauer Vorzeit gegen einen Dämon antreten, der in einer Höhle angekettet ist. Als sich das Ungeheuer eines Tages von seinen Fesseln befreit, hat der Held nur eine Chance: Er muss das Monster mit einer magischen Pfeilspitze erlegen. Dieser in der Tat recht gruselig anzuschauende Dämon steht natürlich für die Drogensucht der Mutter, und spätestens das fesselnde Finale verdeutlicht die ungeheure Last, die das Kind zu schultern hat. Aber auch Helga kämpft: Sie weiß, dass sie Adrian verlieren wird, wenn sich nichts ändert, weshalb sie aus Angst, das Jugendamt könne ihr den Jungen wegnehmen, bei jedem Klingeln in Panik ausbricht. Aus diesem Grund ist die Stimmung des Films einem ständigen Wechsel unterworfen: Auf den idyllischen Beginn mit Lagerfeuer am Fluss, wo Adrian auch die Pfeilspitze findet, folgt das hektische Aufräumen der im Chaos versunkenen Wohnung, weil sich ein Behördenvertreter angekündigt hat. Familien-ähnliche gemütliche Abende mit Helgas Freunden enden am nächsten Morgen mit bohrenden Fragen der Polizei, weil einer der Gäste in Helgas Bett an einer Überdosis gestorben ist.

Es ist kein Zufall, dass der junge Held den gleichen Vornamen trägt wie Adrian Goiginger, Autor und Regisseur des Films: Der österreichische Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg erzählt mit diesem Drama seine eigene Geschichte. Der Kinofilm war gleich neunmal für den Österreichischen Filmpreis 2018 nominiert und in fünf Kategorien erfolgreich (darunter bester Spielfilm, beste Regie und bestes Drehbuch). Die Qualität des herausragenden Debüts zeigt sich nicht zuletzt in der vermittelten Stimmung: Obwohl die Handlung denkbar düster ist, wirkt sie nicht deprimierend. Von außen betrachtet mag Adrians Kindheit trostlos sein, aber er macht in der Tat die Beste aller möglichen Welten daraus. Dabei tut Goiginger nichts, um die Umstände zu beschönigen, im Gegenteil. In den Traumsequenzen sorgt das Licht für typische Horrorfilmatmosphäre, viele Innenaufnahmen sind in einem giftig anmutenden gelblich-grünlichen Farbton gehalten. Oftmals liegt zudem eine Art Nebelqualm in der Luft, weil Helga und ihr gleichfalls süchtiger Lebensgefährte Günter (Lukas Miko) mit ihren Besuchern alle nur denkbaren Drogen konsumieren. Immerhin achtet die Mutter darauf, dass Adrian nie Zeuge wird, wenn sie sich eine Spritze gibt. Dann zieht sie sich in ein verschlossenes Zimmer zurück; die Glasscheibe der Tür ist mit Zeitungen verklebt. In diesem Raum kommt es zum entscheidenden Zweikampf des Jungen mit dem Dämon, den er unter Einsatz seines Lebens auf äußerst einfallsreiche, aber auch höchst gefährliche Weise besiegt.

Die Beste aller WeltenFoto: SWR / Hendrik Heiden
Glücklichen Kindheit in schwierigem Milieu? Zwischen Fürsorglichkeit und Drogenrausch. Verena Altenberger & Jeremy Miliker

Die Ohnmacht von Süchtigen lässt sich kaum schmerzlicher zeigen als in Gestalt einer liebenden Mutter. Nicht einmal Helgas Wille, ihr Kind zu schützen, erweist sich als stark genug, um den Drogen abzuschwören. Trotzdem folgt der Film nicht dem erwartbaren Reflex, von einer einseitig schlimmen Kindheit in der Drogenhölle zu erzählen. Stattdessen zeigt er, ohne zu verharmlosen, wie viel Zärtlichkeit zwischen Mutter und Sohn herrscht, wie viel wunderbare Normalität mitunter möglich ist. Er zeigt ein richtiges Leben im falschen. (Spiegel online)

Mit dem ergreifenden Drama über eine Mutter-Sohn-Beziehung im Ausnahme-Zustand erzählt Adrian Goiginger seine eigene Geschichte und legt damit sein Spielfilmdebüt vor, das bei der Berlinale, der Diagonale, in Schwerin und Moskau prämiert wurde. Ausgezeichnet wurde u.a. Hauptdarstellerin Verena Altenberger für ihre nuancierte, herausragende Performance. Ehrlich, liebevoll, auch schonungslos erzählt der Film aus der Perspektive des Kindes. (Blickpunkt:Film)

Goiginger ist mit „Die beste aller Welten“ eine authentische Milieustudie gelungen, die die Drogensüchtigen und Kleinkriminellen nicht verurteilt, sondern schildert, wie sie mit ihren Ängsten zu überleben versuchen. Es ist das Anliegen des jungen Regisseurs, die Aufmerksamkeit auf diese Szene zu lenken, die nach wie vor an den Rändern der Gesellschaft existiert, aber kaum wahrgenommen wird – etwa im Außenbezirk Salzburgs, wo Goiginger groß geworden ist. Hier wurde der Film auch gedreht, und die Menschen dort haben den Regisseur wiedererkannt – „Das ist doch der von damals, der die Wohnung in Brand gesetzt hat.“ Auch das ist tatsächlich passiert und war der entscheidende Wendepunkt, Helga nochmals zu einem Entzug zu bewegen, diesmal um endgültig clean zu werden. Ein Happy End, ohne das der Film heute wohl nicht existieren würde. (epd film)

Die Beste aller WeltenFoto: SWR / Hendrik Heiden
Für die Österreicherin Verena Altenberger war „Die Beste aller Welten“ der endgültige Karriere-Durchbruch in Deutschland. Es folgten sechs außergewöhnliche „Polizeiruf“-Episoden und u.a. der Dominik-Graf-Film „Gesicht der Erinnerung“.

Goiginger ist Jahrgang 1991, hat „Die Beste aller Welten“ also mit Mitte zwanzig inszeniert; zuvor hatte er einen Schulfilm und eine Handvoll Kurzfilme gedreht. Vor diesem Hintergrund ist sein Langfilmdebüt von einer umso eindrucksvollen Reife. Das hängt sicher auch mit der Bildgestaltung von Yoshi Heimrath und Paul Sprinz zusammen. Heimrath, mit Goigingers Film 2017 für den Deutschen Kamerapreis nominiert, hat unter anderem die Kamera beim zweiten Teil der „NSU“-Trilogie „Mitten in Deutschland“ („Die Opfer“) geführt und hatte maßgeblichen Anteil an der Qualität von Burhan Qurbanis kleinem Fernsehspiel „Wir sind jung. Wir sind stark.“ Und dennoch sind es vor allem die Darsteller, denen dieser Film seinen herausragenden Status verdankt. Verena Altenberger, für ihre Rolle als Adrians Mutter mit mehreren Schauspielpreisen geehrt, ist hierzulande als Titeldarstellerin von „Magda macht das schon“ bekannt geworden (und sie wird BR-„Polizeiruf“-Kommissarin), Die mit Vorliebe aufreizend gekleidete Altenpflegerin aus der RTL-Serie ist ziemlich sexy; im Vergleich dazu ist Altenberger in Goigingers Drama kaum wiederzuerkennen, und das ist nicht nur eine Frage des Maskenbilds, selbst wenn Helga des Öfteren wie eine wandelnde Tote aussieht.

Noch imposanter ist die Leistung des kleinen Jeremy Miliker; der Junge stand schließlich das erste Mal vor einer Kamera. Gerade bei Kindern lässt sich ja kaum von Schauspiel sprechen; wenn sie versuchen, eine Figur darzustellen, wirkt das meist ungelenk. Goiginger musste Jeremy also dazu bringen, Adrian nicht zu spielen, sondern die Rolle in sich aufzunehmen. In vielen Einstellungen brauchte der Junge bloß ein Kind sein, das übermütigen Unfug treibt oder nur durch die Gegend tollt, aber es gibt auch Momente, die schon beim Zuschauen unter die Haut gehen. Fast so grausig wie Adrians Kampf gegen den Dämon ist eine Szene, in der ein betrunkener Nachbar ihn mit Gewalt zwingen will, Wodka zu trinken. Goiginger inszeniert dieses Ereignis ungeschönt und in all’ seiner traumatischen Wucht; Helga wird regelrecht zur Furie, als ihr klar wird, was der Mann ihrem Sohn antun wollte. Nicht weniger emotional sind die intensiven Mutter/Kind-Szenen, in denen beide, die erfahrene Schauspielerin und das junge Naturtalent, innige Zuneigung vermitteln. Aus Jeremys Mund klingt selbst der für einen Siebenjährigen eher ungewöhnliche Satz „Wegen dir ist meine Kindheit im Arsch“ nicht weltfremd, und weil Adrian natürlich „Oasch“ sagt, hört sich der Vorwurf für deutsche Ohren ohnehin nur halb so schlimm an. Der SWR ist dankenswerterweise nicht auf die Idee gekommen, den Salzburger Dialekt für die TV-Ausstrahlung zu entschärfen; das führt zwar zu gelegentlichen Verständnisproblemen, bewahrt dem Film aber seine unmittelbare Authentizität. Jeremy wurde 2018 als jüngster Preisträger überhaupt beim österreichischen Film- und Fernsehpreis „Romy“ als bester männlicher Nachwuchsdarsteller ausgezeichnet.

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Kinofilm

ORF, SWR

Mit Verena Altenberger, Jeremy Miliker, Lukas Miko, Michael Pink, Reinhold G. Moritz, Philipp Stix, Lisa Marie Stoiber

Kamera: Yoshi Heimrath, Paul Sprinz

Szenenbild: Veronika Merlin

Kostüm: Monika Gebauer

Schnitt: Ingrid Koller

Musik: Dominik Wallner, Lüder Lindau, Michael Pink

Soundtrack: Frumpy („How the Gypsy was Born“)

Redaktion: Brigitte Dithard (SWR), Susanne Spellitz (ORF)

Produktionsfirma: Lailaps Films, RitzlFilm

Produktion: Wolfgang Ritzberger, Nils Dünker

Drehbuch: Adrian Goiginger

Regie: Adrian Goiginger

EA: 24.11.2018 20:15 Uhr | SWR

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