Darf man einem Kind die Nähe der Frau verbieten, die es wie eine Mutter groß gezogen hat? Wie fühlt es sich an für ein Kind, wenn plötzlich fremde Leute auftauchen, die behaupten, seine Eltern zu sein und die damit drohen, seine vermeintliche Mutter ins Gefängnis zu bringen? „Die andere Hälfte des Glücks“ zeigt eine emotional verfahrene Situation, aus der es keinen glücklichen Ausweg zu geben scheint. Einer Mutter wurde ihr Baby „gestohlen“. Die Frau, die es sich genommen hat, zieht es liebevoll auf. Nach zwölf qualvollen Jahren findet die leibliche Mutter ihr Kind. Für sie steht fest: sofort will sie ihren Sohn zu sich holen. Doch der Ehemann warnt. Er glaubt, dass das verheerende Folgen für den Jungen haben könnte.
Die Geschichte des Films mag auf dem Papier wie eine „Versuchsanordnung“ wirken, kaum realistischer als Brechts „Kaukasischer Kreidekreis“. Doch das Problem des Films ist einer wahren Geschichte nachempfunden. Dass der Konflikt mehr als ein theoretischer ist, dass er näher dran ist am Leben als eine Theater-Parabel, das ohnehin vermittelt einem das kraftvolle Spiel eines ausgezeichneten Schauspielerensembles. Katharina Böhm und Anneke Kim Sarnau machen den Konflikt sinnlich spürbar. Dieser Schmerz, dieser Schock, diese Angst – ein Blick in die Gesichter und die Geschichte erzählt sich wie von selbst. Weil zunächst die Gefühle regieren und sich der kühle Verstand nicht auf Knopfdruck einstellen lässt, entwickelt sich ein bewegendes Drama, dem sich jeder, der eigene Kinder hat, kaum entziehen kann.
„Die Geschichte handelt von Mutter- und Vatergefühlen“, so die Produzentin Ariane Krampe, „doch vor allem handelt sie von Überforderten, die dennoch in einer Situation, in der eigentlich nichts richtig gemacht werden kann, versuchen, dieses Richtige zu finden und zu tun.“ Der Film erzählt ein extremeres Beispiel als die zahlreichen Trennungsgeschichten, die als Reflex auf die Wirklichkeit (ein Drittel aller deutschen Ehen werden geschieden) in den letzten Jahren entstanden sind. Für den Sohn ist es eine ähnliche Situation: Er soll sich von heute auf morgen für einen Menschen und gegen einen anderen entscheiden. Die emotionale Irritation indes ist noch größer: so empfindet der von Jonathan Elias Beck überzeugend gespielte Junge die neuen Eltern als Fremde, als Eindringlinge in die harmonische Zweisamkeit mit der „Ersatzmutter“, die sich noch immer wie das eigene Fleisch und Blut anfühlt, die der 12-Jährige aber dennoch plötzlich zu hassen glaubt.
Foto: SWR / Barbara Bauriedl
Themenfilme sind gut gemeint. „Die andere Hälfte des Glücks“ ist auch gut gemacht. Christiane Balthasar setzt auf einfache Bildsprache. „Der Film bleibt ganz nah und klar an den Figuren, aus denen sich die ganze Kraft ergibt.“ Sie wollte den Film gern machen, weil sich Autor Rauhaus weit von „schlichter Schwarzweiß-Malerei“ entfernt hat. Balthasar: „Die Problematik, die sich daraus ergibt, ist menschlich nachvollziehbar, es gibt jedoch kein salomonisches Patentrezept, das allen gerecht werden würde.“ (Text-Stand: 18.4.2007)