Der Zürich-Krimi – Borchert und der Mord ohne Sühne

Kohlund, Klink, Huber, Hummel, Connie Walther. Wo bleibt da die Gerechtigkeit?

Foto: Degeto / Stanislav Honzik
Foto Tilmann P. Gangloff

Außerhalb der juristischen Welt versteht das kein Mensch: Ist ein rechtskräftiges Urteil erfolgt, darf eine Person kein zweites Mal in derselben Sache angeklagt werden. Robert Hummel ist zwar nicht der erste, der ein Drehbuch auf Basis des „Strafklageverbrauchs“ geschrieben hat, aber „Borchert und der Mord ohne Sühne“ (Degeto / Graf Filmproduktion, Mia) schildert ein perfektes Beispiel für eine himmelschreiende Ungerechtigkeit: Vor zehn Jahren ist die Tochter von Hans Siegenthaler erstochen worden, doch als neue Beweise auftauchen, werden die Handschellen nicht etwa der mutmaßlichen Täterin, sondern ihm selbst angelegt. Connie Walthers Umsetzung hat zwar nicht die Intensität der „Zürich-Krimis“ von Roland Suso Richter, zumal es einigen Mitwirkenden an Format fehlt, aber die Bildgestaltung (Birgit Gudjonsdottir), ohnehin ein Merkmal der Reihe, ist auch diesmal sehenswert.

Der Mann versteht die Welt nicht mehr: „Wo bleibt da die Gerechtigkeit?“ Die Empörung ist nur allzu verständlich: Die Mörderin seiner Tochter läuft weiterhin frei herum, doch er selbst wird wegen versuchten Mordes angeklagt. Basis dieses sehenswerten „Zürich-Krimis“ ist der lateinische Rechtsgrundsatz „Ne bis in idem“, nicht zweimal in derselben Sache: Ist ein rechtskräftiges Urteil gesprochen worden, also etwa ein Freispruch, darf eine Person zumindest in dieser Sache nicht erneut angeklagt werden. Für Angehörige eines Mordopfers ist das Grundrecht natürlich nur schwer nachzuvollziehen; erst recht, wenn wie in „Borchert und der Mord ohne Sühne“ neue Beweise für eine Tat vorliegen.

Autor Robert Hummel ist zwar nicht der erste, der auf der Basis des sogenannten „Strafklageverbrauchs“ eine juristisch reizvolle Geschichte konstruiert hat, aber Krimis dieser Art sind eher selten, obwohl sie die besten Voraussetzungen für eine auch emotional fesselnde Handlung bieten. Episodenhauptfigur des achtzehnten Falls für den Wirtschaftsanwalt Thomas Borchert (Christian Kohlund) ist ein verbitterter Vater. Dank neuer technischer Möglichkeiten kann es aus Sicht von Hans Siegenthaler (Thomas Huber) keinen Zweifel mehr daran geben, dass Bernadette Schanz (Melissa Anna Schmidt) vor zehn Jahren nach einem Eifersuchtsstreit bei einer Party seine Tochter erstochen hat, zumal sich auf der Tatwaffe ein Fingerabdruck von ihr befand, doch sie hatte ein Alibi. Nun ist ein nahezu unumstößlicher weiterer Hinweis aufgetaucht, aber eine erneute Anklage wäre nur möglich, wenn die Frau, mittlerweile erfolgreiche Unternehmerin, ein Geständnis ablegen würde; eine „himmelschreiende Ungerechtigkeit“, wie selbst Hauptmann Furrer (Piere Kiwitt) einräumt. Als auf Bernadette und ihren Mann geschossen wird, ist es jedoch Siegenthaler, der verhaftet wird.

„Borchert und der Mord ohne Sühne“ ist Hummels zweites Drehbuch für die Reihe, sein erster Beitrag war 2022 „Borchert und das Geheimnis des Mandanten“, ein Krimi, der eine eindrucksvolle Komplexität entwickelte, zumal sich hinter der ersten Wahrheit eine erschütternde zweite verbarg und die Handlung in ein packendes Finale mündete. So komplex ist die Geschichte diesmal nicht, zumal das „Ne bis in idem“-Prinzip immer wieder ins Zentrum rückt: Um der Gerechtigkeit doch noch zum Sieg zu verhelfen, wollen Borchert und Kanzleipartnerin Dominique Kuster (Ina Paule Klink), die den Fall pro bono übernehmen, nach Schleichpfaden abseits der üblichen juristischen Wege suchen und sich in Anlehnung an den Fall O.J. Simpson, wie es Borchert formuliert, „zur Not durchs Unterholz“ schlagen.

Der Zürich-Krimi – Borchert und der Mord ohne SühneFoto: Degeto / Martin Mlaka
Siegenthaler (Thomas Huber) glaubt zu wissen, wer einst seine Tochter getötet hat. Anmerkung am Rande: Von der guten Bildgestaltung sieht man bei den Pressefotos leider nichts. Regisseur Roland Suso Richter hat in seinen Filmen die Pressefotos selbst geschossen. Diese Qualität vermisst der ttv-Redakteur.

Dass der Film nicht ganz die Intensität der sonstigen „Zürich-Krimis“ erreicht, hat vermutlich auch mit dem Personal hinter der Kamera zu tun: Regie führte ausnahmsweise nicht Roland Suso Richter, der für die Reihe bereits zwölf Folgen inszeniert hat, sondern Connie Walther. Die sehenswerte Bildgestaltung der gebürtigen Isländerin Birgit Gudjonsdottir, die seit vielen Jahren regelmäßig mit Walther zusammenarbeitet, orientiert sich jedoch gerade bei der Lichtsetzung an dem von Richter und seinem Kameramann Max Knauer geprägten Stil; vor allem der SEK-Einsatz bei der versuchten Verhaftung Siegenthalers ist eine optisch eindrucksvolle Szene. Allerdings haben die kaum bis gar nicht bekannten Mitwirkenden in den Episodennebenrollen bei weitem nicht das Charisma Christian Kohlunds, der unter anderem mehr spür- als sichtbar vermittelt, wie sehr ihm eine unfreundliche Aufwartung von Bernadette Schanz’ Leibwächter unter die Haut gegangen ist. Sehr präsent ist dagegen Gitta Schweighöfer: Bernadettes Mutter ist eine Frau, die man nicht zur Feindin haben möchte; und erst recht nicht als enge Verwandte.

Umso sympathischer sind die kleinen Momente, in denen Hummel beiläufig die Handlung des letzten Films aufgreift: Zwischen Kuster und ihrem Freund, dem Polizisten Furrer (Pierre Kiwitt), herrscht Funkstille, seit sie einen erheblichen Vertrauensbruch begangen hat; Borchert, der seine Partnerin dazu angestiftet hatte, will zwischen dem Liebespaar vermitteln. Eine weitere Nebenebene gilt der geplanten Fusion mit der Kanzlei von Borcherts Freund Reto (Robert Hunger-Bühler), Kusters Vater, und tatsächlich gelingt es Kohlund, den Satz „Mit Ihnen würde ich auch fusionieren“ nicht anzüglich klingen zu lassen.

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Reihe

ARD Degeto

Mit Christian Kohlund, Ina Paule Klink, Pierre Kiwitt, Thomas Huber, Melissa Anna Schmidt, Michael Krabbe, Gitta Schweighöfer, Robert Hunger-Bühler, Susi Banzhaf, Yves Wüthrich, Markus Gertken, Max Hemmersdorfer

Kamera: Birgit Gudjonsdottir

Szenenbild: Detlef Provvedi

Kostüm: Mirjam Muschel

Schnitt: Philipp Brozsek

Musik: Michael Klaukien.

Soundtrack: Paolo Conte („Parigi“)

Redaktion: Diane Wurzschmitt, Katja Kirchen

Produktionsfirma: Graf Filmproduktion, Mia Film

Produktion: Klaus Graf, Annemarie Pilgram, Michael Pokorný

Drehbuch: Robert Hummel

Regie: Connie Walther

Quote: 6,65 Mio. Zuschauer (25,2% MA)

EA: 26.10.2023 20:15 Uhr | ARD

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