Kleine Reparaturen im Haus erhalten die Freundschaft
Die Heizung funktioniert nicht. Übersetzerin Stine (Stine Stengade) ist finanziell gerade etwas klamm, aber die Reparatur lässt sich im Winter nicht aufschieben. Stine, deren Mann vor einem Jahr gestorben war, holt sich Hilfe; wie sie an Roger (Alex Brendemühl) geraten ist, bleibt unklar. Irritierend ist auch, wie schnell und umstandslos man sich nahe kommt. Roger hat seinen schweigsamen Sohn Kevin (Robert Alexander Baer) mitgebracht, er verspricht, die Heizung auch ohne Bezahlung instand zu setzen. „Warum tun Sie das?“, fragt Stine. „Mir gefällt Ihr Haus“, antwortet Roger. Nach der ersten provisorischen Reparatur serviert sie ein Essen. Anschließend sieht man beide beim Sex. Ihre Tochter Stephanie (Antonia Lingemann) möge davon nichts erfahren, bittet Stine. Roger gibt sich hilfsbereit und verständnisvoll.
Foto: WDR / Frank Dicks
Der Zustand des Hauses spiegelt Stines seelische Verfassung
Von Beginn an breitet sich ein unbehagliches Gefühl beim Betrachter aus. Weil Stine sich aufgrund der „Abmachung“ – er repariert, sie zahlt erst, wenn sie wieder flüssig ist – praktisch dem undurchsichtigen Roger ausliefert. Und weil Autor-Regisseur Peter Bösenberg unterkühlt, in aller Ruhe und scheinbarer Harmlosigkeit inszeniert – ein wirkungsvoller Horror ohne Horror-Effekt. Vor allem: Bösenberg nutzt das Haus als Mitspieler. Schon als Intro verwendet er Ansichten von Einfamilienhäusern, darunter sind biedere, moderne, baufällige, halbfertige, eine vielfältige Welt von Lebensentwürfen ist das, mit Autolärm und Vogelgezwitscher im Hintergrund. Stine und Stephanie leben in einem ziemlich großen Haus, was auf einigen Wohlstand schließen lässt, aber die guten Zeiten sind vorbei. Der Zustand des Hauses spiegelt Stines seelische Verfassung, und Bösenberg treibt diese Idee in seinem Debütfilm auf die Spitze. Roger nistet sich ein, indem er immer neue Arbeiten beginnt und dabei immer mehr Schaden anrichtet. Erst ist es nur ein Wasserfleck an der Decke, dann rieselt etwas Staub, am Schluss hat er weite Teile des Hauses in eine Baustelle verwandelt. Wer sich immer schon von Handwerkern verfolgt fühlt, der wird sich hier bestätigt fühlen.
Die Gegenmeinung:
„Offenbar als Autorenfilm-Variante eines Home-Invasion-Movies gedacht, aber die zentnerschwere Symbolik ist erschlagend. So wirkt der humorbefreite Eskalationsfilm mit zunehmender Länge immer zielloser.“ (TV-Spielfilm)
Stines unerschütterliche Leichtgläubigkeit wirkt zunehmend unglaubwürdig
„Die Abmachung“ ist jedoch keine tragikomische Groteske aus der Handwerkerhölle, sondern ein Drama um Menschen, die ihren Halt verloren haben – ihre Behausung ist eine Metapher dafür und zugleich das filmische Schlachtfeld. Der zarten und ausdrucksstarken dänischen Schauspielerin Stine Stengade folgt man gerne, allerdings bietet die Hauptrolle auch manche Zumutung. Eine Frauenfigur, die sich vom Handwerker noch den größten Quatsch andrehen lässt, entspricht nun nicht gerade dem modernsten Rollenbild. Davon abgesehen: Stine verhält sich lange Zeit derart naiv, dass man sie rütteln und schütteln möchte. Ihre unerschütterliche Leichtgläubigkeit ist zwar notwendig, um Roger im Sinne des Drehbuchs genügend Zeit für seine umfassenden Bautätigkeiten zu geben, wirkt aber zunehmend unglaubwürdig und in die Länge gezogen. Ganz anders Tochter Stephanie, die sich intuitiv gegen Rogers Anwesenheit sträubt. Und da Kevin sie heimlich verfolgt und beobachtet, fordert sie ihre Mutter schon bald auf, die beiden rauszuschmeißen. Einziger Außenkontakt sind die Eltern einer Freundin von Stephanie, deren Nebenrollen mit Caroline Peters und Wolfram Koch prominent besetzt sind und deren Bedeutung für die Handlung erst nach und nach zum Tragen kommt.
Foto: WDR / Frank Dicks
Roger ist eine ambivalente Figur: Parasit und besorgter Vater
Auch wenn Stines Naivität nervt: Dass Bösenbergs Figuren keinen simplen Mustern folgen, dass Ungewissheiten bleiben, dass nicht alles auf Anhieb nachvollziehbar erscheint, macht gerade den Reiz seines Debütfilms aus. Eine spannende Ambivalenz bringt die Figur des Roger mit, der zwar als eine Art Parasit der klassische Bösewicht ist, aber auch noch andere Deutungen zulässt. Alex Brendemühl stattet diesen Roger mit einer unerschütterlichen Freundlichkeit aus, der man jederzeit die Wende ins Boshafte zutraut. In einer Schlüsselszene folgt Stine Roger heimlich mit dem Auto und entdeckt, dass der vermeintliche Installateur keineswegs wie behauptet gemeinsam mit Kevins Mutter in einer Wohnung lebt. Sondern allein mit seinem Sohn in einer wahren Bruchbude. Das sollte für Stine Warnung genug sein, andererseits wirkt Rogers Fürsorge für seinen verpeilten Sohn aufrichtig. Stine ist hin und her gerissen. Auch dieser leise, etwas sperrige Film ist hin und her gerissen: ist mal Drama, mal Horror, und im Finale ein spannender Thriller mit ungewissem Ausgang, wobei die Eskalation dankenswerter Weise ohne eine übertriebene Gewaltdarstellung auskommt.
„Intelligenter Thriller“, „konstruierte Parabel“, „seltsamer Zwitter“
„Die Abmachung“ sei „ein Film über den Verlust von Sicherheiten, über die Zerstörung und das Chaos, die jeder Zivilisation zugrunde liegen. Und darüber, dass Menschen oft anders sind, als man es sich vorstellt. Nicht nur im Schlechten“, erklärt Bösenberg. Die Filmbewertungsstelle stattete den „intelligenten Thriller“ und das „intensive Psycho-Drama“ mit dem Prädikat „besonders wertvoll“ aus. Nicolaus Freund bezeichnete den Film dagegen in der Süddeutschen Zeitung als „eine konstruierte Parabel über Schuld, Rache und Vertrauen, die mit ihrer hölzernen Inszenierung und groben Struktur wirkt wie aus dem Baumarkt“. Und Falk Straub schrieb bei spielfilm.de: Der Film sei „ein seltsamer Zwitter aus biederem Sozialdrama und Psychothriller, dem die Selbstverständlichkeit vergleichbarer amerikanischer Produktionen abgeht. Für eine europäische Variante im Stile eines Michael Haneke, an den der Film visuell erinnert, bleibt Bösenberg schlicht zu harmlos“. (Text-Stand: 10.6.2017)