Der Seewolf

Sebastian Koch ist der beste "Seewolf" aller Zeiten: Mitleid mit der Bestie!

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Foto Rainer Tittelbach

Zwischen Parabel und Psychodrama, Abenteuerfilm und philosophischem Diskurs segelt der Zweiteiler auf hohem handwerklichem Niveau. Britisch-realistischer Look, kluge Buchideen & ein überragender Sebastian Koch sind die Pfunde dieses „Seewolfs“ (2. Teil 21.45 Uhr).

„So ist das in unserer kleinen schwimmenden Gesellschaft: Ich gebe Befehle und ihr müsst gehorchen!“ Kapitan Wolf Larsen gefällt sich als Übermensch, der sich seine eigenen Gesetze macht und der seine Besatzung mit sichtlich großer Freude seiner Willkürherrschaft aussetzt. Die Stimmung auf seinem Segelschoner „Ghost“, der die begehrten Robbenfanggründe vor der japanischen Küste ansteuert, ist bereits angespannt, als der schiffbrüchige Literaturkritiker Humphrey van Weyden von Larsen an Bord aufgenommen wird. Der arrogante Intellektuelle muss – wie alle anderen an Bord – arbeiten und sich bewähren. Larsen will an dessen Entwicklung von einer „jämmerlichen Figur“ zu einem „richtigen Mann“ seine Philosophie von der menschlichen Natur und dem Leben als das Recht des Stärkeren verifizieren. „In der Gesellschaft geht es darum, den, der neben einem steht, weg zu beißen!“, so sein Credo.

Vor 40 Jahren erhitzte eine zerquetschte Kartoffel die Gemüter. Mögen Zuschauer den legendären ZDF-Vierteiler „Der Seewolf“ von 1971 nostalgietrunken zu einer Sternstunde der Fernsehgeschichte verklären, aus heutiger Sicht wirkt dieser Film wie der Versuch, Jack London in einem naiven Mix aus Kinderstunde, Hörspiel- und Literaturprogramm ins Regelwerk des Weihnachts-Vierteilers einzupassen.

Dagegen ist der neue ZDF-„Seewolf“ ein ganz anderes Kaliber. Zwischen Parabel und Psychodrama, zwischen Abenteuerfilm und philosophischem Diskurs segelt dieser Zweiteiler auf einem extrem hohen handwerklichen Niveau. Kamera, Schnitt und Ausstattung sind das Beste, was man in diesem Genre bislang im Fernsehen sehen konnte. Es hat sich ausgezahlt, weitgehend realistisch zu drehen. Der Verzicht auf Studio und Greenscreen sorgen für einen eher britischen als den amerikanischen Hallmark-Look. 80 Prozent des Films sind auf einem Segelboot auf dem offenen Meer im Nordatlantik entstanden. Aus der Not, die Szenen möglichst durchzuspielen, ergab sich eine Raum-Topographie, ein sinnlich aufgeladenes Spannungsfeld für die dramatischen Kämpfe an Bord: Das Deck ist die Bühne für die Massenszenen, der Ort für „die kleine schwimmende Gesellschaft“, die Kajüte der Raum für die Zweikämpfe zwischen Larsen und van Weyden.

Der SeewolfFoto: ZDF
Damit dieser „Seewolf“-Zweiteiler auch weltweit verkaufen lässt, ist der Hauptcast mit Ausnahme von Sebastian Koch international: Stephen Campbell-Moore, Neve Campbell, Tim Roth

Es ist nicht allein der Stoff, der archaische Kampf zwischen Instinkt und Intellekt, sondern die Art und Weise, wie Autor Nigel Williams mit ihm umgegangen ist, die diesem „Seewolf“ seine Klasse gibt. Um die Spannungsdichte zu erhöhen, war es ein kluger Schachzug, Larsens Bruder Death, von dem im Roman nur die Rede ist, auftreten zu lassen. Auch die Parallelmontage, der Wechsel zwischen der „Ghost“ und der „Macedonia“, bringt den 1. Teil unterhaltungstechnisch sicher in den Hafen. Pointierter als der renommierte deutsche Autoren-Kollege Holger Karsten Schmidt („Jenseits der Mauer“) des ersten Remakes von „Der Seewolf“, zu sehen im vergangenen Herbst, bringt Williams auch den philosophischen Diskurs in Form: nur einige markante Sätze anstatt ermüdende weltanschauliche Dispute.

Auch die internationale Besetzung funktioniert – was sonst selten der Fall ist – besser in einem solchen abgehobenen Genre-Stück. Nichts ist schlimmer, als wenn einem in einem Abenteuerfilm deutsche TV-Movie-Alltagsgesichter aus der dritten Reihe begegnen. Tim Roth, Neve Campbell und Theaterschauspieler Stephen Campbell-Moore machen eine gute Figur, sie schaffen Illusion, anstatt Ironie ins Spiel zu bringen. Allein augenzwinkernd ist die Szene mit der berühmten Kartoffel: Wolf Larsen zerquetscht sie in der Hand des Schiffskochs.

Diese „Seewolf“-Verfilmung hat viele Stärken, doch ihr größtes Pfund heißt Sebastian Koch. Ihm gelingt es, dieses Monster in Menschengestalt, „dieses hochintelligente Tier, welches genau weiß, wo es eine Gefahr zu erwarten hat“ (Koch), mit einer faszinierenden Ambivalenz auszustatten. Das faustische Prinzip mag die Handlung antreiben, dass Faszinosum ist aber die Hauptfigur, ein Mann unter Strom, dem seine perfiden Machtspielchen augenscheinlich Freude bereiten. Koch spielt ihn lustvoller, extrovertierter, ja sogar physischer als der ehemalige Profi-Sportler Thomas Kretschmann im letzten Jahr. Gerade noch Unmensch, wenig später charismatischer Freigeist. Sein Larsen ist brutal, aber kein Unsympath. Liegt es an Koch, dessen andere Rollen man automatisch mit im Kopf hat? Liegt es an dem wenig heroischen Antagonisten? Oder ist es einfach die Qualität dieses ästhetischen Gedankenspiels, das vom Zuschauer moralische Flexibilität erzwingt? Mit wohlfeiler Identifikation ist es hier nicht getan. Die Konsequenz aus all dem: Mitleid mit der Bestie!

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ZDF

Mit Sebastian Koch, Stephen Campbell-Moore, Neve Campbell, Tim Roth, Tobias Schenke

Kamera: Richard Greatrex

Schnitt: Dean Soltys

Musik: Richard G. Mitchell

Produktionsfirma: Tele München

Drehbuch: Nigel Williams

Regie: Mike Barker

Quote: 1. Teil: 3,89 Mio. Zuschauer (10,6% MA), 2. Teil: 3,21 Mio. (10,1% MA)

EA: 01.11.2009 20:15 Uhr | ZDF

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