Der Zürich-Krimi – Borchert und das Geheimnis des Mandanten / Borchert und die dunklen Schatten

Kohlund, Hummel/Jakoby, Roland Suso Richter. Krimi-Routine mit klugen Brüchen

Foto: Degeto / Roland Suso Richter
Foto Tilmann P. Gangloff

Dass der erste Anschein trügt, ist Krimistandard; ebenso wie die Abgründe hinter glitzernden Fassaden. Die neuen „Zürich-Krimis“ (Degeto / Graf, Mia) zeichnen sich jedoch durch eine weitere Komponente aus: In beiden Geschichten lauert hinter der ersten Wahrheit eine zweite, und die ist ungleich erschütternder. Die Inszenierung besorgte erneut Roland Suso Richter, die Filme sind seine Episoden 10 + 11 für die Reihe. Die Bildgestaltung (Max Knauer) ist wie in nahezu allen Werken des vielfach ausgezeichneten Regisseurs herausragend; die hochwertigen Aufnahmen setzen die mondänen Schauplätze angemessen in Szene. Ohnehin sehenswert ist Christian Kohlund. Die Rolle des Wirtschaftsanwalts und der Schauspieler haben sich gesucht und gefunden: Wie Borchert mit seinem Reibeisencharme eine deutlich jüngere Fotografin besprüht, ist ebenso sympathisch wie der Verzicht des Schweizers auf jegliche Allüren, wenn sich der Jurist morgens zerknittert und zerstrubbelt aus dem Bett kämpft.

„Borchert und das Geheimnis des Mandanten“. Einsicht in die Notwendigkeit
Ein Mord ist selbstverständlich nie gewöhnlich; außer im TV-Krimi. Gemessen am Fernsehalltag beginnt „Borchert und das Geheimnis des Mandanten“, der fünfzehnte „Zürich-Krimi“ mit Christian Kohlund als Wirtschaftsanwalt Thomas Borchert, daher ganz normal: Während der Vernissage einer Fotoausstellung wird ein Geschäftsmann erschossen. Rasch stellt sich raus, dass sein Neffe eine Affäre mit der nun zur Witwe gewordenen Gattin hatte; der Fall scheint klar, zumindest aus Sicht des Publikums. Aus Sicht von Polizeihauptmann Furrer (Pierre Kiwitt) ebenfalls, allerdings kommt er zu einem anderen Schluss. Kurz vor seinem Tod hat sich Jürg Altwegger (Steffen Münster) mit dem italienischen Restaurant-Besitzer Lazzari (Michele Cuciuffo) über das Catering gestritten: Der Unternehmer wollte nur die Hälfte zahlen, weil der Wein angeblich nicht in Ordnung war. Sarkastisch belehrt Borcherts Kanzleipartnerin Dominique Kuster (Ina Paule Klink) ihren Freund Furrer: Wenn jeder Streit um Geld tödlich enden würde, wäre Zürich ein Friedhof. Die Schmauchspuren sprechen allerdings gegen den Italiener. Trotzdem übernimmt Borchert die Verteidigung: Er hat einen Verdächtigen am Tatort gesehen; außerdem mag er Lazzaris Frau (Clelia Sarto).

Der Zürich-Krimi – Borchert und das Geheimnis des Mandanten / Borchert und die dunklen SchattenFoto: Degeto / Roland Suso Richter
Borchert (Christian Kohlund) & die Frauen I: seine Mandantin Cristina (Clelia Sarto)

So weit, so normal. Roland Suso Richters Beiträge für die Donnerstagsreihe waren allesamt sehenswert und zum Teil sogar herausragend; sein zehnter „Zürich-Krimi“ scheint sich zunächst jedoch allein durch die vorzügliche Bildgestaltung von Richters bevorzugtem Kameramann der letzten Jahre, Max Knauer, auszuzeichnen. Dass der Unbekannte, den Borchert für den Mörder hält, seinerseits erschlagen wird, passt ebenfalls ins übliche Krimi-Bild: Wenn der Hauptverdächtige aus dem Leben scheidet, gehen die Ermittlungen wieder von vorne los. Zu einem sehenswerten Krimi wird „Borchert und das Geheimnis des Mandanten“, als der Film seinem Titel gerecht wird: Je intensiver sich der Anwalt mit Lazzari beschäftigt, desto größer werden die Ungereimtheiten. Selbstredend ist auch die Fotografin (Julia Richter), von deren Bildern Borchert ebenso angetan ist wie von der Dame selbst, mehr als bloß eine Flirtpartnerin. Selbst wenn Krimiserienautor Robert Hummel mit einem Hinweis auf Lazzaris Heimat früh andeutet, welche Dimensionen dieser anfangs scheinbar übersichtliche Fall noch annehmen könnte: Die Komplexität, die das Drehbuch spätestens im letzten Drittel entfaltet, ist beachtlich, zumal mit einem früheren Staatsanwalt eine weitere faszinierende Figur auftaucht; Thomas Schindel verkörpert den todkranken Mann eindrucksvoll.

Gleiches gilt für Michele Cuciuffo, ein nicht nur dank seiner markanten Gesichtszüge sehr interessanter Schauspieler, der viel zu selten vor der Kamera steht. Kohlund wiederum zeigt erneut, wie sehr er und seine Rolle zueinander passen. Wenn Borchert mit seinem Reibeisencharme die Fotografin besprüht, lässt sich durchaus nachvollziehen, dass sie sich später mit ihm in seiner heimeligen „Absturzbar“ trifft. Dank Kohlunds Charisma wirkt es weder wichtigtuerisch, wenn er Hegel zitiert („Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit“), noch allzu offenkundig um Originalität bemüht, wenn er am Tag nach dem Bar-Abend verkatert feststellt: „Alles, was ich heute essen könnte, habe ich gestern getrunken.“

Angesichts der schauspielerischen Leistungen und der sichtbaren Handwerkskunst fällt auch nicht weiter ins Gewicht, dass einige Aspekte den guten Gesamteindruck trüben. Dominique und Furrer diskutieren darüber, ob sie zusammenziehen sollen; ein durchsichtiger Versuch, diese private Ebene fortzusetzen, und völlig überflüssig. Irritierend ist auch ein optisches Detail kurz vor Schluss, als Knauers Kamera den Beteiligten bei einer Auseinandersetzung fast in die Nasenlöcher zu kriechen scheint. Vermutlich soll das Stilmittel die Intensität erhöhen, aber das wäre gar nicht nötig gewesen. Davon abgesehen sorgt der Kameramann für einen Look, der perfekt zu den mondänen Schauplätzen passt. Das Finale, als Borchert zwischen die Fronten gerät, ist ohnehin Thriller pur.

Der Zürich-Krimi – Borchert und das Geheimnis des Mandanten / Borchert und die dunklen SchattenFoto: Degeto / Roland Suso Richter
Borchert (Christian Kohlund) & die Frauen II: Porträtfotografin Corinna Riemer (Julia Richter)

„Borchert und die dunklen Schatten“. Finde den Fehler
Wenn man nur lange genug gräbt, findet man fast überall eine Leiche im Keller. Bei Krimis, die in den besten Kreisen spielen, ist der trügerische Schein einer glitzernden Fassade quasi obligatorisch. In seinem neunten Drehbuch für den „Zürich-Krimi“ setzt Wolf Jakoby allerdings noch eins drauf. Wie in „Borchert und das Geheimnis des Mandanten“ führt die Spur in die Vergangenheit, weil sich hinter der ersten Wahrheit eine zweite verbirgt; erneut stößt Borchert auf ein Verbrechen, das ungleich grausiger ist als das Wirtschaftsdelikt, das er zunächst entdeckt. Der Titel der letzten Episode würde auch zum sechzehnten Film passen. Allerdings ist die Mandantin diesmal eine Frau, die offenbar Opfer eines Komplotts geworden ist: Sie wird beschuldigt, mit ihrem Auto einen Mann lebensgefährlich verletzt zu haben und davongefahren zu sein. Ein Unfall mit späterer Todesfolge, dazu Fahrerflucht: für die Polizei reine Routine. Julia Egger (Anna Herrmann) ist trockene Alkoholikerin, vermutlich hatte sie einen Rückfall; Schublade zu, Fall gelöst. Das Publikum weiß es besser: Julias Wagen ist vorsätzlich von der Straße gedrängt worden, den Mann konnte sie gar nicht sehen, weil er zwischen Containern stand. Als sie gegen eine unangemessen hohe Kaution freigelassen wird, ereilt sie das nächste Ungemach: In letzter Sekunde kann ein mutiger Nachbar die Jugendpsychologin aus den Flammen ihrer Wohnung retten.

Zunächst wandelt sich „Borchert und die dunklen Schatten“ zum Familiendrama: Julias Mutter (Julia Blankenburg) ist zum zweiten Mal verheiratet, der Gatte (Pierre Besson) ist Banker und steht kurz vor der Krönung seiner Karriere. Die Verhältnisse bewegen sich allerdings in der Nähe des Gefrierpunkts, das Ehepaar hat sich im Grunde bereits getrennt; Julia hat ohnehin kaum noch Kontakt zu den beiden. Umso enger ist die Beziehung zu ihrer Halbschwester: Nach dem Brand ist Mavi (Flora Li Thiemann) überzeugt, dass jemand Julia umbringen will. Mit ihrer unfreiwilligen Hilfe findet Borchert schließlich heraus, dass der Banker in milliardenschwere krumme Geschäfte verwickelt ist. Aber was hat das mit den Mordanschlägen auf Julia zu tun? Und warum mussten zwei weitere Menschen sterben, die ihr geholfen haben, als sie in großer Not war?

Der Zürich-Krimi – Borchert und das Geheimnis des Mandanten / Borchert und die dunklen SchattenFoto: Degeto / Roland Suso Richter
Borchert (Christian Kohlund) & die Frauen III: die trockene Alkoholikerin Julia Egger (Anna Herrmann). Ihr wird ein Unfall mit späterer Todesfolge zur Last gelegt. Ina Paule Klink

Auf die Ausflüge ins Privatleben von Dominique und Furrer hat Jakoby diesmal verzichtet. Der mit seiner Vergangenheit hadernde Borchert, der lieber in einem Wohnwagen auf dem großzügigen Anwesen der Familie lebt, als in sein Elternhaus zu ziehen, ist ohnehin die interessantere Figur. Und das nicht nur, weil Kohlund den Anwalt ohne Rücksicht auf Allüren à la „So wollen meine Fans mich nicht sehen“ am Morgen zerknittert und zerstrubbelt verkörpert: Erst blättert Borchert wehmütig in alten Fotoalben, dann entdeckt er Vaters uralte Kamera und probiert ein bisschen, wie sich ein Ruhestand anfühlen könnte. Das ist ein netter Anschluss zum letzten Film, als ihm die Fotografin das Geheimnis ihres Erfolges anvertraut hatte: den Moment erahnen, bevor er stattfindet. Und so spielen die Aufnahmen, die er am Tag nach dem Brand in Julias Wohnung macht, eine besondere Rolle, denn Sekretärin Regula (Susi Banzhaf) entdeckt auf den Bildern eine entscheidende Kleinigkeit, die einem Mann nicht aufgefallen wäre. Ein Beweis für einen Mordanschlag ist das allerdings nicht, wie sich ohnehin sämtliche Indizien auch ganz anders interpretieren ließen. Auch darin zeigt sich die Qualität von Jakobys Drehbuch: Nicht nur die Story ist stimmig, die Details sind zudem clever ausgedacht. Die Bildgestaltung ist ohnehin erneut vorzüglich; schon allein Julias Rettung aus den Flammen eine Szene von hoher Intensität. Wie wirkungsvoll sich auch die Tonspur einsetzen lässt, belegt der Schluss, als sich nähernde Stöckelschuhe den gleichen Effekt haben wie eine krachend ins Schloss fallende Zellentür. (Text-Stand: 12.8.2022)

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Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Christian Kohlund, Ina Paule Klink, Pierre Kiwitt, Robert Hunger-Bühler. (1): Julia Richter, Michele Cuciuffo, Clelia Sarto, Moritz von Treuenfels, Liliom Lewald, Steffen Münster (2): Anna Herrmann, Pierre Besson, Flora Li Thiemann, Julia Blankenburg

Kamera: Max Knauer

Szenenbild: Detlef Provvedi

Kostüm: Mirjam Muschel

Schnitt: Achim Seidel

Musik: Michael Klaukien

Soundtrack: (1) Paolo Conte („Sotto le stelle del Jazz“) (2) Claude Nougaro („Le Cinéma”)

Redaktion: Diane Wurzschmitt, Katja Kirchen

Produktionsfirma: Graf Filmproduktion, Mia Film

Produktion: Klaus Graf, Annemarie Pilgram, Michael Pokorný

Drehbuch: Robert Hummel, Wolf Jakoby

Regie: Roland Suso Richter

Quote: (1): 6,36 Mio. Zuschauer (23,6% MA); (2): 7,10 mio. (28% MA)

EA: 15.09.2022 20:15 Uhr | ARD

weitere EA: 22.09.2022 20:15 Uhr | ARD

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