Auf den ersten Blick mag es unglücklich erscheinen, dass relativ kurz nach dem Kinostart von Lars Kraumes „Der Staat gegen Fritz Bauer“ im Oktober 2015 bereits ein zweiter Film über den hessischen Generalstaatsanwalt im Fernsehen zu sehen ist. Aber Kraumes vom WDR koproduzierter Kinofilm fand zwar in der Kritik große Beachtung und wurde auch mehrfach ausgezeichnet (Hessischer Filmpreis, Publikumspreis Locarno, Bayerischer Filmpreis für Burghart Klaußner), war aber mit 216.000 Zuschauern in den ersten beiden Monaten (Quelle: FFA) bestenfalls ein respektabler Leinwand-Erfolg. Insofern gibt es für „Die Akte General“ beim TV-Publikum ungeachtet einiger Ähnlichkeiten noch ein großes Terrain zu gewinnen.
Zu wünschen wäre es dem Film, der ebenfalls an den Kampf des aufrechten Juristen Fritz Bauer um eine Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen erinnert, aber stärker noch als Lars Kraume die politischen Hintergründe mit einbezieht. Wieder spielt die Entführung von Adolf Eichmann und der Prozess gegen den Organisator der Juden-Deportationen in Israel eine zentrale Rolle. Fritz Bauer hatte den israelischen Geheimdienst Mossad über den Aufenthaltsort Eichmanns in Argentinien informiert – den von Alt-Nazis durchdrungenen Behörden im eigenen Land traute der Generalstaatsanwalt in Frankfurt und jüdische Sozialdemokrat nicht über den Weg. Mit Hans Globke war zudem ein ehemals hochrangiger Jurist des NS-Innenministeriums Chef des Bundeskanzleramts und Konrad Adenauers rechte Hand. „Die Akte General“ von Stephan Wagner erzählt spannend und differenziert von der politischen Stimmung im Nachkriegsdeutschland: Von der Verdrängung der Nazi-Zeit und der Furcht vor dem Kommunismus; von der Haltung Adenauers, dem die Strafverfolgung von Nazi-Verbrechen ungelegen kommt, weil sie die Propaganda der „Soffjetzone“ zu bestätigen scheint und seine Politik der West-Bindung stört; vom Kalten Krieg der Geheimdienste und der Sorge der „alten Kameraden“, dass Fritz Bauer ihre schönen Karrieren doch noch beenden könnte.
Das Drehbuch von Alex Buresch, das die Zeitspanne von 1959 bis 1962 umfasst, kommt schnell zur Sache: Bauer (Ulrich Noethen) trifft sich in Frankfurt mit einem Mossad-Agenten (Bohm), während beim BND in Pullach über Maßnahmen gegen Bauers Aktivitäten beraten wird. Denn der Generalstaatsanwalt scheut sich auch nicht, bei den DDR-Kollegen um Akten und Amtshilfe zu bitten. „Die Herren aus Ost-Berlin“ empfängt er ganz offen in seinem Büro. Der BND will nun eine Quelle im Umfeld Bauers platzieren. „Machen Sie sich auf Gegenwind gefasst. Viele Freunde haben wir nicht“, sagt Bauer zu Joachim Hell (David Kross), dem jungen Staatsanwalt, den er zur Unterstützung bei den geplanten Nazi-Verfahren engagiert. Beim BND ist man in Sorge: „Warnen Sie die Kameraden“, fordert Agent Kunze (Kukulies) seine Leute auf. Dann wechselt der Film auf die Bonner Bühne. Globke (Bernhard Schütz) informiert Adenauer (Dieter Schaad) über eine Anklage in Griechenland gegen Max Merten, der als Statthalter in Saloniki für die Ermordung Tausender Juden mitverantwortlich war. Der ungehaltene Adenauer („Der Dreck, den die Kommunisten auf unsere Leute schmeißen, der klebt mir am Schuh“) regt an, die Ratifizierung des mit Griechenland ausgehandelten Kredits erst einmal auf Eis zu legen. Globke solle Zweifel an der Kreditwürdigkeit des Landes nähren. Da ist man als Zuschauer geneigt, Verbindungslinien bis in die aktuelle Politik zu ziehen.
Manche Dialoge hätte man in der mitunter etwas textlastigen Inszenierung kürzen und verdichten können. Auch die Bonner Kabinettssitzung mit dem aufbrausenden Adenauer-Widersacher Ludwig Erhard (Gustav Peter Wöhler) – eine mit diversen Statisten aufgefüllte Männerrunde – ist eher aufgeregt als lebendig inszeniert. Und Dieter Schaad trägt den rheinischen Sturkopf Adenauer reichlich dick auf, auch was die Dialektfärbung angeht. Manchmal wird das unfreiwillig komisch: „Schicken Sie meinem Freund Ben Jurion ein Jlückwunschtelejramm“. Überzeugend dagegen Bernhard Schütz, der Globke als leisen, beflissenen Beamten spielt. Als Eichmann gefasst wird, bietet er seinen Rücktritt an, weil zu befürchten ist, dass sein Name bei dem Prozess zur Sprache kommen und die bundesdeutsche Regierung diskreditieren könnte. „Wat soll ich denn ohne Sie machen?“, lehnt „der Alte“ den Rücktritt ab. Der anpassungsfähige Globke macht sich unabkömmlich, egal ob in einer Diktatur oder in einer Demokratie. Weil Merten Globke belastet, leitet Bauer jedoch ein Ermittlungsverfahren ein. Die einen hoffen, die anderen fürchten Enthüllungen im Eichmann-Prozess. Die Adenauer-Regierung versucht im Hintergrund Einfluss zu nehmen, während Agenten aus West und Ost in Israel auf jedes Wort Eichmanns lauschen.
Den roten Faden des Films bildet das Verhältnis zwischen Bauer und Heller. Der junge Staatsanwalt wird durch eine Gerichtsszene eingeführt, in der er einem selbstherrlichen Richter mutig Paroli bietet. Es geht letztlich um Themen wie Loyalität, Vertrauen und Verrat, denn Heller ist es, der Bauer für den BND ausspionieren soll und die „Akte General“ anlegt. Er hat Vorbehalte, weil Bauer mit Kommunisten zusammenarbeitet, zugleich trägt er Bauers hartnäckige Verfolgung von Nazi-Verbrechen aus Überzeugung mit – eine spannende Figur, die nach und nach an Kontur gewinnt. Am Ende, wenn sich Heller in Israel während des Eichmann-Prozesses mit den Agenten aus West und Ost herumschlägt, wird der Film noch zum Geheimdienst-Thriller. Trotz der verschiedenen Handlungslinien und des differenzierten Panoramas der politischen Landschaft bleibt auch das Bauer-Porträt intensiv & eindrucksvoll. Ulrich Noethen spielt diesen knorrigen Einzelkämpfer als ungeduldigen, misstrauischen, aber strategisch klug vorgehenden Juristen. Die Anfeindungen lassen ihn nicht kalt, auch wenn er auf Hakenkreuz-Schmierereien mit Sarkasmus reagiert: „Auf die Art weiß ich wenigstens immer, wo ich zu Hause bin.“ Bauer – einmal wird er sogar tätlich angegriffen – ist ein verletzlicher Held, der sich nicht unterkriegen lässt. Und seine Botschaften („Feiern Sie den Rechtsstaat“) sind nicht verstaubte Geschichte, sondern von zeitloser Aktualität.
Ebenfalls Thema, wenn auch nicht derart dominierend wie in „Der Staat gegen Fritz Bauer“, ist die mutmaßliche Homosexualität des hessischen Generalstaatsanwalts. Bauer umgibt sich gerne mit jungen Männern, gewiss auch, aber wohl nicht nur, weil er in diese unbelastete Generation große Hoffnungen beim Aufbau eines demokratischen Deutschlands setzt. Sehr schön die Szene am Strand von Tel Aviv, wo sich Fritz Bauer und seine dänische Frau entspannt und voll gegenseitigem Respekt begegnen. Dass er seine Neigung nicht nur platonisch lebt, wie er sagt, legt eine Szene dezent nahe, in der ein nackter Mann über Bauers Flur huscht – vor den Augen Hellers. Regisseur Stephan Wagner nennt seinen Film eine „fiktionale Interpretation auf der Grundlage verbriefter Fakten“. Nicht als dokumentarisch zu belegende Behauptung muss man deshalb eine solche Szene verstehen, sondern als eine Möglichkeit, die den Kontext veranschaulicht: Die damals noch strafrechtlich verfolgte Homosexualität machte Bauer angreifbar. „Ich wünschte, die Richter hätten vor den Nazis genauso viel Angst wie vor den Homosexuellen“, sagt Bauer im Film gleich zu Beginn. „Die Akte General“ würdigt damit einen Mann, der in der Realität auch gegen den Paragraphen 175 und entsprechende Urteile im Geiste der Nazi-Justiz gekämpft hatte. (Text-Stand: 29.1.2016)