Der Zürich-Krimi – neue Folgen 2019

Christian Kohlund in: Borchert & die mörderische Gier / Borchert & der Sündenfall

Foto: Degeto / Roland Suso Richter
Foto Tilmann P. Gangloff

Roland Suso Richter hat den „Zürich-Krimi” (Degeto / Graf Film) schon mit den beiden letzten Filmen auf ein deutlich höheres Niveau gehoben. Die neuen Episoden bestätigen diese Klasse nicht nur, sie zeigen dank zweier völlig unterschiedlicher Handlungen auch, welch’ großes inhaltliches Potenzial die Reihe besitzt. Im ersten Film, „Borchert und die mörderische Gier“, geht es nur dem ersten Anschein nach um Islamisten; der zweite, „Borchert und der Sündenfall“, erzählt von einem finsteren Komplott und entpuppt sich als fesselnder Rotlicht-Thriller. Richters Inszenierungen genügen ohnehin regelmäßig hohen Ansprüchen. Darüber hinaus ist er ist als sehr visuell arbeitender Regisseur bekannt. Auch bei den „Zürich-Krimis“ ist jede einzelne Szene sichtbar durchdacht. Beide Produktionen wirken im Vergleich zu anderen (Reihenkrimi-)Fernsehfilmen außerdem enorm hochwertig.

Der Reiz von Reihen liegt nicht zuletzt in der Mischung aus Konstanz und Variation: Die Hauptfiguren sind eingeführt und berechenbar, aber ein steter Wechsel von Autoren und Regisseuren sorgt dafür, dass immer wieder neue Akzente gesetzt werden. Andererseits hat das Beispiel „Der Kommissar und das Meer“ gezeigt, wie gut es einer Reihe tun kann, wenn ein renommierter Regisseur wie Miguel Alexandre mehrere Filme hintereinander inszeniert. Roland Suso Richter, dank Prestigeproduktionen wie „Der Tunnel“, „Dresden“ oder „Mogadischu“ einer der wichtigsten deutschen Fernsehregisseure, hat den ARD-„Zürich-Krimi“ mit seiner Episode „Borchert und die letzte Hoffnung“, einer berührenden Geschichte über Sterbehilfe, auf ein neues Niveau gehoben. Sein zweiter Beitrag, „Borchert und die Macht der Gewohnheit“, erreichte zwar keine vergleichbare Emotionalität, aber das lag vor allem am Thema. Die Bildgestaltung, ohnehin stets ein Qualitätsmerkmal von Richters Arbeit, war in beiden Fällen herausragend. Es war also schon mal eine gute Idee, dem Regisseur und seinem Kameramann Max Knauer auch die Episoden fünf und sechs anzuvertrauen. Der Autorenwechsel nach dem enttäuschenden Auftakt 2016 – seither sind alle Drehbücher von Wolf Jakoby geschrieben worden – hat sich ohnehin ausgezahlt.

Bewertung im Detail: „Borchert und die mörderische Gier“ = 4 Sterne. „Borchert und der Sündenfall“ = 4,5 Sterne

Der Zürich-Krimi – neue Folgen 2019Foto: Degeto / Roland Suso Richter
Der Anwalt und der Hauptmann. Borchert (Christian Kohlund) und Furrer (Felix Kramer)

„Borchert und die mörderische Gier“, der fünfte Film der Reihe, beginnt auch dank der Thriller-Musik von Klaukien/Lonardoni ziemlich furios: Ein junger Mann rast mit seinem Motorrad durch die Züricher Innenstadt. Er will zur Anwaltskanzlei von Thomas Borchert (Christian Kohlund) und seiner Partnerin Dominique Kuster (Ina Paule Klink), aber soweit kommt er nicht, denn kurz vor dem Ziel wird er lebensgefährlich verletzt. Die Aufnahmen einer Taxikamera legen nahe, dass der vermeintliche Unfall absichtlich herbeigeführt worden ist. Borcherts Recherchen ergeben, dass der Kunststudent ein großes Interesse für Orientalistik entwickelt hat und womöglich an falsche Freunde geraten ist. Der Anwalt findet Hinweise, die zumindest den Verdacht nahelegen, dass Julian Stolz (Justus Czaja), der seit dem Unfall im Koma liegt, Kontakt zu Islamisten hat; außerdem ist er in letzter Zeit auffallend oft in den Nahen Osten geflogen. Eine Erklärung für seine Sinnsuche bietet Jakoby ebenfalls an: Julian ist ohne Vater aufgewachsen; das erhöht offenbar die Anfälligkeit für radikale Angebote. Als Borchert entdeckt, dass Julians angeblich unbekannter Erzeuger (Kai Wiesinger), ein vermögender Unternehmer, seit Kurzem eine große Rolle im Leben des jungen Mannes spielt, ändern sich die Parameter. Der Anwalt ist ohnehin überzeugt, dass Julian kein Terrorist ist; dennoch gerät er gemeinsam mit Vater und Sohn ins Visier einer islamistischen Terrormiliz.

Trotz des temporeichen Auftakts ist „Borchert und die mörderische Gier“ ein klassischer Krimi, zumal der Titelheld eher wie ein Privatdetektiv agiert. Für Actionszenen wäre Kohlund, mittlerweile an die siebzig, ohnehin zu alt, zumal er den Anwalt tiefenentspannt verkörpert. Dynamik gibt es dank manch’ schwungvoller Kamerafahrt trotzdem. Außerdem durchlebt Julian im Traum noch mal den Unfall, und eine Verfolgungsjagd durch ein Parkhaus führt schließlich zum Tod jenes Mannes, der die Verbindung zwischen dem Studenten und den Islamisten. Jakobys Drehbuch erzählt diese Geschichte auf reizvoll verrätselte Weise und sorgt mit den verschiedenen oft nur angedeuteten Hintergründen für eine Komplexität, die dem Film eine große Handlungsdichte beschert. Dass im Gegenzug die Rolle von Borcherts Freundin gestrichen worden ist, war dagegen konsequent; deren Stippvisiten hatten im letzten Film überhaupt keinen Bezug zur Handlung. Ein wesentlich plausibler integrierter Ersatz sind die Zwiegespräche, die der Anwalt mit seinem persönlichen Chauffeur Bürki (Andrea Zogg) führt. Ein biografisches Element sorgt dafür, dass Borcherts besonderes Engagement für Julian nachvollziehbar wird: Er hat vor zehn Jahren seinen eigenen Sohn durch einen Autounfall verloren; seine Frau hat den Verlust nicht verkraftet und sich das Leben genommen.

Der Zürich-Krimi – neue Folgen 2019Foto: Degeto / Roland Suso Richter
Borchert (Christian Kohlund) wird von einer Gruppe Araber angegriffen und verletzt. Der Imam Sheik Ibrahim Al-Khatib (Neil Malik Abdullah) kommt ihm zur Hilfe.

Kein Wunder, dass Kanzleipartnerin Dominique Kuster, von Ina Paule Klink ohnehin eher distanziert verkörpert, deutlich emotionsloser wirkt; die Beziehung zu Hauptmann Furrer (Felix Kramer), die sich schon seit einigen Episoden anbahnt, ist da nur ein schmaler Ersatz. Beim ersten Date der beiden zeigt sich allerdings, wie Richter und Knauer visuell arbeiten. „Borchert und die mörderische Gier“ ist auch dank Ausstattung und Kostümbild überwiegend in Blaugrau gehalten, was die Bilder kühl, aber auch hochwertig erscheinen lässt. Als sich Dominique mit Furrer trifft, gibt es dank diverser bunter Lichtinseln ein regelrechtes Farbenfeuerwerk. Nur bedingt ins ästhetische Konzept passen daher die Rückblenden, denn die freundlichen hellen Töne stehen in klarem Kontrast zu dem Streit zwischen Lisa Stolz (Valery Tscheplanowa) und ihrem Sohn, als Julian durch Zufall mitbekommt, dass seine Mutter sehr wohl weiß, wer sein Vater ist. Dessen Besetzung mit Kai Wiesinger knüpft an die einst äußerst fruchtbare Zusammenarbeit von Schauspieler und Regisseur an, die 1996 mit dem Kinothriller „14 Tage lebenslänglich“ begonnen hat; es folgten „Nichts als die Wahrheit“ (1999) und „Dresden“ (2006). Mittlerweile ist es etwas ruhiger um Wiesinger geworden; seine letzte wirklich bemerkenswerte Rolle hat er in Thomas Schadts formidablem Dokudrama über das Ende von Christian Wulffs Amtszeit als Bundespräsident gespielt („Der Rücktritt“, Sat 1 2014). Seine Rolle im „Zürich-Krimi“ als zwar eiskalter, aber durchaus charismatischer Geschäftsmann bietet ihm ein breites darstellerisches Spektrum.

Soundtrack: (1) Salamat („Ashry“), Ólafur Arnalds feat. Arnór Dan („Take My Leave From You”) (2) Extreme („More Than Words”), The Weeknd („Earned It”) Jessie J („I got You”), Giorgio Conte („Senza di te”)

Wie schon im letzten Jahr erzählt der zweite Film eine in jeder Hinsicht völlig andere Geschichte; das jedoch deutlich fesselnder: „Borchert und der Sündenfall“ ist ein Polizei-Thriller, den Richter auf hohem Spannungsniveau inszeniert hat. Hauptfigur ist diesmal Hauptmann Furrer, was einerseits begrüßenswert ist, weil Felix Kramer, zwischenzeitlich als Star der Netflix-Serie „Dogs of Berlin“ endlich auch als Hauptdarsteller entdeckt, sein Potenzial bislang stets bloß andeuten konnte. Andererseits steht sein Abschied vom „Zürich-Krimi“ längst fest; Pierre Kiwitt hat seine Rolle übernommen. Als der Polizist ziemlich verkatert neben Dominique aufwacht, weil sein Telefon klingelt, kann er nicht ahnen, dass dies sein vorerst letzter geruhsamer Moment sein wird. Der Film beginnt mit einer nächtlichen Razzia in einem Club, die scheinbar aus dem Ruder läuft. Der Besitzer wird erschossen, in Notwehr, wie es heißt; durch einen Schuss mitten ins Herz. Streifenpolizistin Emmi (Lena Schmidtke) ahnt, dass hier irgendwas nicht stimmt, und bittet Furrer, der eine Art beruflicher Ziehvater für die junge Frau ist, am nächsten Morgen um ein Gespräch. Der schickt sie erst mal heim, damit sie sich ausschlafen kann. Als er sie später aufsuchen will, hat sich Emmi anscheinend vom Balkon gestürzt. Sein Chef (Thomas Kügel) suspendiert den Hauptmann zunächst, aber weil sich überall in der Wohnung und auch an der Leiche seine DNS-Spuren finden, steht Furrer nun unter Mordverdacht. Die Indizien sind derart erdrückend, dass er bei den anderen Polizisten als Kollegenmörder gilt, zum Freiwild wird und prompt unter Beschuss gerät. Borchert kommt derweil bei seinen Recherchen einem Syndikat auf die Spur: Das Sittendezernat, eigentlich Hüter von Anstand und Moral, hat das Rotlichtmilieu unter seiner Kontrolle. Ulf Markwart (Christoph Letkowski), der ehrgeizige Chef der Abteilung „Milieu und Drogen“, ist ein Freund Furrers; der kann und will sich nicht vorstellen, dass sein alter Weggefährte von der Korruption der Kollegen wusste. Wirklich vertrauen aber kann nur noch seinem engen Mitarbeiter Urs (Yves Wüthrich).

Der Zürich-Krimi – neue Folgen 2019Foto: Degeto / Roland Suso Richter
Borchert (Christian Kohlund) kennt sich aus im Rotlicht-Milieu. Deleila Piasko

Erneut beherzigen Richter und Knauer das ästhetische Konzept, das auch schon „Borchert und die mörderische Gier“ zum Hochglanz-Look verholfen hat. Diesmal arbeiten die beiden bei der Bildgestaltung noch stärker mit Farben. Die Rückblenden wirken wie ein Trip aus Violett und Pink, und die Szenen hinter den Kulissen der Nachtclubs sorgen dafür, dass keinerlei Zweifel an der Berechtigung des Begriffs „Rotlichtmilieu“ aufkommen. Nicht zuletzt dank der abwechslungsreichen Musik (auch diesmal wieder von Klaukien und Lonardoni), die die Handlung in den Spannungsszenen elektronisch vor sich hertreibt, lässt Richter immer wieder eine perfekte Thriller-Atmosphäre entstehen, zumal Jakoby den Hauptmann schließlich zum Opfer eines teuflischen Komplotts werden lässt: Dank der perfiden Raffinesse seiner Kollegen sieht es nun so aus, als habe Emmi den Clubbesitzer erpresst und kaltblütig hingerichtet, als der Mann aussagen wollte; und Furrer steht als Drahtzieher da.

Gemeinsam mit dem Hauptmann rückt auch Dominique stärker ins Zentrum, was der Rolle gut tut. In „Borchert und die mörderische Gier“ wird Ina Paule Klink allzu sehr auf einen Status als kühle Kanzleipartnerin reduziert, im zweiten Film zweifelt die verliebte Anwältin nicht eine Sekunde lang an Furrers Unschuld. Auch Borchert darf neue Seiten zeigen. Seine Liebe zur Klassik ist dabei weniger überraschend als seine Kontakte ins Rotlichtmilieu. Ihm mögen zwar Jugend und Fitness für eine Verfolgungsjagd fehlen, nicht jedoch der nötige Mut für eine Kletterpartie an der Fassade eines Nachtclubgebäudes, als er die Hintermänner beim konspirativen Gespräch belauschen will. Die Handlung erinnert dank der konsequenten Skrupellosigkeit der Verbrecher ohnehin an amerikanische Krimis: Kaum hat Borchert eine Prostituierte überzeugen können, gegen die Gangster auszusagen, wird sie auch schon ermordet. Richters Inszenierung genügt erneut hohen Ansprüchen, zumal jede einzelne Szene nicht zuletzt dank der Details, die für die Handlung nicht weiter wichtig sind, sehr durchdacht wirkt. Da fällt es fast nicht ins Gewicht, dass Kramer bei genauem Hinhören seine Berliner Herkunft nicht verhehlen kann und keiner der Mitwirkenden wie ein Schweizer klingt.

Der Zürich-Krimi – neue Folgen 2019Foto: Degeto / Roland Suso Richter
Dominique (Ina Paule Klink) glaubt an die Unschuld von Furrer (Felix Kramer).

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

ARD Degeto

Mit Christian Kohlund, Ina Paule Klink, Felix Kramer, Andrea Zogg, Yves Wüthrich, Robert Hunger-Bühler (1): Kai Wiesinger, Justus Czaja, Valery Tscheplanowa (2): Thomas Kügel, Christoph Letkowski, Jan Krauter, Lena Schmidtke

Kamera: Max Knauer

Szenenbild: Detlev Déto Provvedi

Kostüm: Mirjam Muschel

Schnitt: Bernd Schlegel

Musik: Michael Klaukien, Andreas Lonardoni

Redaktion: Diane Wurzschmitt, Katja Kirchen

Produktionsfirma: Graf Filmproduktion

Produktion: Klaus Graf, Annemarie Pilgram, Michael Pokorný

Drehbuch: Wolf Jakoby

Regie: Roland Suso Richter

Quote: (1): 5,50 Mio. Zuschauer (18% MA); (2): 5,38 Mio. (17,1% MA); Wh. (1): 5,39 Mio. (19% MA); Wh. (2): 4,38 Mio. (17,4% MA)

EA: 28.02.2019 20:15 Uhr | ARD

weitere EA: 07.03.2019 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach